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Zur internen Geographie der Liedpflege

Nicole Schwindt

Es gab im österreichischen Raum keine dauerhaften Zentren der Liedpflege. Gleichwohl gibt es Orte wie Augsburg und Innsbruck, an denen sich – soweit wir das aufgrund der heutigen Quellenlage sagen können – zu bestimmten Zeiten die Liedkonjunktur verstärkte. Das noch heute österreichische Stammgebiet entlang der Donau war hier nur partiell beteiligt. Die kulturelle Bedeutung Wiens beruhte vornehmlich auf dem geistigen Lebensbereich der Universität, deren Anteil an der Liedpflege noch wenig erforscht ist (» B. Das Phänomen „Neidhart“). Sowohl von Friedrich III. wie von Maximilian I. nur sporadisch aufgesucht, entstand in der Stadt keine Interaktion zwischen dem Hof und einer breiteren höfisch-patrizischen Trägerschicht, die zu einer regen Kultivierung von Liedern hätte führen können. Erst von dem Moment an, als im frühen 16. Jahrhundert die Verwaltung der oberösterreichischen Länder von Linz hierher verlegtwurde, nachdem die Stadt zum Bischofssitz erhoben worden und seit in diesem Zusammenhang auch die Institution der geistlichen Musikkapelle immer wieder in Wien stationiert war und an St. Stephan wirkte, tauchen Anzeichen für eine mehrstimmige Liedkultur auf. Am Schnittpunkt steht die Person Wolfgang Grefingers; er hatte sich 1492 an der Universität immatrikuliert, verkehrte im lateinische Oden fabrizierenden Humanistenkreis um Konrad Celtis und Joachim Vadian (» I. Humanisten) und ließ in Wien eigene Prudentius-Vertonungen drucken; hier hatte er auch Umgang mit dem blutjungen Ludwig Senfl (» G. Ludwig Senfl) und war nicht zuletzt als Schüler und Freund Hofhaimers (» I. Hofhaimer) Organist des Stephansdoms. Im Wesentlichen hinterließ er Lieder, die aber bezeichnenderweise in Augsburger Quellen überliefert sind, wohin die Kapellmitglieder sie transportiert haben dürften. Konkrete Hinweise auf eine mehrstimmige Liedkultur in den zuvor von Friedrich III. bevorzugten Residenzen Wiener Neustadt und Graz fehlen.

Weiter westlich bestanden für die Produktion, Rezeption und Konservierung von Liedern bessere Umstände. Das geistliche Fürstentum Trient, in dem neben Italienisch eine bayerische Dialektart gesprochen wurde, entfaltete unter seinem an der Universität Wien ausgebildeten Bischof Johannes Hinderbach im dritten Viertel des 15. Jahrhunderts ein aktives Musikleben, dem Lieder nicht fremd waren. Auch Schweizer Städte formierten sich als Umschlagsplätze für Liedrepertoire. Bereits das vor 1470 eventuell in St. Gallen entstandene und auf Kaufmannskontakten nach Nürnberg aufbauende sogenannte Buxheimer Orgelbuch (» D-Mbs Mus. ms. 3725) zeugt von zahlreichen Liedsätzen.[3] Dem Singen und Sammeln stand die bereits in Gang gekommene, aber noch lange nicht vollzogene Abkoppelung der Eidgenossenschaft vom Reich keinesfalls im Wege, vielmehr verdichten sich, ausgehend von der Handels-, Bischofs-, Universitäts- und Humanisten-Stadt Basel, gerade nach 1500 die Liedkorpora mit ihren Querbezügen zu anderen Regionen. (» Abb. Basel 1493)

 

Abb. Basel 1493

Abb. Basel 1493

Basilea: Holzschnitt von Michael Wolgemut u. a. in der Weltchronik von Hartmann Schedel, Nürnberg 1493, fol. 243v–244r (© Wikimedia Commons).