Heiligenverehrung
Eine ähnlich verbindende Kraft entwickelte die Heiligenverehrung. Märtyrer und Bekenner der frühen Christen sowie zahlreiche, durch die Kirche für ihren frommen Lebenswandel und ihre Wundertaten kanonisierte Heilige galten als Vorbilder im Leben und Sterben und als Vermittler zwischen irdischem und jenseitigem Leben. Sie erhielten ihren Festtag im kirchlichen Jahreskalender. Ihr Leben wurde in Legenden beschrieben und in Bildern dargestellt, wobei kaum jemand an unrealistischen Einzelheiten Anstoß nahm. Ihre Reliquien, oft vermeintliche, wurden im Spätmittelalter Gegenstände einer regelrechten Sammel- und Verehrungsmanie. Heilige sollten als Patrone nach ihnen benannte Personen, aber auch soziale oder berufliche Gruppen sowie Orte oder ganze Länder beschützen. Sie sollten ebenso prophylaktisch wirken wie im Schadensfall wiedergutmachen. Sie sollten in schwerer Not wie bei banalen Problemen helfen und dabei immer verfügbar sein. Man nahm sie in die Pflicht und verübelte es ihnen, wenn sie nicht „funktionierten“. Sie eröffneten denen, die sie anriefen, einen Zugang zum unerreichbar scheinenden Gott, aber vor allem wies man ihnen Aufgaben profaner Art zu. Dies traf in besonderem Maße auf die 14 Nothelfer zu, die in ihrer Gesamtheit bei allen gängigen Problemen mittelalterlicher Menschen Abhilfe schaffen sollten, jeweils in einer eigenen Sparte: Der heilige Antonius von Padua half, verlorene Gegenstände wieder zu finden, St. Blasius heilte Halsbeschwerden, St. Florian schützte vor Bränden, St. Margareta half Gebärenden. Immer wieder bildete man St. Christophorus an Außenwänden von Kirchen und Kapellen ab, weil sein Anblick den Beschauer angeblich einen Tag lang vor jähem Tod schützte.
Die in Marien- und Heiligenverehrung manifestierte mittelalterliche Frömmigkeitspraxis kann allerdings nicht ausschließlich den Laien zugeordnet werden, sondern wurde ebenso vom niederen, zum Teil sogar vom hohen Klerus gepflegt. Menschen aus verschiedensten Sozial- und Bildungsschichten, Geweihte wie Ungeweihte, „liefen“ auf Massenwallfahrten zu wundertätigen Bildern, blutenden Hostien und Orten, an denen Visionen stattgefunden haben sollten. Dort suchten sie konkrete Hilfe gegen Krankheit, Armut, böse Geister, Unwetter, Flurschäden, Feuersbrünste und andere Nöte, die an den Grundlagen menschlicher Existenz rüttelten. Sie vertrauten auf die Hilfsbereitschaft der Heiligen und auf die Wunderkraft der Sakramente. Sie waren anfällig gegenüber magischen Praktiken und Wahrsagerei. Sie verbanden ihre frommen Taten mit Ansprüchen auf angemessene Vergeltung im Jenseits. Sie erwarteten himmlische Buchführung und beim Jüngsten Gericht eine strenge, aber gerechte Abrechnung.
[1] Schreiner 1992b, 1–13.
[2] Schreiner 1992b, 13–26; 27–41.
[3] Machilek 1992, 157–189.
[5] Rubin 1992, 309–318.
[6] Hofmeister-Winter 2001, 347–350, fol. 131v–132v.
[7] Ein Fronleichnamsspiel steht in der „Neustifter-Innsbrucker Spielhandschrift“ des Augustiner-Chorherrenstifts Neustift (» A-Iu Cod. 960, fol. 51r–59r); vgl. Thurnher/Neuhauser 1975. Allerdings wurde diese aus Thüringen stammende Handschrift in Tirol nicht praktisch verwendet.
[8] Brückner 1992, 18.
[9] Hofmeister-Winter 2001, 317, fol. 115v.
[10] Hofmeister-Winter 2001, 319, fol. 117r. Diese wohl realistische Befürchtung hat inhaltliche Gemeinsamkeiten mit dem Salzburger Spottlied „Die Pinzgauer wollten wallfahrten gehn; sie täten gerne singen, sie konntens nit gar schön“ (um 1800 entstanden).
[11] Hofmeister-Winter 2001, 317, fol. 116r.
[12] Hofmeister-Winter 2001, 304–311, fol. 109r–112v.
[13] Hofmeister-Winter 2001, 309, fol. 111v/112r.
[14] Hofmeister-Winter 2001, S. 307, fol. 110v.
[16] Stürz 1978, 43–60.
[17] Ohler 1986, 282–298.
[18] Schwob 2007, 66–68.
[19] Schwob/Schwob 1999-2013, Nr. 233.
[20] Schwob 2009, 17–28.
[21] Schwob/Schwob 1999–2013, Nr. 163.
[22] Schwob/Schwob 1999–2013, Nr. 377.
[23] Hochenegg 1984, Listen, passim.
[24] Bestände im Germanischen Nationalmuseum Nürnberg, Südtiroler Landesarchiv Bozen, Diözesanarchiv Brixen.
[25] Schwob 1989, 291–326.
[26] Hochenegg 1984, 226–227.
[27] Pfarr- und Dekanatsarchiv Bruneck, Or. Perg. Urk. 1431 Oktober 2.
[28] Sinnacher 1830, 486–487.
[29] Angenendt 1997, 77–79.
[30] Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum, Innsbruck, FB 32040.
[31] Wielander 1959, 3–88, Zitate; 86, 3.
[32] Bibliothek des Priesterseminars Brixen, Cod. F/5 (149).
[33] Spicker 2007, 86–118.
[34] Andergassen 2011, 77–79.