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Heiligenverehrung

Ute Monika Schwob

Eine ähnlich verbindende Kraft entwickelte die Heiligenverehrung. Märtyrer und Bekenner der frühen Christen sowie zahlreiche, durch die Kirche für ihren frommen Lebenswandel und ihre Wundertaten kanonisierte Heilige galten als Vorbilder im Leben und Sterben und als Vermittler zwischen irdischem und jenseitigem Leben. Sie erhielten ihren Festtag im kirchlichen Jahreskalender. Ihr Leben wurde in Legenden beschrieben und in Bildern dargestellt, wobei kaum jemand an unrealistischen Einzelheiten Anstoß nahm. Ihre Reliquien, oft vermeintliche, wurden im Spätmittelalter Gegenstände einer regelrechten Sammel- und Verehrungsmanie. Heilige sollten als Patrone nach ihnen benannte Personen, aber auch soziale oder berufliche Gruppen sowie Orte oder ganze Länder beschützen. Sie sollten ebenso prophylaktisch wirken wie im Schadensfall wiedergutmachen. Sie sollten in schwerer Not wie bei banalen Problemen helfen und dabei immer verfügbar sein. Man nahm sie in die Pflicht und verübelte es ihnen, wenn sie nicht „funktionierten“. Sie eröffneten denen, die sie anriefen, einen Zugang zum unerreichbar scheinenden Gott, aber vor allem wies man ihnen Aufgaben profaner Art zu. Dies traf in besonderem Maße auf die 14 Nothelfer zu, die in ihrer Gesamtheit bei allen gängigen Problemen mittelalterlicher Menschen Abhilfe schaffen sollten, jeweils in einer eigenen Sparte: Der heilige Antonius von Padua half, verlorene Gegenstände wieder zu finden, St. Blasius heilte Halsbeschwerden, St. Florian schützte vor Bränden, St. Margareta half Gebärenden. Immer wieder bildete man St. Christophorus an Außenwänden von Kirchen und Kapellen ab, weil sein Anblick den Beschauer angeblich einen Tag lang vor jähem Tod schützte.

 

Abb. St. Christophorus

Abb. St. Christophorus

Der Hl. Christophorus, der der Legende nach das Jesuskind trägt. Er überquert einen Höllenpfuhl, in dem sich u. a. Musikinstrumente (Fidel und schlangenförmige Trompete) befinden. Fresko im Kreuzgang des Brixner Domes, 15. Jahrhundert. (Postkarte Egger-Verlag, I-8102 Mittenwald/Mezzaselva, Aufnahme: Margret Egger.)

 

Die in Marien- und Heiligenverehrung manifestierte mittelalterliche Frömmigkeitspraxis kann allerdings nicht ausschließlich den Laien zugeordnet werden, sondern wurde ebenso vom niederen, zum Teil sogar vom hohen Klerus gepflegt. Menschen aus verschiedensten Sozial- und Bildungsschichten, Geweihte wie Ungeweihte, „liefen“ auf Massenwallfahrten zu wundertätigen Bildern, blutenden Hostien und Orten, an denen Visionen stattgefunden haben sollten. Dort suchten sie konkrete Hilfe gegen Krankheit, Armut, böse Geister, Unwetter, Flurschäden, Feuersbrünste und andere Nöte, die an den Grundlagen menschlicher Existenz rüttelten. Sie vertrauten auf die Hilfsbereitschaft der Heiligen und auf die Wunderkraft der Sakramente. Sie waren anfällig gegenüber magischen Praktiken und Wahrsagerei. Sie verbanden ihre frommen Taten mit Ansprüchen auf angemessene Vergeltung im Jenseits. Sie erwarteten himmlische Buchführung und beim Jüngsten Gericht eine strenge, aber gerechte Abrechnung.