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Zwischenstation Wiener Universität

Alexander Rausch

Zwei Fallbeispiele sollen zeigen, wie eng der personale und institutionelle Zusammenhang zwischen (allgemeiner) Musiklehre einerseits und (spezieller) Musiktheorie als universitärer Disziplin andererseits sein konnte.

Der Melker Codex » A-M Cod. 1099 (S. 79–98) überliefert einen kurzgefassten Tonar, der einzelne Beispiele aus dem Antiphonar geordnet nach den Psalmtondifferenzen auflistet und knapp kommentiert. Der Autor Rudolf Volkhardt von Häringen[22] immatrikulierte im Jahr 1411 an der Universität Erfurt und wurde dort 1419 Magister artium. Danach studierte er in Bologna Medizin (Dr. med. 1424), anschließend (1424/25) war er als Arzt in Regensburg tätig. Dort war er auch Kleriker an mehreren Kirchen und Kapellen sowie ab 1429 Generalvikar der Diözese. 1433–38 scheint er als Student und Lektor an der Theologischen Fakultät der Universität Wien auf. Im Oktober 1439 wurde er Kanoniker („in absentia“) des Kollegiatkapitels St. Stephan, im selben Jahr Leibarzt und Kaplan König Albrechts II. Nach dessen Tod († 27. Oktober 1439) ist Volkhardt 1440–62 als Dekan der Alten Kapelle in Regensburg dokumentiert, für die er zahlreiche Stiftungen finanzierte. Die letzte wichtige Station ist München (Dekan von St. Peter), wo er am 31. Dezember 1465 starb. Im St. Emmeram-Codex, der von Hermann Pötzlinger um dieselbe Zeit (1439–44) angelegt wurde, (» G. Hermann Pötzlinger) finden sich drei Stücke, die Volkhardt mit großer Wahrscheinlichkeit zugewiesen werden können: Ein Sanctus trägt im Index den Zusatz „rudolffi“, die Texte zweier weiterer Sätze sind mit Akrosticha konstruiert. Der Tonar in A-M Cod. 1099 bestätigt mit der eindeutigen Zuschreibung „editus a magistro Ruodolfo medico“ (verfasst von Magister Rudolfus, Arzt) die Beschäftigung Volkhardts mit musikalischen Themen zumindest in seiner Wiener Zeit und belegt generell die Verbindungen zwischen der Musiktheorie als Fach des Quadriviums mit Theologie, Medizin oder auch Naturwissenschaften (zu diesen Verbindungen vgl. auch » G. Hermann Poll).

Ein anderes Beispiel sind die ca. 1460–62 entstandenen Aufzeichnungen des Studenten Georg Erber. Sie weisen ebenfalls in das universitäre Milieu, allerdings in diesem Fall dasjenige von Paris.[23] Georg Erber (auch Herbar) aus Eyblingen (wahrscheinlich Aibling, bei Rosenheim) kann mit einem Wien-Bezug identifiziert werden:[24] Er immatrikulierte im Sommer 1452 an der Universität Erfurt und 1455 an der Universität Wien. Später ging er an die Sorbonne nach Paris (wo er als Mitglied der Alemannennation verzeichnet wird) und promovierte dort 1461/62 zum Baccalaureus artium, im Jahr darauf zum Magister artium. Nach der Verleihung des Lizentiats (1463) kehrte er nach Erfurt zurück, wo er 1466 als Magister artium aufgenommen wurde. Im Innsbrucker Codex » A-Iu Cod. 962 (fol. 128–151) finden sich aufschlussreiche Spuren seiner Studien: Exzerpte zur allgemeinen spekulativen Musiktheorie, Kapitel über Intervalle und Konsonanzen und sogar ein Abschnitt über Proportionen der Mensuralmusik in altfranzösischer Sprache.

[22] Vgl. Rumbold/Wright 2009, 167–172.

[23] Vgl. Meyer 2001. Auszüge aus der Handschrift A-Iu Cod. 962 wurden von Christian Meyer in seinem Aufsatz transkribiert. Das altfranzösische Proportionskapitel bei Federhofer-Königs 1969. Vgl. Strohm 1993, 292.

[24] Datenbank Repertorium Academicum Germanicum der Universitäten Bern und Gießen, URLhttp://www.rag-online.org/index.php/de/datenbank/abfrage.html [02.09.2013].