Zur musikalischen Quellenlage der Hofkapelle Maximilians
Kaiser Maximilian I. verfolgte Zeit seines Lebens umfangreiche Kulturprojekte. Dabei inszenierte er sich – unter anderem – als Liebhaber und Förderer der Musik: etwa im weisskunig (» Abb. Weißkunig Blatt 33) oder über die Darstellung verschiedener Wägen im Triumphzug, die seine verschiedenen Musikensembles repräsentativ auffahren lassen (» I. Instrumentalkünstler bei Hofe). Er unterhielt (mindestens) eine Hofkapelle mit bestens ausgebildeten Sängern und Instrumentalisten (» I. Instrumentalkünstler bei Hofe), die regelmäßig mit ihm auf Reisen gehen musste.[1] Und er verfügte Stiftungen und Stipendien zum mehrstimmigen Singen von Messen (mit und ohne Orgel), etwa in Brügge und in Hall in Tirol (» D. Obrechts Missa Salve diva parens, » D. SL Waldauf-Stiftung).
Eigentümlich quer dagegen steht die Tatsache, dass vom Hof Maximilians so gut wie keine musikalischen Quellen überliefert sind. Zwar hatte der Hof ein musikalisches Skriptorium – Ludwig Senfl (» G. Ludwig Senfl) behauptete, er allein habe als „Notist“ „sechzechen gesang Buecher geschriben“,[2] und es muss noch viele mehr gegeben haben. Alle dort entstandenen Musikhandschriften sind jedoch verschollen; sie haben nicht – anders als man seit Martin Bentes Dissertation von 1968[3] meinte – in den Beständen der Bayerischen Staatsbibliothek überdauert.[4]
So müssen bei dem Versuch, sich einen Eindruck vom liturgischen und geistlichen Musikrepertoire der Hofkapelle zu verschaffen, Quellen herangezogen werden, die aller Wahrscheinlichkeit nach mittelbar mit dem Hof zu tun haben, etwa, weil gezeigt werden konnte, dass sie als Abschriften höfischer Quellen entstanden – wobei die Kompositionen zum Teil auch bearbeitet oder modernisiert wurden. Unter anderem folgende Quellen stehen dem heutigen Forschungsstand zufolge in enger Verbindung zum Maximilianischen Repertoire: das Chorbuch des Innsbrucker Schulmeisters Nicolaus Leopold, in dem verschiedene Persönlichkeiten über Jahrzehnte hinweg Repertoire des Innsbrucker Hofes bzw. der Kantorei von St. Jakob notierten (» D-Mbs Mus. Hs. 3154);[5] das „Augsburger Liederbuch“ (» D-As Cod. 2° 142a), in dem – wie im „Codex Leopold“ – sowohl weltliche[6] als auch geistliche Kompositionen aufgezeichnet sind; die Gebrauchshandschriften unter den „Jenaer Chorbüchern“ (» D-Ju Ms. 30–33 und » D-WRhk Hs. A), die zum Teil als Abschriften aus maximilianischen Quellen für die Verwendung an der Hofkapelle des Kurfürsten Friedrichs des Weisen hergestellt wurden;[7] eine um 1520 aus verschiedenen Faszikeln zusammengefügte Handschrift („Codex Pernner“; » D-Rp C 120)[8] sowie schließlich zahlreiche Münchner Chorbücher, die (über die Vermittlung Ludwig Senfls) viele Kompositionen Heinrich Isaacs (» G. Henricus Isaac) enthalten (u. a. » D-Mbs Mus. ms. 3; » D-Mbs Mus. ms. 31: » Abb. Introitus Resurrexi; D-Mbs Mus. ms. 35–39; » D-Mbs Mus. ms. 53; » G. Ludwig Senfl).[9] Hinzu kommen der repräsentative Motettendruck Liber selectarum cantionum; (Augsburg 1520; » Abb. Liber selectarum cantionum) und der berühmte, » Choralis Constantinus betitelte, posthume Druck von Isaacs Proprienvertonungen in drei Bänden (» G. Henricus Isaac, Kap. Isaac als Hofkomponist Maximilians I.). Freilich muss bei all diesen (und vielen weiteren in Frage kommenden) Quellen die Forschung im einzelnen immer plausibel machen, von welcher Natur die Verbindung zum Hof Maximilians gewesen sein könnte – was im Einzelfall mehr oder weniger schlusskräftig gelingt. Mithin bildet die musikalische Quellenlage zum Repertoire am maximilianischen Hof ein komplexes Puzzlespiel – und viele Stücke sind sicher unwiederbringlich verloren.
Es gibt zwei Ausnahmen: ein Maximilian und seinem Enkel Karl (» D. Musik für Kaiser Karl V.) gewidmeter Druck mit zwei explizit auf Maximilian zugeschnittenen Motetten (vgl. Kap. Gedrucktes mehrstimmiges Herrscher- und Marienlob) sowie eine Musikhandschrift (» A-Wn Mus.Hs. 15495; vgl. Kap. Ein Geschenk für den frischgebackenen Kaiser: Das Alamire-Chorbuch A-Wn Mus.Hs. 15495 und Kap. Zum Repertoire der Handschrift A-Wn Mus.Hs. 15495) aus dem burgundisch-habsburgischen Handschriftenkomplex, die Maximilian zu Lebzeiten erreicht hat und von der Benutzerspuren den Eindruck vermitteln, dass sie intensiv verwendet wurde.
[1] Dazu neuerdings Gasch 2015, bes. 362–371.
[2] Supplikation an König Ferdinand I. im Jahr 1530; A-Whh Finanz- und Hofkammerarchiv, Niederösterr. Kammer, Rote Nr. 7. Abdruck bei Birkendorf 1994, Bd. 3, 248.
[5] Strohm 1993, 519–522; Edition in 4 Bänden: Noblitt 1987–1996.
[6] Zu den weltlichen Quellen („Liederbüchern“), die mit dem Hof Maximilians in Verbindung stehen, siehe » B. Lieder 1450–1520, Kap. Aufschwung der Liedkunst unter Maximilian I. und » B. Lieder 1450–1520, Kap. Liederdrucke.
[7] Siehe dazu Heidrich 1993.
[8] Birkendorf 1994. Die Kompositionen sind häufig ohne Text aufgezeichnet.
[1] Dazu neuerdings Gasch 2015, bes. 362–371.
[2] Supplikation an König Ferdinand I. im Jahr 1530; A-Whh Finanz- und Hofkammerarchiv, Niederösterr. Kammer, Rote Nr. 7. Abdruck bei Birkendorf 1994, Bd. 3, 248.
[5] Strohm 1993, 519–522; Edition in 4 Bänden: Noblitt 1987–1996.
[6] Zu den weltlichen Quellen („Liederbüchern“), die mit dem Hof Maximilians in Verbindung stehen, siehe » B. Lieder 1450–1520, Kap. Aufschwung der Liedkunst unter Maximilian I. und » B. Lieder 1450–1520, Kap. Liederdrucke.
[7] Siehe dazu Heidrich 1993.
[8] Birkendorf 1994. Die Kompositionen sind häufig ohne Text aufgezeichnet.
[10] Dazu u. a. Kellman 1999; Bouckaert/Schreurs 2003; Saunders 2010; Burn 2015.
[11] Lodes 2009, 248.
[12] Missa Faisantz regretz und Missa Une mousse de Biscaye – wobei letztere zwar unter Josquins Namen überliefert ist, wahrscheinlich aber nicht von ihm komponiert wurde.
[13] Zum historisch-politischen Kontext, vgl. u. a. Wiesflecker 1971–1986, Bd. 4, 1–27.
[14] Der Druck wurde in zwei Ausgaben (eine mit einer Inhaltsangabe in Niederländisch, die andere mit einer Inhaltsangabe in Latein) hergestellt und liegt als kommentiertes Faksimile vor: Nijhoff 1925, mit einer Übertragung der beiden Motetten von Charles Van den Borren als Beilage. Vgl. dazu Schreurs 2001 sowie Wouters/Schreurs 1995. Für ein vollständiges Digitalisat der lateinischen Ausgabe siehe: http://depot.lias.be/delivery/DeliveryManagerServlet?dps_pid=IE4756261.
[15] Zwar war bereits früher in Antwerpen ein Musikdruck mit dem kaiserlichen Wappen und dem der Markgrafschaft Antwerpen hergestellt worden: » Principium et ars tocius musice, Antwerpen: Jost de Negker (c. 1500–1508). Dabei handelt es sich aber um eine Darstellung der Guidonischen Hand mit Mensuralnoten und Kommentaren, nicht um eine mehrstimmige Komposition. Vgl. Schreurs/Van der Stock 1997; ebenda, 173 auch ein Faksimile.
[16] Schlegelmilch 2011, bes. 443–447.
[17] Benedictus hatte von 1512 bis 1516 das Amt des Organisten an der Antwerpener Kirche Zu Unserer Lieben Frau inne und ging in der Folge an den englischen Königshof. Von ihm sind nur diese beiden Kompositionen bekannt.
[18] Victoria Panagl weist besonders auf die Zeilen „Ergo Cesar quum nec deus / rerum metas neque tempus / tuo dat imperio (7. Strophe; „Daher Kaiser, weil Gott deiner Herrschaft weder räumlich noch zeitlich Grenzen setzt“), hin, die als Vergilzitat nachdrücklich auf den Machtanspruch Maximilians (als Nachfolger des Imperium Romanum) verweisen: In der Aeneis (1,278: „his ego non metas rerum nec tempora pono“) spricht Jupiter diese Worte aus und blickt damit auf die ruhmvollen Herrscher des Römischen Reiches voraus (vgl. Panagl 2004, bes. 73–81, hier 78).
[19] Vgl. Dunning 1970, 61–64.
Empfohlene Zitierweise:
Birgit Lodes: „Musikalische Huldigungsgeschenke für Maximilian I.“, in: Musikleben des Spätmittelalters in der Region Österreich <https://musical-life.net/essays/musikalische-huldigungsgeschenke-fur-maximilian-i> (2017).