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Gedrucktes mehrstimmiges Herrscher- und Marienlob

Birgit Lodes

Während seines Besuchs in den Niederlanden als frisch proklamierter Kaiser (vgl. Kap. Zum Repertoire der Handschrift A-Wn Mus.Hs. 15495) stattete Maximilian im Vorfeld der Verhandlungen mit Frankreich, im September 1508, auch der Stadt Antwerpen einen glanzvollen Besuch ab. Zunächst rief er dort den Heiligen Geist um seinen Beistand an; dann wandte er sich an die Jungfrau Maria und suchte mit der Motette Sub tuum presidium seine Aktivitäten unter ihren Schutz zu stellen. Das vertonte Sub tuum presidium ( „Unter Deinen Schutz und Schirm …“) ist ein altes Mariengebet, das für Maximilian offenbar bedeutungsvoll war (» J. Körper und Seele). Im Rahmen dieses Besuchs wurde außerdem sein Enkel Karl (» D. Musik für Kaiser Karl V.) zum Markgrafen des Heiligen Römischen Reiches ernannt.

Als im Februar 1515 in Antwerpen der Herrschaftsantritt des 15-jährigen Karl als Herzog von Burgund inszeniert wurde, ergriff man die Gelegenheit, die letzte wichtige Präsenz von Maximilian und Karl in der Stadt (eben jene von 1508) mediengeschichtlich wirksam in Erinnerung zu rufen und damit in die Geschichte einzuschreiben. Man produzierte einen 40-seitigen Druck mit dem Titel » Unio pro co[n]servatio[n]e rei publice / Lofzangen ter ere van Keizer Maximiliaan en zijn kleinzoon Karel den Vijfden, der Herrscher-, Gottes- und Marienlob in unterschiedlichsten Textsorten, Bildern und Musik enthält:[14] Preisgedichte, Humanistenbriefe, Gebete, ganzseitige Holzschnitte und die beiden Motetten Sub tuum presidium und Summe laudis o Maria. Damit legte der Antwerpener Drucker Jan de Gheet im Jahr 1515 den frühesten Druck von mehrstimmiger Musik in den Niederlanden überhaupt vor.[15] Die 17 Seiten mit Noten – wie bei A-Wn Mus.Hs. 15495 in Chorbuchanordnung – und Text sind im Blockdruck (also als Holzschnitt) gefertigt (» Abb. Summe laudis o Maria).

 

 

In dem die Begebenheiten in Antwerpen aus dem Jahr 1508 dokumentierenden Druck stehen inhaltlich die Verdienste Maximilians (um den Frieden im Reich, die Einigkeit unter den Fürsten und die Förderung des Gemeinwohls[16]) im Mittelpunkt, die er durch die Fürsprache und Tatkraft der Jungfrau Maria bewirken konnte (siehe z. B. » Abb. Maximilian I. und Kurfürsten). Der Druck spiegelt ein zur damaligen Zeit verbreitetes Herrscherverständnis wieder (verbildlicht in der Initiale am Beginn des Discantus der Motette Summe laudis o Maria: » Abb. Summe laudis o Maria, Initiale): Auf den als Weltenherrscher dargestellten Maximilian, dem sein hohes Amt – wie vielen anderen Herrschern – von Gott anvertraut wurde, sendet der Heilige Geist seine Strahlen herab und Maria leistet ihm ihren unverzichtbaren Beistand bei der Ausübung seines schweren Amtes.

 

 

Das Kernstück des Huldigungsdruckes bildet die zweite Motette Summe laudis o Maria, deren Text „Summe laudis“ von Petrus de Opitiis, dem Bruder des Komponisten beider Motetten, Benedictus de Opitiis (* ca. 1476; † 1524), gedichtet wurde.[17] Der Text der Motette wird im Druck Abschnitt für Abschnitt noch einmal paraphrasiert und gedeutet, die Motette zudem durch ein lateinisches Gedicht eingeleitet, das deutlich macht, dass der Gedankengang der Motette der Konzeption des gesamten Drucks zugrunde liegt.

Der Text „Summe laudis“ (» Abb. Summe laudis o Maria, Text) beginnt mit einem großen Marienlob und thematisiert sodann in verschiedenen Umschreibungen die Legitimation Maximilians als Kaiser[18] – was im historischen Kontext durchaus von Bedeutung war, da die rechtmäßige Kaiserkrönung in Rom verhindert worden war –, schließlich gipfelt er in einem ausgedehnten Lob des Kaisers.[19] Der Aufbau des Textes mit Marienlob an erster, Herrscherlob an zweiter Stelle gleicht also jenem von Heinrich Isaacs Motette Virgo prudentissima (» D. Isaac und Maximilians Zeremonien, Kap. Musik für den Konstanzer Reichstag 1507).

 

 

Optisch wird die Verquickung von Marienverehrung und staatspolitisch-weltlicher Dimension im Antwerpener Druck dadurch unterstrichen, dass die Initiale der Motette Summe laudis Kaiser Maximilian zeigt, wie er die Worte „Sub tuum presidium ad te confugimus“ singt (» Abb. Summe laudis o Maria, » Abb. Summe laudis o Maria, Initiale) und sich damit höchstpersönlich aktiv in den Schutz Mariens stellt. Besonders bemerkenswert ist darüber hinaus, dass der Text den Eindruck erweckt, mit dem „Sohn Marias“ sei offenbar keineswegs allein Jesus (der nie namentlich genannt ist), sondern ebenso der zu preisende Maximilian gemeint (» D. Obrechts Missa Salve diva parens, Kap. „Mehrfacher Sinn“: Maria als Mutter des zukünftigen Herrschers).

 

 

Benedictus de Opitiis folgte in seiner vierstimmigen Vertonung der Gliederung des Textes und setzte klare mehrstimmige Kadenzen am Schluss von fast jeder Texteinheit. Er komponierte – wie für die Gattung Motette in der Zeit üblich – einen stark imitatorisch geprägten vierstimmigen Satz und arbeitete dabei bestimmte Textstellen durch eine homorhythmische Führung der Stimmen besonders verständlich heraus: so im klangvollen Begrüßungsabschnitt „Summe laudis o Maria […] glorie“, bei der Versicherung des Kampfes im Gottvertrauen (6. Textabschnitt) und in den beiden Schlussabschnitten (13. und 14.), in denen durch musikalische Doppelpunktsetzungen nach „cunctipotem“ und „Maximilianum“ die Bitten, Gott, der Allmächtige, möge den friedensreichen Kaiser Maximilian und das kaiserliche Österreich in Ewigkeit bewahren, besonders herausgestrichen werden.

(» Hörbsp. Summe laudis o Maria)

[14] Der Druck wurde in zwei Ausgaben (eine mit einer Inhaltsangabe in Niederländisch, die andere mit einer Inhaltsangabe in Latein) hergestellt und liegt als kommentiertes Faksimile vor: Nijhoff 1925, mit einer Übertragung der beiden Motetten von Charles Van den Borren als Beilage. Vgl. dazu Schreurs 2001 sowie Wouters/Schreurs 1995. Für ein vollständiges Digitalisat der lateinischen Ausgabe siehe: http://depot.lias.be/delivery/DeliveryManagerServlet?dps_pid=IE4756261.

[15] Zwar war bereits früher in Antwerpen ein Musikdruck mit dem kaiserlichen Wappen und dem der Markgrafschaft Antwerpen hergestellt worden: » Principium et ars tocius musice, Antwerpen: Jost de Negker (c. 1500–1508). Dabei handelt es sich aber um eine Darstellung der Guidonischen Hand mit Mensuralnoten und Kommentaren, nicht um eine mehrstimmige Komposition. Vgl. Schreurs/Van der Stock 1997; ebenda, 173 auch ein Faksimile.

[16] Schlegelmilch 2011, bes. 443–447.

[17] Benedictus hatte von 1512 bis 1516 das Amt des Organisten an der Antwerpener Kirche Zu Unserer Lieben Frau inne und ging in der Folge an den englischen Königshof. Von ihm sind nur diese beiden Kompositionen bekannt.

[18] Victoria Panagl weist besonders auf die Zeilen „Ergo Cesar quum nec deus / rerum metas neque tempus / tuo dat imperio (7. Strophe; „Daher Kaiser, weil Gott deiner Herrschaft weder räumlich noch zeitlich Grenzen setzt“), hin, die als Vergilzitat nachdrücklich auf den Machtanspruch Maximilians (als Nachfolger des Imperium Romanum) verweisen: In der Aeneis (1,278: „his ego non metas rerum nec tempora pono“) spricht Jupiter diese Worte aus und blickt damit auf die ruhmvollen Herrscher des Römischen Reiches voraus (vgl. Panagl 2004, bes. 73–81, hier 78).

[19] Vgl. Dunning 1970, 61–64.