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Wasserzeichen und Geographie: ein Methodenproblem

Reinhard Strohm

Von der Verbreitung von Papiersorten auf die geographische Herkunft einzelner Manuskripte zu schließen, ist keine anerkannte Methode der Papierforschung. Zu gut ist bekannt, dass Papier im Handel weit verbreitet wurde. Einige der in Trient 90 verwendeten Papiere zirkulierten auch z.B. im Baltikum. Die in Trient 93 und 90 verwendeten Papiere „Ochsenkopf I-VI“, „Kreuz“, „Dreiberg mit Kreuz“ und „Turm“ stammten aus norditalienischen Papiermühlen.[17] Sie wurden über den Brenner („Pass Lueg“) sowie über Inntal und Fernpass nach München, Augsburg und Nürnberg verkauft. Kleriker, Gelehrte und Diplomaten dürften Papier auf Reisen mitgeführt haben, unter ihnen vielleicht Johannes Wiser und andere Mitglieder des Trienter Klerus, die z.T. in Österreich, Bayern, Schwaben und im Veneto zuhause waren.

Trotzdem sei Wrights Methode nicht pauschal zurückgewiesen, sondern als Anstoß zum Überdenken herkömmlicher Methoden begrüßt. Vielleicht ist sie zusammen mit anderen Kriterien (z.B. biographischen Daten) und mit wirklich flächendeckender Materialermittlung brauchbar. Doch bisher liegt eine statistische Verzerrung vor.[18] Es war zu erwarten, dass die Trienter und Tiroler Archive weniger Dokumente anzubieten hatten als die Bayerische Staatsbibliothek und die Kurbayrischen Abteilungen des Hauptstaatsarchivs München, auf die Wright seine Recherchen konzentrierte.[19] Dass einige Papiere von Trient 90 in Trienter Archiven nicht vorkommen, dürfte als einfache Überlieferungslücke erklärbar sein. Wahrscheinlich gibt es von der Trienter Verwaltung ohnehin weniger datierte Papierdokumente aus dieser Zeit, weil man vor ca. 1460 wichtige Urkunden noch öfter auf Pergament schrieb als an weltlichen Höfen. Dass Wiser die fraglichen – italienischen – Papiere in Trient selbst erworben hat, ist keineswegs unwahrscheinlich: Wenn er (wie heute allgemein angenommen) seine Abschrift in eigenem Interesse vornahm, konnte er dafür nicht auf die bischöfliche Kanzlei zurückgreifen. Doch noch mehr als dieses Fehlen in Trienter Archiven gibt zu denken, dass die drei Papiersorten von Tr 93-1 in Innsbrucker Dokumenten um 1450-1451 so häufig sind (10 Belege).[20]

[17] Oberitalienischer Herkunft sind nach den Piccard-Findbüchern die folgenden Papiersorten: „Ochsenkopf I-VI“: Piccard 1966, Bd. 1, S. 33-34 zu Abt. XII, 67-68, 177-178, 253-257, Abt. XIII, 37-39, 246-247; „Kreuz“; Piccard 1981, S. 12; „Dreiberg mit Kreuz“: Piccard 1996, Bd. 1, S. 11 und Bd. 2, S. 6 (auch aus Basel); „Turm“: Piccard 1970, Abt. II, S. 13. Nach Thiel 1932, 118, der sich auf Friedrich von Hößle stützt, wurde die älteste Papiermühle Altbayerns 1479 in Schrobenhausen gegründet. Wright, ebenfalls unter Berufung auf von Hößle, hält die Existenz altbayerischer Papiermühlen vor dem späten 15. Jahrhundert für möglich (2003, 292-293, Anm. 75). Seine München-These ist von anderen Forschern offenbar unter der Annahme verbreitet worden, die Papiere selbst seien bayerischer Herkunft: vgl. Fallows 1998, 305; Schwindt 1999, 43-45; Gozzi, Sequenze 2012.

[18] Wright 2003, 290, 292 und 294, erwähnt diese Möglichkeit (z. B. S. 290: „The libraries and archives of Trent and the surrounding region simply do not afford comparable opportunities – at least for the 1450s – for solid conclusions about paper to be drawn”) und räumt deshalb deutlich ein, dass Trient als Herkunftsort der Handschrift Trient 90 nicht auszuschließen sei.

[19] Vgl. Wright 2003, 289. Wien betreffend hatte Wright 1996, 43, Anm. 39, mitgeteilt, dass die betreffenden Papiersorten in datierten Handschriften der ÖNB und in datierten Archivmaterialien des Wiener Stadt-und Landesarchivs unauffindbar waren. Das reiche Material des Wiener Haus- Hof- und Staatsarchivs scheint bisher noch unberücksichtigt.

[20] Wright 2003, 311.