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Romanorum rex inclyte

Mirjam Kluger

Die Huldigungsmotette Romanorum rex inclyte (» Hörbsp. ♫ Romanorum rex inclite) zum Tod König Albrechts II. 1439 ist neben O rex Fridrice für Friedrich III. (» Kap. O rex Fridrice) die einzige erhaltene Motette aus dem 15. Jahrhundert, die einen eindeutigen Bezug zu einem habsburgischen Fürsten aufweist.[97] Beide Werke sind nur aus dem Codex Aosta (» I-AO Cod. 15) bekannt. Zu Maximilian sind ausschließlich nach 1500 entstandene Herrschermotetten, u. a. von Heinrich Isaac, überliefert; selbiges trifft auf herrscherhuldigende Messen zu.[98]

Von der älteren Forschung wurde Johannes Brassart als Komponist von Romanorum rex inclyte angenommen. In der neueren Zeit wird sie aber Johannes de Sarto zugeschrieben.[99] Die Identität von de Sarto ist nicht geklärt. Er könnte eventuell mit Jean du Sart (von 1455 bis in die 1460er Jahre Kantor und Chorleiter in Cambrai), wahrscheinlicher mit Jean de Sarto (1401–1430 Kanoniker an Saint Jean l’Evangéliste in Lüttich) oder Johannes Doussart (1457 Bewerbung um ein Kaplansamt nahe Lüttich) identisch sein.[100]

In der vierstimmigen Motette tragen die Oberstimme und die beiden Kontratenores das Huldigungsgedicht Romanorum rex inclyte; der Tenor trägt als Cantus firmus den Anfang des Introitus der Totenmesse (Requiem aeternam).“ Der Oberstimmentext der Motette lässt sich grob in einen ersten, den Herrscher anrufenden und huldigenden Textteil und in einen anschließenden Gebetsteil unterteilen. Erst wird der Herrscher namentlich und in seiner Stellung als König angerufen, dann in seinen herrscherlichen Eigenschaften – als edel, klug und fromm – beschrieben und seine Wertschätzung durch die Untertanen ausgedrückt. Im folgenden Teil werden die namentlich angesprochenen königlichen Kantoren dazu angehalten, Christus anzusingen und seine Mutter Maria zu bitten, Albrecht II. zum ewigen Leben zu verhelfen. Der auch zu Beginn geäußerte Wunsch, der König möge ewigen Frieden und Ruhm finden, rahmt den Text ein. [101] Vgl. Abb. Romanorum rex inclyte, Text.

 

Abb. Romanorum rex inclyte, Text

Oberstimmentext der Motette Romanorum rex inclyte mit deutscher Übersetzung (Texte nach Panagl 2003, S. 22f., revidiert von Reinhard Strohm).

 

In der musikalischen Gestaltung ist Romanorum rex inclyte eine großangelegte isorhythmische Motette. Sie ist disponiert mit nur einer Oberstimme, einem hohen Kontratenor und Tenor in gleicher Tonlage und einem tieferen Kontratenor. Der Tenor trägt den Melodieausschnitt zu den ersten Worten des Introitus der Totenmesse (Requiem aeternam) als Cantus firmus. Diese Stimmdisposition greift den kompositorischen Entwicklungen des späteren 15. Jahrhunderts voraus und weist die Motette als fortschrittliche Komposition aus. Auch die metrische Gestaltung mit der Abfolge von dreizeitigem, zweizeitigem und wieder dreizeitigem Metrum ist fortschrittlich; sie wird für die vierstimmige Motette und Messe der zweiten Jahrhunderthälfte typisch. Mit der isorhythmischen Durchdringung aller Stimmen hingegen bleibt das Werk der traditionellen isorhythmischen Motette verbunden.[102]

Auffällig ist die prominente musikalische Gestaltung des verhältnismäßig kurzen Schlussmelismas auf Amen. Es wird vorbereitet durch ein – durch das Zusammenspiel der verschieden gestalteten isorhythmischen Strukturen der vier Stimmen erwirktes – rhythmisches Zuruhekommen und verstärkte Melismatik im vorangehenden Abschnitt. Nach einer Kadenz und der einzigen in der Motette auftretenden Generalpause setzt das Schlussmelisma in allen Stimmen gleichzeitig ein. Es ist vom Vorherigen abgesetzt und in seiner Wirkung verstärkt durch das Fehlen von Isorhythmie, seine weitgehend homorhythmische Vertonung in langen Notenwerten und die Erweiterung zur Sechsstimmigkeit. Auch die bedeutenderen Stellen des Oberstimmentextes erfahren eine Akzentuierung durch u. a. Homorhythmie und längere Notenwerte, vorangestellte Pausen und Stimmverdopplungen.

[97] Panagl 2003, S. 22; Kluger 2013, S. 83. Als Ausgangsmaterial für die musikalische Analyse von Romanorum rex inclyte und O rex Fridrice diente Keith E. Mixter (Hg.): Johannis Brassart. Opera Omnia.Tonus II. Motetti (Corpus mensurablilis musicae 35), [o. O.]: American Institute of Musicology 1971.

[98] Ammendola 2010, S. 73ff.; Panagl 2003.

[99] Lindmayr-Brandl 2000, Sp. 757; Panagl 2003, S. 22.

[100] Boone, Graeme, Art. „Sarto, Johannes de“, in: MGG Online https://www.mgg-online.com/mgg/stable/15982 [1.3.2019].

[101] Für eine textlich-musikalische Analyse siehe Panagl 2003, S. 23–26, und Kluger 2013.

[102] Cumming 1999, S. 209, 214f.; Finscher 1989/90, S. 288.