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O rex Fridrice

Mirjam Kluger

Johannes Brassarts Huldigungsmotette O rex Fridrice (» Hörbsp. ♫ O rex Fridrice) ist das einzige bisher bekannte repräsentative Musikstück, das in Wort und Ton erhalten ist und einen offensichtlichen Bezug zu Friedrich III. aufweist.[103] Von dem Komponisten Petrus Wilhelmi von Grudencz, der sich in den frühen 1440er Jahren als Kaplan Friedrichs nachweisen lässt, ist nur der Text seiner Motette Pontifices ecclesiarum erhalten, in dem Friedrich III. scheinbar angesprochen wird.[104]

Als Entstehungsanlass von O rex Fridrice wird allgemein Friedrichs Annahme der Wahl zum römisch-deutschen König 1440 oder seine Königskrönung 1442 vermutet.[105] Catherine Saucier schlägt als konkreteren angedachten Aufführungsrahmen die Zeremonie des königlichen Einzugs bzw. Herrschaftsantritts vor. Ihrer Meinung nach wären im Kontext der jahrhundertealten Tradition gesungener Ehr- und Anerkennungsbezeugungen bei herrscherlichen Einzügen und Krönungsfeierlichkeiten die vielen Städteeinzüge, die Friedrich III. auf seiner Krönungsreise absolvierte, für die Darbietung der Motette besonders geeignet gewesen.[106]

In der vierstimmigen Motette tragen die drei oberen Stimmen das Huldigungsgedicht O rex Fridrice und die tiefste Stimme, der Tenor, die Antiphon In tuo adventu erue nos domine. Die Antiphon In tuo adventu erue nos domine („In deinem Kommen erlöse uns, Herr“) wurde im Advent und an Mariä Verkündigung gesungen. Laut Saucier weist auch das Huldigungsgedicht zahlreiche symbolische Anspielungen auf das Kommen Christi im Advent auf, wie sie für die Gestaltung königlich-kaiserlicher Einzugszeremonien im Allgemeinen typisch waren. Die im Oberstimmentext wie in der Antiphon wiederholt ausgedrückten Erwartungen auf Frieden und Erlösung sind der wesentliche Kern der Adventsbotschaft und waren aufgrund des Verständnisses seines Kommens in Analogie zu dem Christi auch die zentralen Erwartungen an den neuen König.[107] O rex Fridrice ist nicht die einzige Motette für ein herrscherliches Inthronisationszeremoniell, die starke Bezüge zur Adventsliturgie aufweist; auch einigen anderen Krönungsmotetten aus dem 14. bis 16. Jahrhundert liegt ein Adventsgesang als Cantus firmus zugrunde. [108]

Mit Romanorum rex inclyte (» Kap. Romanorum rex inclyte) weist O rex Fridrice nicht nur Gemeinsamkeiten in der grundsätzlichen textlichen Anlage auf – drei Stimmen mit neugedichtetem panegyrischen Text und ein Tenor mit einem Cantus firmus, der thematischen Bezug zum Entstehungsanlass hat; auch bei der Gestaltung der neugedichteten Texte bestehen große Gemeinsamkeiten. Zwar ist Romanorum rex inclyte in freien Versen, O rex Fridrice hingegen in „leoninischen“ (gereimten) Hexametern verfasst, doch lässt sich auch  O rex Fridrice in einen den Herrscher akklamierenden und einen gebetsartigen bzw. einen zum Gebet aufrufenden Teil untergliedern. Und auch hier wird der Herrscher im ersten Teil adressiert und in bestimmten Eigenschaften gehuldigt – als Freund des Friedens, Beschützer der Geistlichkeit und Führer des Volkes – und das Herrschaftsgebiet angesprochen – Friedrich III. wird als Nachfolger Albrechts II. und Herrscher von Österreich genannt und Albrecht II. als vom deutschen und böhmischen Volk geliebt beschrieben. Anstatt des Aufrufs an die königlichen Kantoren in Romanorum rex inclyte, Christus und Maria um ihren Beistand für das ewige Leben und den ewigen Ruhm des verstorbenen Königs zu bitten, folgt bei O rex Fridrice dann die Anrufung Marias um ihre Unterstützung für den neuen König, vor allem bei der Schaffung bzw. Bewahrung des Friedens. Es erscheint auffällig, wie viel Platz der Anrufung Marias bzw. der Aufforderung an das Gebet zu Maria und Jesu Christi in den beiden habsburgischen Motetten eingeräumt wird. Sie sind also trotz ihres Bezugs zum Königshof stark im sakralen Bereich verhaftet.[109]

 

Abb. O rex Fridrice, Text

Abb. O rex Fridrice, Text

Oberstimmentext der Motette O rex Fridrice mit deutscher Übersetzung  (Texte nach Panagl 2003, S. 27, revidiert von Reinhard Strohm).

 

Notenbsp. O rex Fridrice (3 Abbildungen)

Notenbsp. O rex Fridrice, Takt 1–27
Notenbsp. O rex Fridrice, Takt 28–39
Notenbsp. O rex Fridrice, Takt 40–49

Beginn der vierstimmigen Huldigungsmotette O rex Fridrice zur Königswahl oder Krönung Friedrichs III. (nach Mixter 1971, S. 27).

 

O rex Fridrice gehört zu den groß angelegten Motetten Brassarts und ist wie alle seine vierstimmigen Motetten mit zwei Oberstimmen und zwei Unterstimmen im je gleichen Tonraum angelegt. Wie bei Romanorum rex inclyte handelt es sich auch hier um eine isorhythmische Motette. Allerdings hat O rex Fridrice nur einen isorhythmisch gestalteten Tenor. Dieser trägt als Cantus firmus die gesamte Melodie der Antiphon In tuo adventu erue nos domine vor. Keiner der übrigen bekannten Motetten Brassarts liegt ein Cantus firmus im Tenor zugrunde. Auch ist O rex Fridrice mit Abstand die rhythmisch komplexeste Motette Brassarts. Es ist die einzige Motette, bei der er sowohl zwei- wie dreizeitige Mensuren verwendete, die auch noch ungewöhnlich häufig und dabei nur ein einziges Mal zeitgleich in allen Stimmen wechseln.[110]

Die isorhythmische Anlage spielt eine wesentliche Rolle für die Gesamtwirkung und die Symbolik der Motette. Die isorhythmischen Einheiten im Tenor sind hervorragend mit Verswechseln und textlichen Sinneinheiten des von den restlichen Stimmen getragenen Huldigungsgedichts abgestimmt. Das einleitende Oberstimmenduett und der Großteil des ausladenden Schlussmelismas auf Amen – es nimmt nahezu ein Drittel der Komposition ein – sind von der Isorhythmie ausgenommen. Während im Tenor der letzte isorhythmische Abschnitt erklingt, setzen die Oberstimmen bereits zum Schlussmelisma an. An dieser Stelle tritt die Besonderheit der isorhythmischen Anlage von O rex Fridrice besonders zu Tage: Die Antiphon In tuo adventu erue nos domine läuft im Tenor insgesamt vier Mal durch, wobei durch Wechsel der Mensur das Vortragstempo von Mal zu Mal gesteigert wird. Dadurch wird die Antiphon mit jedem Mal deutlicher erkennbar. Beim letzten Durchlauf, in „normalisiertem“ Vortragstempo und nur begleitet durch den quasi textlosen Vortrag des Melismas auf Amen, ist sie unter den übrigen Stimmen klar herauszuhören. Danach fällt auch der Tenor in das Amen ein, das sich ab hier homorhythmisch, in ausgedehnten Notenwerten in die abschließende zur Fünfstimmigkeit erweiterte, volltönende Kadenz bewegt. Keine der anderen Motetten Brassarts weist auch nur ansatzweise eine vergleichbar prominente Schlussgestaltung auf.

Auch was die weitere musikalische Umsetzung des neugedichteten Textes anbelangt, ist O rex Fridrice kunstvoll gestaltet. Mit verschiedenen Mitteln (u. a. Homorhythmie, Syllabik, Imitation, Melismen, Pausen, Kadenzen) macht Brassart die zentralen Wörter und Abschnitte verständlich und hebt sie aus der Gesamtkomposition hervor. Der Name und Titel Friedrichs (rex Fridrice) sind aus der gesamten kompositorischen Anlage durch die homorhythmische Vertonung in sehr lang ausgehaltenen Notenwerten ganz besonders herausgestellt. Dies ist ein Stilmittel, das Brassart auch in anderen Motetten zur Anwendung bringt, um der Akklamation des Gehuldigten in der Gesamtkomposition besonderes Gewicht und klare Verständlichkeit zu verleihen. Der Einsatz von Oberstimmenduetten dient gleich auf zweierlei Weisen zur Umsetzung des Textes: Außer den ersten Versen sind die Passagen post mortem regis Alberti clari und O Christi genitrix, sis principis auxiliatrix zweistimmig angelegt. So dienen die Oberstimmenduette der klareren Verständlichkeit und dem Kontrast zum sonst drei- bis vierstimmigen Satz der Nennungen der beiden Könige Albrecht II. und Friedrich III. und der Mutter Christi als Helferin des Fürsten. Aufgrund der genannten Eigenschaften hat O rex Fridrice unter den Motetten Brassarts einen ganz besonderen Festcharakter.

[103] Vgl. Kluger 2013, S. 104. Für eine ausführlichere Analyse von O rex Fridrice siehe Kluger 2013.

[104] Gancarczyk 2006, S. 105f.; Strohm 1993, S. 263.

[105] Panagl 2003, S. 26; Strohm 1993, S. 256.

[106] Saucier 2008.

[107] Saucier 2008Panagl 2003, S. 28f. Saucier bietet eine ausführliche Auslegung zu den textlichen Bezügen und symbolischen Deutungsmöglichkeiten von O rex Fridrice, hauptsächlich in Bezug auf die christliche Liturgie und religiöse Schriften.

[108] Saucier 2008, S. 178f.; Kluger 2013, S. 90f.

[109] Panagl 2003, S. 24, 27.

[110] Für die Mensuren in O rex Fridrice see Saucier 2008, S. 161ff., und Cuyler 1974, S. 485–488.