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Resonet in laudibus und Kindelwiegen

Reinhard Strohm

Jeder kennt das Weihnachtslied Joseph, lieber neve mein, das schon um 1420 überliefert wurde und angeblich den Mönch von Salzburg zum Autor hat (» B. Geistliche Lieder des Mönchs von Salzburg, » B. Geistliches Lied).[25] Es ist eine Bearbeitung der berühmten Cantio Resonet in laudibus, und auch diese ist bei genauerem Suchen in der Seckauer Handschrift zu finden. Im Ordinarius steht sie auf fol. 34v: Sie wird in der Weihnachtskomplet im Wechsel mit dem Canticum Simeonis, Nunc dimittis, und der Antiphon Magnum nomen domini vorgetragen. Im Cantionarius (fol. 187r–188r) gehört sie zu einer größeren Gruppe miteinander verzahnter Lieder zur selben Feier (vgl. Kap. Eine kunstvolle Aufführungsfassung von Resonet in laudibus).[26]  Vielleicht wurde Resonet in laudibus nicht nur vorgetragen, sondern auch szenisch ausgeführt: Es war nämlich ein Gesang zur Begleitung des „Kindelwiegens“, eines von den Niederlanden bis Ungarn verbreiteten populären Rituals, an dem Kleriker, Chorschüler und Laien beteiligt waren. Man stellte eine Krippe oder Wiege mit dem Jesuskind, Joseph und Maria in der Kirche auf (Joseph und Maria konnten auch von Klerikern dargestellt werden), sang Lieder und führte ein Spiel oder einen Dialog zur Geburt Christi auf, bei dem auch getanzt werden konnte (» A. Laienfrömmigkeit: Die Rolle der Kirche).[27] Es gab viele Fluktuationen und Varianten dieser Praxis; das Tanzen selbst wurde manchmal verboten. Doch die dabei gesungenen Lieder wurden weitervermittelt, so dass heute eine reiche schriftliche Tradition vorliegt. Die beiden bekanntesten Kindelwiegen-Lieder, ja die heute noch bekanntesten Melodien des Mittelalters überhaupt, sind In dulci jubilo (» B. Geistliches Lied) und Resonet in laudibus.

 

 

[25] DKL IIAmeln 1970.

[26] Zu beiden Fassungen vgl. Behrendt 2009, S. 417–421, mit Textedition der Fassung des Liber ordinarius.

[27] Zum Kindelwiegen vgl. » A. Laienfrömmigkeit: Die Rolle der Kirche; zu den Liedern  ausführlich Ameln 1970, 65–91; Tanz von Maria und Joseph ist in einem der Spiele erwähnt (vgl. S. 75).