Kindelwiegen
Dieser in Böhmen, Bayern und den österreichischen Ländern besonders häufig bezeugte Brauch zur Weihnachtszeit (» A. Weihnachtsgesänge) wurde bereits im 12. Jahrhundert von Gerhoh von Reichersberg als Ausbruch aus der strengen Gottesdienstordnung getadelt.[11] Bei der Kindelwiegenfeier wurde unter Glockenklang und Gesang ein holzgeschnitztes Kind in einer Wiege von Mönchen oder Nonnen eines Klosters, später vor allem von Schülern, gewiegt und den Umstehenden zum Küssen gereicht. Der Brixner Dommesner Veit Feichter dokumentiert das „kindl wiegen“ für die Zeit vom Neujahrstag bis Lichtmess (2. Februar) und zwar in einer mehr und einer weniger festlichen Fassung.[12] Die einfachere Feier fand bei der Vesper am Neujahrstag nach dem „Nunc (dimittis)“, bekannt als Lobgesang Simeons (Lukas 2, 29–32), statt: Der Mesner trug „das kindl mit dem wiegl“ aus der Sakristei hinunter zum St. Stephans- oder Volksaltar. Sobald das „puer nat(us in Betlehem)“ angestimmt wurde, nahm er das Kind aus der Wiege und reichte es den umstehenden Kindern zum Küssen.
Dabei achtete der Mesner streng auf Disziplin und hatte vorsichtshalber eine Rute, das bevorzugte Erziehungsmittel des Mittelalters, bei sich, „dan die puebm seint vast unzogen“ (sehr ungezogen). Unbedingt musste er deshalb verhindern, dass die Kinder die Holzfigur selbst in die Sakristei zurückbrachten. Während (unter Leitung eines Klerikers oder des Schulmeisters) das Kindelwiegen stattfand, löschte der Mesner auf dem Chor die Kerzen, verstaute Leuchter und Kerzenstangen in der Sakristei und nahm auch schon das Altartuch und den Teppich vor dem Choraltar weg. − Wenn aber der Neujahrstag ein Samstag war, wurde das Kindelwiegen aufwändiger gestaltet: Es begann mit einer besonderen Art des Läutens, die in Brixen „kindl wiegen mit den gloggen“ hieß und leider von Feichter nicht weiter beschrieben wird. Festkerzen wurden aufgesteckt, Weihrauch kündigte den besonderen Akt am Ende der Komplet nach dem Nunc dimittis an. Dann wiegten zwei Schüler das Kindel bei einem „wiegen gsang“, möglicherweise dem bekannten Resonet in laudibus oder dessen deutscher Bearbeitung Joseph lieber neve mein. Neben den beiden Sängerknaben spielte der Schulmeister, der in Brixen vornehmlich als Solosänger auftrat, eine wichtige Rolle. Er führte den Schülerchor vom Chorraum hinunter zum Leutealtar und sang mit ihm dort die Marianische Antiphon Salve regina, anschließend die Sequenz Gaude dei genitrix und schließlich die cantio Puer natus in betlehem. Unterdessen sollten die beiden Schüler, die den Wiegengesang gesungen hatten, Abstand von der Wiege halten. Bereits nach dem Salve regina reichte der Mesner den anderen Schülern das „Kindel“ zum Küssen.
[12] Vgl. Hofmeister-Winter 2001, 151–152, fol. 29v–30r.
[1] Als ikonographischer Bildtypus ist der „gute Hirte“ vor allem dem frühen Christentum geläufig; aber noch heute wird der vierte Sonntag nach Ostern als „Gut-Hirten-Sonntag“ gefeiert (Joh 10, 1–30).
[2] Vgl. Trenkwalder 1986, 130–153.
[3] Vgl. Trenkwalder 1984, 147–165; Trenkwalder 1985, 38–53.
[4] Vgl. Wolfsgruber 1987, 19–20 u. a.
[5] Hier am Beispiel des Brixner Kreuzgangs, Wolfsgruber 1988, passim.
[6] Zu Dom und Dombezirk siehe Hofmeister-Winter 2001, 64–69, dazu Abb. 7–10; Wolfsgruber 1988, 7–9.
[7] Vgl. Loose 2006, 171–191.
[8] Vgl. Saunders1984, 173–193, mit Anmerkungen zu den liturgischen Reformen von 1453 und 1455.
[9] Vgl. Hofmeister-Winter 2001, 15–22; Text des Brixner Dommesnerbuchs, passim.
[10] Hofmeister-Winter 2001. Zum Editionskonzept vgl. S. 9–14.
[12] Vgl. Hofmeister-Winter 2001, 151–152, fol. 29v–30r.
[13] Vgl. Hofmeister-Winter 2001, 223–233, fol. 65r–69v.
[15] Gesänge der Palmsonntagsprozession von St. Stephan in Wien sind erwähnt in Kapitel » E. Städtisches Musikleben.
[16] Hofmeister-Winter 2001, 233–238, fol. 70r–72v.
[17] Hofmeister-Winter 2001, 238–260, fol. 73r–85r.
[18] Vgl. Hofmeister-Winter 2001, 256–257, fol. 82v.
[19] Hofmeister-Winter 2001, 260–294, fol. 85r–103v.
[20] Engels 2012, 5 und hier » A.1 Osterfeier.
[21] Vgl. Schwob 1994, 164–167.
[22] Zur Beschreibung der depositio crucis in der Diözese Salzburg vgl. » A. Osterfeier.
[23] Responsorien aus dem Buch der Klagegesänge: „Ecce quomodo moritur, Sepulto domino, Recessit pastor“, Hofmeister-Winter 2001, 269, fol. 89v.
[24] Hofmeister-Winter 2001, 284, fol. 98r.
[25] Zur Beschreibung der visitatio sepulchri in der Diözese Salzburg vgl. » A.1 Osterfeier.
[26] Vgl. Schwob 1994. Zur Leise Christ ist erstanden vgl. » B. Geistliches Lied. Näheres zu deutschsprachigen geistlichen Spielen vgl. » H. Musik und Tanz in Spielen und » H. Sterzinger Spielarchiv.
[27] Hofmeister-Winter 2001, 287, fol. 100r.
[28] Vgl. Hofmeister-Winter 2001, 324–325, fol. 119v–120r.
[29] Vgl. Hofmeister-Winter 2001, 334f., fol 125rv.
[30] Vgl. Hofmeister-Winter 2001, 326, fol.120v–121r.
[31] Vgl. Schwob 1989, 128–142.