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Religiöse Bilder

Ute Monika Schwob

Wer sich heute auf eine Reise zu spätmittelalterlichen Kunstdenkmälern begibt, wird sich der Faszination der allseits präsenten religiösen Bilderwelt, insbesondere der Fresken und Tafelbilder, nicht entziehen können. Von Außen- und Innenwänden der Kirchen und Kapellen, von Altären, Deckengewölben und in Kreuzgängen leuchten sie dem Betrachter entgegen, wecken Staunen und Nachdenklichkeit. Ähnlich dürfte es dem damaligen Laien ergangen sein, für den diese Bilder zugleich anschauliche Ausbildung, Erziehung in religiösen Belangen und anregende Unterhaltung bedeutet haben. Der Kirche bot diese unter ihrer Aufsicht entstandene Bilderwelt Möglichkeiten zur Einflussnahme auf die Beschauer.

Im Dombezirk der Bischofsstadt Brixen und den zahlreichen Kirchen und Kapellen der Umgebung wurde um 1250 die zuvor betonte erhabene Würde romanischer Kunstdenkmäler mit ihrer Vorliebe für ausgreifende Gedankenkonstruktionen und umfassende allegorische Programme von einer zunehmenden Diesseitszuwendung abgelöst.[4] Inniges Gefühl bei Darstellungen der Gottesmutter mit Kind sowie krasses Leiden bei der Passion und Kreuzigung Christi wurden sichtbar gemacht. Seit der Mitte des 14. Jahrhunderts kam Interesse an höfisch-eleganten Formen auf, bald gefolgt von der bürgerlich-realistischen Aussagekraft der Spätgotik, die bis etwa 1520 ihre Blütezeit hatte. Die Auswahl an Stoffen und Themen[5] entsprach dem stilistischen Wandel: Den so genannten „schönen Madonnen“ (um 1380–1420) folgten die betont menschlichen mit ihrer Demut (Verkündigung), Freude (Geburt, Anbetung der Könige) und ihrem Leid (Pietà) (vgl. die Marien-Abbildungen in » C. Engelsmusik, » J. Himmlische und irdische Musik).

Der leidende Christus (Kreuztragung, Kreuzigung) lud zur mystischen Meditation ein, der Auferstandene verkündete das Erlösungswerk. Um 1450 stiegen Zahl und Qualität der kirchlichen Kunstwerke noch einmal an: Genreszenen aus dem Leben Jesu und Mariens, Märtyrer- und Heiligenlegenden, alttestamentarische und antike Präfigurationen Christi, Tod und Teufel, Symboltiere, allseits präsente Engel, die sieben Hauptsünden, Tugenden und Laster und die sechs Werke der Barmherzigkeit gelangten zur Darstellung. Dazu kamen der Ritterheilige Georg, die jeweiligen Kirchenpatrone und immer wieder der heilige Christophorus an Außenwänden von Kirchen und Kapellen, weil sein Anblick den Beschauer angeblich einen Tag lang vor jähem Tod schützte.

Abb. Die Werke der Barmherzigkeit

Fresko um 1450, Dom zu Brixen Kreuzgang. Jesus spricht: „Esurivi et dedistis michi manducare“ (Ich war hungrig und ihr habt mir zu Essen gegeben). Das Brot austeilende Paar ist wohlhabenden Standes, wie die Schlüssel, das Messer und der Geldsack am Gürtel des Mannes erweisen. (Nach Wolfsgruber 1988, S. 102)

Der spätmittelalterliche Laie sollte in solchen Bildern lesen wie in einem Buch, er sollte unterwiesen werden wie durch eine Predigt, er sollte sich versenken, um Empfindungen der Frömmigkeit zu erfahren. Um das zu erreichen, bedienten sich die Künstler, beraten und unterstützt vom Klerus, einer Ausdrucksweise, die wir „realistisch“ nennen: Das Überirdische aus Bibel und Legende, der hohe moralische Anspruch der Kirche und schwer verständliche theologische Wahrheit wurden ikonographisch in den spätmittelalterlichen Alltag und Festtag integriert. Es ist ein künstlicher Alltag, der die Geburt Christi in eine mittelalterliche Wöchnerinnenstube verlegt, der die bösen Peiniger Christi mit hässlichen Fratzen und übertriebenen Modetorheiten des Spätmittelalters ausstattet, der die beliebte heilige Nothelferin in vornehm zurückhaltender Adelskleidung, den heiligen Georg als gewappneten Ritter hoch zu Ross und Engel singend oder bekannte Instrumente spielend darstellt. Aber eben diese den Beschauern vertraut erscheinenden Äußerlichkeiten wurden verstanden und konnten so ihre Wirkung umso besser entfalten.

[4] Vgl. Wolfsgruber 1987, 19–20 u. a.

[5] Hier am Beispiel des Brixner Kreuzgangs, Wolfsgruber 1988, passim