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Der Kirchenraum als Schauplatz religiöser Riten

Ute Monika Schwob

Der konkrete Raum, in dem die nachfolgend skizzierten liturgischen Feiern stattfanden, war der alte Brixner Dom.[6] Er präsentierte dem Besucher im Westen eine Doppelturmfassade mit fünf kleineren Glocken im Nord- und einer sechsten großen Glocke im Südturm sowie einer Vorhalle mit dem Hauptportal.

 

Innen öffnete sich ein dreischiffiges Langhaus, dessen Mittelschiff mit dem St. Stephan geweihten Volksaltar abschloss. Auffällig hoch über dem für die Laien vorgesehenen Kirchenraum, nämlich insgesamt 17 Treppenstufen, fast drei Meter höher, lag der Hochchor aus dem 15. Jahrhundert. Der Priesterchor in der Vierung mit den Chorstühlen für die Domherren, für die Chorherren Unserer Lieben Frau im Kreuzgang und die Dombenefiziaten sowie den Bänken für die Chorschüler lag tiefer und konnte vom Mittelschiff aus über zwei zehnstufige Treppen rechts und links des Volksaltars erreicht werden. Dass zudem ein Lettner, hinter dem der Bischofsthron stand, den Laien die Sicht auf die höheren Ebenen erschwerte, ließ keinen Zweifel an der Absicht der Verantwortlichen, Klerus und Laien auf Distanz zu halten. Der durch Glockenläuten gerufene, durch Gebete, Gesänge und Läutzeichen am Klangraum teilhabende, durch Kerzenlicht und Weihrauch von Lichtregie und Düften angezogene, vom Prediger ermahnte Laie konnte nur eingeschränkt sehen, was im kirchlichen Jahresfestkreis „dort oben“ geschah. Daraus resultierende Unruhe im Mittelschiff wurde in Kauf genommen, weniger das Gedrängel, wenn die Laien ausnahmsweise dem rituellen Geschehen näher rücken durften.

In und um den Dom gab es eine Reihe von Zubauten, entweder Kapellen oder auch nur Altäre, die auf Stiftungen aus dem 13. bis 15. Jahrhundert zurückgingen und jeweils mit Benefizien für Kapläne ausgestattet waren. Manche verfügten über mehrere solcher Kaplanstellen, so dass gegen Ende des Mittelalters 17 Altäre mit 20 Benefizien, deren Inhaber zur Beteiligung am Kirchengesang verpflichtet waren, eine beachtliche Zahl an Sängern garantierten. Hinzuzählen muss man die sechs Chorherren des Kollegiatstifts Unsere Liebe Frau, der ursprünglich Bischöflichen Kapelle, die auf eine hochmittelalterliche Stiftung zurückging.[7]

 

Abb. Grundriss des Brixner Doms

Abb. Grundriss des Brixner Doms

(a) Grundriss des Brixner Doms; (b) Grundriss des Brixner Doms mit Kreuzgang (rechts unten), Kollegiatstift Unsere Liebe Frau (links vom Kreuzgang) und Nebengebäuden. Mitte oben: Der alte Friedhof (Nr. 1), an dessen oberer (nördlicher) Seite die Stadtpfarrkirche St. Michael steht. (Hofmeister-Winter 2001, S. 72 und 74; nach G. Tinkhauser 1861)

Zusammen mit den Domherren und dem vom Schulmeister und Junkmeister geleiteten Chor der Domschüler scharten sich jedenfalls an Sonn- und Festtagen, vor allem zu den Hochfesten des Kirchenjahres, um die Mitte des Chorraumes, wo die Lesepulte standen, so viele für die musikalische Gestaltung zuständige Personen, dass sich der Zelebrant im Hochchor mitunter recht abgesondert vorgekommen sein dürfte. (» E. Städtisches Musikleben) Die liturgischen Choralbücher, aus denen gesungen wurde, sind für die Diözese Brixen noch relativ zahlreich erhalten.[8]

 

[6] Zu Dom und Dombezirk siehe Hofmeister-Winter 2001, 64–69, dazu Abb. 7–10; Wolfsgruber 1988, 7–9.

[7] Vgl. Loose 2006, 171–191.

[8] Vgl. Saunders1984, 173–193, mit Anmerkungen zu den liturgischen Reformen von 1453 und 1455.