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Legitimation des Irdischen?

Wolfgang Fuhrmann

Alle in der bildenden Kunst dargestellten Engelsmusiken bleiben unhörbar, so sehr sie den Betrachter an real erklingende Musik erinnern mochten, so sehr die Klänge ihres Musizierens auch über die unsichtbare Wand der Bildoberfläche hinauszudrängen scheinen. Tatsächlich ergibt eher die Umkehrung Sinn: Weniger lässt sich von den Bildern auf die real erklingende Musik rückschließen, sondern umgekehrt lassen jene dieser die Aura des Übersinnlich-Jenseitigen zuteilwerden. Dadurch wurde theologisch Fragwürdiges wie der Gebrauch von Instrumenten zum Gotteslob[7] legitimiert, die umstrittene Polyphonie nobilitiert und ihr jubilierend-freudiger Klang zur Engelsmusik erhoben.[8] So „erklingt“ in der Wiener Marienkönig (» Abb. Maria am Gestade) und schon in ihrem Vorbild – dem Genter Altar der Brüder van Eyck – an der Orgel ein Dreiklang als Symbol des unaufhörlichen Lobgesangs;[9] im „Jüngsten Gericht“ im Tiroler Ferdinandeum singen, während die Posaunen erschallen, drei Engel ein mensuriertes Gloria (» Abb. Das jüngste Gericht), und auf zwei Bildern eines Meisters aus Brügge und einem Deckengemälde im Château Montreuil-Bellay ist sogar eine veritable musikalische Komposition – Walter Fryes geistliches Chanson Ave regina celorum, mater regis angelorum – zu erkennen.[10]

[7] Dazu Fallows 1983Fallows 1985, v. a. 33; Nedden 1932/33, 31. Diese Belege zeigen vor allem den Gebrauch von „haute musique“, während die Engelskonzerte mit „basse musique“ vielleicht die Intimität einer häuslichen Aufführung suggerieren sollen.

[8] So der Theologe Gilles Carlier und andere, vgl. Fuhrmann 2014, 121–130.

[9] Fuhrmann 2014, 111–115.

[10] Fuhrmann 2014, 116–121 (dort auch weitere Literaturangaben).