Das Unzulängliche
Dennoch bleibt die irdische Musik unzulänglich, wie auch die Bilder der musizierenden Engel unzulänglich bleiben mussten. Beides bleibt bloße Andeutung „durch einen Spiegel in einem dunkeln Wort“ (1 Korinther 13,12) gegenüber einer himmlischen Wirklichkeit, die an den geistlichen, nicht an den physischen Sinnen ihr Maß nahm.[11] Vielleicht ist das sogar die tiefste „ikonologische“ Bedeutung der Engelsmusiken: durch die Aufbietung von allem, was die Welt an musikalischen Möglichkeiten zu bieten hatte, dessen Unzulänglichkeit den Betrachtern vor Augen zu führen. Sogar der Musikgelehrte und Komponist Iohannes Tinctoris, dem man eine Geringschätzung der polyphonen Kunstmusik seiner Zeit wahrhaftig nicht zum Vorwurf machen kann, meinte: „Aber in jenem himmlischen Vaterland wird die musikalische Praxis nicht allein verglichen mit jenen, die hier auf Erden zu den musikalisch Ungebildeten zählen, sondern selbst im Vergleich zu den musikalischen Fachleuten weitaus schöner, eleganter und feinsinniger sein, als in diesem irdischen Leben.“[12]
[11] Wald-Fuhrmann 2011; Pietschmann 2011; Pietschmann 2012; Pietschmann 2015.
[12] “Vsus tamen musice in ipsa celesti patria non modo ab his qui hic in ea minime sunt eruditi, uerum eciam ab edoctis erit multo dulcior, multo elegantior, multoque subtilior, quam hac in terrestri uita.” (Woodley 1985, 262).
[1] Vgl. beispielsweise die – anhand eines zentralen Texts – übergreifende Untersuchung von Heilmann 2007.
[2] Riedweg 2002, 47.
[3] Die wichtigsten biblischen Stellen: Jesaia 6,1–4; Ezechiel, 3,12 f.; Lukas 2,13 f.; Apokalypse, 4,8 sowie 14,2 f. und 19,1, 4,6.
[4] Nach wie vor grundlegend: Hammerstein 1962. Vgl. auch » C. Engelsmusik sowie Tammen 2014 und die dort in den Fußnote 7 und 229 genannten weiteren Arbeiten.
[5] Madonna mit Kind und musizierenden Engeln, Szépművészeti Múzeum, Budapest. Ähnlich auch Stefan Lochners Madonna im Rosenhag (um 1450).
[6] Vgl. dazu Tammen 2014, 232–235; » C. Engelsmusik.
[7] Dazu Fallows 1983; Fallows 1985, v. a. 33; Nedden 1932/33, 31. Diese Belege zeigen vor allem den Gebrauch von „haute musique“, während die Engelskonzerte mit „basse musique“ vielleicht die Intimität einer häuslichen Aufführung suggerieren sollen.
[8] So der Theologe Gilles Carlier und andere, vgl. Fuhrmann 2014, 121–130.
[9] Fuhrmann 2014, 111–115.
[10] Fuhrmann 2014, 116–121 (dort auch weitere Literaturangaben).
[12] “Vsus tamen musice in ipsa celesti patria non modo ab his qui hic in ea minime sunt eruditi, uerum eciam ab edoctis erit multo dulcior, multo elegantior, multoque subtilior, quam hac in terrestri uita.” (Woodley 1985, 262).
Empfohlene Zitierweise:
Wolfgang Fuhrmann: „Himmlische und irdische Musik“, in: Musikleben des Spätmittelalters in der Region Österreich <https://musical-life.net/essays/himmlische-und-irdische-musik> (2016).