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Das Unzulängliche

Wolfgang Fuhrmann

Dennoch bleibt die irdische Musik unzulänglich, wie auch die Bilder der musizierenden Engel unzulänglich bleiben mussten. Beides bleibt bloße Andeutung „durch einen Spiegel in einem dunkeln Wort“ (1 Korinther 13,12) gegenüber einer himmlischen Wirklichkeit, die an den geistlichen, nicht an den physischen Sinnen ihr Maß nahm.[11] Vielleicht ist das sogar die tiefste „ikonologische“ Bedeutung der Engelsmusiken: durch die Aufbietung von allem, was die Welt an musikalischen Möglichkeiten zu bieten hatte, dessen Unzulänglichkeit den Betrachtern vor Augen zu führen. Sogar der Musikgelehrte und Komponist Iohannes Tinctoris, dem man eine Geringschätzung der polyphonen Kunstmusik seiner Zeit wahrhaftig nicht zum Vorwurf machen kann, meinte: „Aber in jenem himmlischen Vaterland wird die musikalische Praxis nicht allein verglichen mit jenen, die hier auf Erden zu den musikalisch Ungebildeten zählen, sondern selbst im Vergleich zu den musikalischen Fachleuten weitaus schöner, eleganter und feinsinniger sein, als in diesem irdischen Leben.“[12]

[11] Wald-Fuhrmann 2011Pietschmann 2011Pietschmann 2012Pietschmann 2015.

[12] “Vsus tamen musice in ipsa celesti patria non modo ab his qui hic in ea minime sunt eruditi, uerum eciam ab edoctis erit multo dulcior, multo elegantior, multoque subtilior, quam hac in terrestri uita.” (Woodley 1985, 262).