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Die heutige Bedeutung des Liedmanuskripts Mus.ms. 3155

Nicole Schwindt

Auch wenn sich die genuine Absicht eines musico-poetischen Monuments der maximilianischen Liedkultur nicht in Gänze realisieren ließ, ist der Kodex heute ein überaus wichtiges und aussagekräftiges Schriftstück. Nicht nur, dass es die Wertschätzung dokumentiert, die der Gattung im Hause Habsburg und in dessen Umfeld entgegengebracht wurde, es ist auch für die heutige Kenntnis des Liedkorpus der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts eine zentrale Quelle. 19 der insgesamt 97 Tonsätze sind unikal überliefert,[24] von acht Liedern bietet es als einzige Quelle den vollständigen Stimmensatz.[25] Die Qualität des musikalischen Textes ist außerordentlich gut, Fehler und Versehen wurden unmittelbar in den Noten oder nach einem Korrekturdurchgang am Rand berichtigt, es bleiben nur sehr wenige zweifelhafte Lesarten. Die Gedichttexte hingegen wurden redaktionell weniger genau betreut, sie weisen nicht nur die zeittypische orthographische Unbeständigkeit auf, sondern es fehlen gelegentlich ganze Wörter und Verse. Dieses Manko blieb vor allem deshalb unentdeckt, weil das (im Inneren makellose) Manuskript nicht als Musiziermaterial gebraucht wurde, so dass Ad-hoc-Korrekturen generell unterblieben.

Die inhaltliche Zusammenstellung repräsentiert keinesfalls eine ausgewogene Gesamtschau des maximilianischen Liedes, vielmehr ist die Auswahl von der bestimmenden Größe Ludwig Senfls geprägt, der gleichwohl seine kompositorischen Wurzeln in Erscheinung treten lässt.

[24] Nr. 9, 15, 19, 21, 25, 43, 44, 48, 51, 52, 54, 56, 59, 62, 72, 79, 91, 96 und 97.

[25] Nr. 11, 13, 14, 45, 58, 74, 89 und 93.