Zur Aufführungspraxis
Die Quellen des hohen und späten Mittelalters aus Salzburg überliefern uns die Melodien in der Regel einstimmig und ohne genaue rhythmische Angaben. So sind die geistlichen Lieder mit Ausnahme des Tischsegens G 42 in D unmensuriert aufgeschrieben, wie man an der Abbildung » Abb. Maria, keusche muter erkennen kann: Das Stück ist in Gotischer Choralnotation auf vier roten Linien notiert. Nur an einigen Stellen zeigen Doppelnoten eine längere Tondauer an. Die schriftlos überlieferten Gepflogenheiten, die damals den Rhythmus und den Klang der Gesänge festlegten, sind heute verloren und können nur indirekt erschlossen werden. Daher müssen alle Gesänge zunächst bearbeitet werden, bevor man sie singen kann. Dies bewirkt, dass heute die gleichen Gesänge von verschiedenen Ensembles völlig unterschiedlich interpretiert werden können. Dies betrifft sowohl die Besetzung (solistisch, chorisch, Männer-, Frauen- oder Kinderstimmen, Einsatz von Instrumenten) als auch Rhythmus, Tempo und Dynamik der Stücke. Wie man Gesänge verwirklichte, hing von den vorhandenen Möglichkeiten ab. Einstimmige Melodien können in parallelen Oktaven, Quinten oder Quarten gesungen werden. Borduntöne (Liegetöne) können den Gesang stützen, ähnlich wie bei einer Drehleier oder einem Dudelsack. Schließlich kann – etwa an hohen Festtagen – auch improvisatorisch eine zweite Stimme hinzugefügt werden, vor allem, wenn es sich um einen solistischen Vortrag handelt. Im Vordergrund steht jedoch stets die Textdeklamation, die letztlich auch die Metrik bestimmt. So könnte eine Lösung, das unmensurierte Maria, keusche muter zart textdeklamatorisch sinnvoll wiederzugeben, folgendermaßen lauten:
In diesem Fall wird das Lied am ehesten solistisch vorzutragen sein, vielleicht unter Zuhilfenahme eines chorischen oder instrumentalen Borduns. Der Hymnus Von anegeng der sunne klar hingegen eignet sich eher für eine chorische Interpretation. Fasst man ihn als Gesang auf, der für den Gottesdienst bestimmt war, wird man auf Instrumente verzichten. Ansonsten sind der Phantasie keine Grenzen gesetzt. Man kann im Grunde nichts „falsch“ machen. Die geistlichen Gesänge des Mönchs sind es jedenfalls wert, oft zum Erklingen gebracht zu werden.
[1] Editionen: Spechtler 1972 bietet eine vollständige Textausgabe der geistlichen Lieder des Mönchs von Salzburg und führt die Zählung für die geistlichen Lieder des Mönchs ein: G + Nummer des Liedes; März 1999 ediert Texte und Melodien mit Kommentaren der weltlichen Lieder und führt dafür die Zählung W + Nummer ein; Waechter 2004 bringt alle Melodien des Mönchs mit Kommentar.
[2] Vgl. Spechtler 1972, 92.
[3] G 22. Die Zuschreibung ist nicht gesichert: vgl. » B. Geistliches Lied, Anm. 51.
[4] Vgl. Spechtler 1972, 69; Wachinger 1987, 662.
[5] Vgl. Zimmermann 1995, 314–316.
[6] Vgl. Wachinger 1987, 659.
[7] Beschreibung aller Handschriften bei Spechtler 1972, 34–99, und Waechter 2005, 203. In Klammer stehen im Folgenden die in der germanistischen Fachliteratur gebräuchlichen Siglen.
[8] Faksimileausgabe von Heger 1968.
[9] Bei diesem Lied bricht die Notierung nach eineinhalb Zeilen ab. Das Lied ist hingegen vollständig erhalten in der Kolmarer Liederhandschrift (D-Mbs Cgm 4997): vgl. Lütolf 2003-2010, Nr. 151. (Hinweis von Andrea Horz.)
[10] Man kann dieses Stück auch als Leich bezeichnen. Die formale Anlage aa, bb, cc, … ist die gleiche.
[11] Vgl. Spechtler 1972, 125-128; Waechter 2004, 35-39 und 211-214.
[12] Vgl. Wachinger 1989, 77–79.
[13] Vgl. Wachinger 1987, 660.
[14] Heger 1968, 29.
[15] Ein Leutpriester (Plebanus) war für die Seelsorge der Laien zuständig und hatte pfarrliche Rechte. Daher wird der Ausdruck oft synonym für „Pfarrer“ gebraucht.
[16] Zur Bedeutung Pilgrims für die Entwicklung der Musik in Salzburg siehe: Welker 2005, 76–87.
[17] Das Lied wird aufgrund seiner Überschrift mit Schloss Freisaal in Salzburg in Zusammenhang gebracht. Die Personenangabe könnte aber auch eine dichterische Fiktion sein. Vgl. hierzu Engels 2012.
[18] Dass dabei auch mehrstimmige Musik erklang, wurde oft vermutet, lässt sich aber nicht nachweisen.
[20] Vgl. Spechtler 1972, 15–16.
[21] Vgl. Spechtler 1972, 16–17.
[22] G 5 und G 9. Zu den Personen siehe Spechtler 1972, 17–18.
[23] D-Mbs Cgm 715.
[24] Unter „Predigerorden“ werden die Dominikaner verstanden.
[26] Heger 1968, 27. Dies trifft nicht zu. Ein Vergleich des Cisiojanus G 45 mit dem Kalender im Breviarium Salisburgense (Nürnberg: Stuchs 1497) zeigt, dass alle Heiligen auch dort aufgelistet sind, mit folgenden Ausnahmen: „Magdalen becheret“, d. i. Maria von Ägypten 1.4., Bernhard 20.8., Felix von Zürich 11.9., und das Gedenken an Ester im Advent.
[28] Pokorny 2012, 105.
[29] Klein 2012, 59.
[30] Spechtler 1972, 13.
[31] Vgl. Wachinger 1989, 159.
[32] Zu den einzelnen Gattungen siehe Waechter 2005, 53–58; zu den Tönen des Mönchs Wachinger 1989, 159–197.
[33] Vgl. Waechter 2004, 75, 239; Waechter 2005, 6–8, 211, 263–264. Vgl. Kap. Ton und Kontrafaktur: der Barantton.
[34] Spechtler 1972, 167. Unter „par“ (= Bar) versteht der Schreiber hier eine ganze Strophe.
[35] Vgl. Spechtler 1972, 6, Anm. 9.
[36] Eine ausdrückliche Zuweisung an den Mönch ist in den Handschriften nicht vorhanden. Der Autorenname in D ist nachgetragen. Aufgrund der unterschiedlichen Textüberlieferung zweifelt Wachinger die Autorenschaft des Mönchs an (Wachinger 1989, 36).