Ave maris stella im Wiener Codex 5094
Im » Kap. Zweckbestimmung und Schreiber von Ce jour le doibt in A-Wn Cod. 5094 wurde besprochen, zu welchem Zweck Wolfgang Chranekker Dufays Chanson Ce jour le doibt in eine Partitur mit ihren notationstechnischen Abweichungen von der Mensuralnotation geschrieben hat. Didaktische Absicht stand ebenso zur Diskussion wie die Überlegung, dass es sich um ein Zwischenstadium beim Umbau der Chanson zu einer Orgelintavolierung handelt; zwei Thesen, die sich nicht ausschließen, sich eher sogar gegenseitig stützen. In der Literatur wurde ein weiteres Beispiel aus A-Wn Cod. 5094 unter dem Aspekt der Umwandlung von Vokalmusik in Tastenmusik diskutiert, ein Ave maris stella, das sowohl in „normaler“ Mensuralnotation aufgezeichnet ist (vgl. Abb. 3), als auch in drei weiteren Stadien (vgl. » Abb. Ave maris stella I und » Abb. Ave maris stella I anders notiert).[34]
Abb. Ave maris stella I anders notiert zeigt das Stück zunächst in Einzelstimmen notiert. Doch im Unterschied zur mensuralen Aufzeichnung (Abb. Ave maris stella I) werden hier alle längeren Notenwerte in Semibreven zerlegt. Eine ursprünglich drei Semibreven enthaltende Brevis wird also in drei einzelne Semibreven geteilt. Dann folgt ein Versuch, das Stück in ein achtliniges Notensystem mit den Schlüsseln f, c, g und d zu bringen, wobei wiederum lange Noten in Einzeltöne zerlegt sind. Die Aufzeichnung des Stücks innerhalb eines Systems wurde aber aufgegeben: Die untere Stimme ist zwar vollständig notiert, von der mittleren Stimme wurde jedoch nur der Anfang eingetragen und die Oberstimme fehlt ganz. Stattdessen griff der Schreiber zu einer dritten Möglichkeit einer Umschrift: Er verwendete Tonbuchstaben, bei denen die Oktave durch Verdoppelung angegeben wird. Auch hier steht jeder Buchstabe für eine Semibrevis, das Prinzip der Aufteilung längerer Notenwerte ist also beibehalten.
[34] Göllner 1967, 174-175; vgl. auch Ristory 1985, 54-61, mit diplomatischer Umschrift und Übertragung und moderne Notation; auch hier betont Ristory den didaktischen Aspekt.
[1] Vgl. Census-Catalogue of Manuscript Sources of Polyphonic Music 1400-1550, 5 Bände, Stuttgart 1979-1988, Band 4, 89; » F. Quellenporträts.
[2] Eine erste inhaltliche Auflistung bei Strohm 1984, 227-228.
[3] Strohm 1984, 213.
[4] Ristory 1985, 62.
[5] Die Abweichungen zusammengefasst nach Ristory 1985, 62-63. Vgl. auch Wright 2010, 292-294.
[6] Die Notation ist erläutert bei Göllner 1967, 174, und neuerdings bei Wright 2010, 290-294.
[7] Crane 1965, 237 und 243; ähnlich Göllner 1967, 173, der das Buxheimer Orgelbuch » D-Mbs Mus.ms. 3725 (München, Bayerische Staatsbibliothek, Mus.ms. 3725) ins Spiel bringt.
[8] Crane 1965, Zitat 243.
[9] Göllner 1967, 172.
[10] Ristory 1985, 62.
[11] Beide Zitate Ristory 1985, 63.
[12] Flotzinger 2006, 607, hält es für „zunehmend wahrscheinlich“, dass man in Wien und auch anderswo im 15. Jahrhundert für die Unterrichtung von Knaben Orgeln besaß.
[14] Rumbold/Wright 2006, 22, 23-26 (Tabelle), 31; in englischer Übersetzung 87, 88-91 und 95. Vgl. erstmals Rumbold 1982, 189-190.
[15] Wright 2010, 302-316, besonders 302.
[16] Vgl. als Überblick Schmid 2005.
[17] Rumbold/Wright 2009, 24.
[18] Vgl. die tabellarische Aufstellung des Inhalts bei Rumbold/Wright 2006, 117-142, wo jeweils detailliert angegeben ist, welche Schreiber am Werk waren.
[19] Schmid 1991, 52.
[20] Vgl. das Faksimile in Wright 2010, 315 und die Erläuterungen 313-314. Zu Pötzlingers Bibliothek vgl. Rumbold 1982, passim, hier 340; Rumbold/Wright 2009, 201-248
[21] Das System des Schreibers C ist ausführlich dargestellt bei Schmid 1991, 52-66. Eine Zusammenfassung gibt Wright 2010, 288-289, einen Überblick über die Notation des Codex insgesamt geben Rumbold/Wright 2006, 31-36 und in englischer Sprache 96-99.
[22] Wright 2010, 293-301.
[23] Wright 2010, 297, Notenbsp. 11-13, dazu die Erläuterungen 296 zu „variant (x)“.
[24] Vgl. Schmid 1991, 54 (untere Tabelle), 55 (Notenbeispiele).
[26] Vgl. Schmid 1991, 55, Notenbeispiel 14.
[27] Dieser Komponist hat in den letzten Jahren zunehmend Beachtung gefunden. So ist ihm Heft 49 Nr.2 (2004) der polnischen Fachzeitschrift Muzyka ausschließlich gewidmet. Den Texten sind jeweils Zusammenfassungen in englischer Sprache beigegeben.
[29] Vgl. Schmid 1991, 61, mit Notenbeispielen 26-30.
[30] Biografische Überblicke bei Wright 2007 und Flotzinger 2006a.
[32] Vgl. Wright 2007.
[33] Vgl. Schmid 1990, 80.
[34] Göllner 1967, 174-175; vgl. auch Ristory 1985, 54-61, mit diplomatischer Umschrift und Übertragung und moderne Notation; auch hier betont Ristory den didaktischen Aspekt.
[35] Vgl. Göllner 1967, 175-176 und Crane 1965, 237 (hier 238-242 eine nicht fehlerfreie Spartierung). Michael Shields liest für “run/deli” wohl irrig „ray/deleatur“: vgl. Shields 2011, 133, Anm. 11.
[36] Vgl. Strohm 1984, 212.
[37] Strohm 1984, 213.
[38] Bosse 1955, Melodie Nr. 35. Zum Rhythmus (cantus fractus) vgl. » A. Rhythmischer Choralgesang.
[39] Göllner 1967, 177.
Empfohlene Zitierweise:
Bernhold Schmid: “Organisten und Kopisten”, in: Musikleben des Spätmittelalters in der Region Österreich <https://musical-life.net/essays/organisten-und-kopisten> (2017).