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Glocken

Reinhard Strohm

Unter den vielen Aufgaben des Mesners sei hier das Glockenläuten hervorgehoben, dessen komplexe Regeln in Haslers Urbar auf fol. 121r–122v ausgebreitet sind.[33] Der Mesner führte das Läuten selbst mit seinen Knechten aus, die er von seinem Gehalt entlohnte. Die damals vier Glocken der Pfarrkirche (ihre Stimmung scheint nicht bekannt) wurden einzeln oder zusammen angeschlagen, jedoch ergab sich die präzise Signalfunktion, die der Ankündigung liturgischer Tagzeiten diente, vor allem aus dem Rhythmus der Läutzeichen, wobei Glocke 1 mit der höchsten Tonstufe gewöhnlich zuerst angeschlagen wurde und Glocke 4 mit der tiefsten zuletzt. Man unterschied bei jeder Glocke ein „kleines Zeichen“ und ein „langes Zeichen“. Vesper, Frühmesse und Fronamt wurden an Werktagen mit dem kleinen Zeichen zuerst von Glocke 1, dann von Glocke 2 und anschließend alle vier zusammen angeläutet. An Sonn- und Feiertagen läutete man die Messen mit dem kleinen Zeichen der Glocken 1, 2 , 3 und 4 nacheinander, dann zusammen ein. (Somit hatte das einzelne Anschlagen von Glocke 3 gewissermaßen die Funktion, Sonntage von Werktagen zu unterscheiden.) Die Sonn- und Feiertagsvesper wurde in derselben Reihenfolge, aber mit dem langen Zeichen eingeläutet. Zur Frühmesse an Sonn- und Feiertagen erklang Glocke 4 erst zur Wandlung, um den Stadtbewohnern auch sinnfällig anzuzeigen, wann sich im Ritus innerhalb der Kirche das Wunder der Transsubstantiation ereignete. Nach der Frühmesse läutete die große Glocke allein zum Ave Maria, wie es „von alters“ her Brauch war: hier handelt es sich offenbar um eine ältere historische Schicht der Glockenkunst, in der der Ton einer einzelnen Glocke – der größten – einen bestimmten Ritus allein repräsentierte. Man sollte schließlich nicht vergessen, dass die Stadt von den Glocken nicht nur der Pfarrkirche, sondern auch der Kapellen und Klöster akustisch bedient wurde, was große Hörgewöhnung erforderte. (» E. Klang-Aura)

[33] Vgl. Obermair 2005, 51. Vgl. auch die Anmerkungen zur Glockenkunst im damaligen Brügge bei Strohm 1985, 2–4 und passim.