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Das Urbar der Bozner Pfarrkirche

Reinhard Strohm

Hannes Obermair beschreibt als wichtigen Schritt städtischer Entwicklung die Anfertigung eines „Urbars“ (Grundstücks- und Rentenverzeichnisses) der Bozner Pfarrkirche durch den Kirchprobst Christoph Hasler jun. in den Jahren 1453–1460 (» F-Sn Ms. 2111 allemands 187).[10] Dem modernen Betrachter mag dieses umfangreiche Manuskript (143 fol.) wie ein Sammelsurium verschiedenster Einzelheiten erscheinen.[11] In der Tat versuchen diese Protokolle von Besitztümern, zu erwartenden Einkünften, Pflichten und Freiheitsrechten der Pfarrkirche sowie Verhaltensregeln ihrer Mitarbeiter ein „Äußerstes an damals möglicher Komplexität“ zu erfassen.[12] Der Kirchprobst (magister fabricae) war der höchstrangige weltliche Funktionsträger einer Pfarrkirche, entsprechend dem Probst (praepositus) einer Kapitelkirche oder Kathedrale. Christoph Hasler jun. – schon mindestens der dritte Bozner Kirchprobst seines Namens – schrieb das Urbar eigenhändig, oft als Kopie oder Zusammenfassung ihm vorliegender Urkunden und anderer Dokumente, manchmal aufgrund eigener Erinnerung oder mündlicher Information. Haslers Nachfolger benützten und ergänzten das Manuskript bis in die 1470er Jahre.

 

 

Die musikalischen Pflichten und Gebräuche des Bozner Kirchenpersonals sowie ihr finanzieller und organisatorischer Unterhalt können im Zusammenspiel des Haslerschen Urbars mit den „Kirchprobstrechnungen“ (erhalten seit 1470) und mit den ab 1465 bzw. 1469 beginnenden Serien der Amtsrechnungen bzw. Ratsprotokolle der Stadtverwaltung dargestellt werden, die im Historischen Archiv der Stadt Bozen/Archivio Storico della Città di Bolzano (StA Bozen) erhalten sind.[13] Denn von langer Tradition her war die Stadtverwaltung für die Kirche mitverantwortlich. So unterbreitete z.B. im Jahre 1447 der Stadtrat dem Pfarrer eine Regelung der Kapläne, die in Haslers Urbar auf fol. 97r–97v erwähnt ist.[14] Die von der Stadt erlassene Bozner Schulordnung von 1424, die älteste in Tirol, war für die Kirche bestimmt und wurde in Haslers Urbar auf fol. 128r–131v kopiert.[15] Dass Christoph Hasler jun. 1469 selbst Bürgermeister wurde (sein Vater Christoph Hasler sen. war zeitweilig ebenfalls Bürgermeister und Kirchprobst gewesen),[16] unterstreicht noch einmal die Verquickung der Macht- und Verwaltungsbefugnisse zwischen Kirche und Stadt.

[10] Edition und Kommentar: Obermair 2005.

[11] Das Kolophon lautet: „Liber de redditibus operis ecclesie parochialis in bozano et de ordinibus sindicorum“ (Buch der Einkünfte der Kirchenfabrik der Pfarre Bozen und der Verordnungen der Kirchpröbste); es ist datiert (1460 VIII 26). Ich danke der Bibliothèque der Université de Strasbourg und dem Stadtarchiv Bozen/Bolzano für freundliche Genehmigungen.

[12] Obermair 2005.

[13] Die Archivserie der Kirchprobstrechnungen wird im Folgenden etwas abgekürzt zitiert. Die vollständigen Signaturen dieser Serie im Historischen Archiv der Stadt Bozen lauten Hs. 639-671 (1470–1520).

[14] Vgl. Atz/Schatz 1903, 16; Obermair 2005.

[15] Vgl. Obermair 2005, 55. Ediert in Paoli Poda 1999, S. 113ff. Für den Vergleich mit anderen Schulordnungen der Region siehe » H. Schule, Musik, Kantorei.

[16] Vgl. Hoeniger 1934, 61–64.