Zeitliche und räumliche Erweiterung der Fronleichnamsspiele
Aufgrund der zahlreichen religiösen Aktivitäten während des Fronleichnamsfestes wurden die Spiele ab1505 auf zwei Tage und einen weiteren Spielort ausgedehnt. Bereits am Dreifaltigkeitssonntag fand auf dem Neuen Markt der erste Teil der Feierlichkeiten statt. Die 1505 zum ersten Mal aufgestellten vier Bühnen und das seit 1506 errichtete provisorische Holzpodest dienten der Präsentation einiger biblischer Szenen. Dass es sich keinesfalls um stumme tableaux vivants handelte, beweisen Zahlungen an Schreiber, die Sprechpassagen für Darsteller kopierten. Zudem wissen wir aus Notizen Matthäus Heupergers, dass der Verwalter Wilhelm Rollinger den gesamten Spieltext aufbewahrte.[12]
Mit Sicherheit lassen sich die Szenen vom Beschluss des Todes Christi durch das Collegium Judeorum bis zur Händewaschung des Pilatus auf dem Neuen Markt verorten.[13] Der Kreuzweg am Fronleichnamstag führte entlang einer nicht überlieferten Route durch die Straßen Wiens bis zum Stephansfriedhof und endete dort mit der Kreuzigungsszene.
Diese theatralisierte Fronleichnamsprozession bestand aus vier kostümierten Gruppen, die jeweils von einem Rottenleiter aus der Handwerkerschicht organisiert wurden. Die Kerngruppe um Jesu Christi mit Maria, Simon von Kyrene, der Hl. Veronika und den beiden Schächern, genannt die „herr gott zuegehörung“, führte jahrzehntelang der Tischlermeister Wolfgang Pacher, der auch zahlreiche Reparaturarbeiten übernahm. Die Judenschule, bald die zahlenstärkste Rotte und aufwändig kostümiert, wurde teilweise auf Wagen geführt. Die erhaltenen Rechnungen für bemalte Papierhüte weisen darauf hin, dass einige der Darsteller gemäß den Praktiken des spätmittelalterlichen Strafvollzuges als verurteilte Ketzer inszeniert wurden. Diese Rotte wurde über einen längeren Zeitabschnitt von Hanns Pfeffer geleitet. Die Berittenen, deren Anzahl mit einer einzigen Ausnahme konsequent nicht festgehalten wird, führte der Altwarenhändler Hanns am Stain an. Der Gruppe der Fußknechte, die kontinuierlich wuchs, stand Hanns Tulner vor. In dieser Zusammensetzung waren die vier Rotten bis 1528 an der Fronleichnamsprozession beteiligt. 1529 nahm nur die Gruppe Pachers an den Proben teil, die Prozession wurde aufgrund starken Regens abgesagt. Die Rottenleiter empfingen für ihre Tätigkeit jeweils ein Pfund. Während der Proben wurde den Darstellern Wein und am Fronleichnamstag ein ergiebiges Frühstück, bestehend aus Brot, Fleisch und Wein, gespendet.
[12] Vgl. Neumann 1987, 732, Exzerpt 3023.
[13] Vgl. Rupprich 1994, 253.
[1] Vgl. Hadamowsky 1981, 10; Hadamowsky 1988, 49; Neumann 1987, 703, Exzerpt 2813.
[2] Vgl. Hadamowsky 1981, 9. 1519 organisierte die Einrichtung die Begräbnisfeierlichkeiten für Maximilian I. und 1526 für den ungarischen König Ludwig II.; beide waren Mitglieder der Fronleichnamsbruderschaft. (Hadamowsky 1981, 11).
[3] Vgl. Hadamowsky 1981, 9-10.
[4] Vgl. Camesina 1869, 343; Capra 1945/46, 122; Hadamowsky 1981, 10; Rupprich 1994, 253ff.
[5] Vgl. die Beschreibung der Prozession nach zeitgenössischer Quelle: » E. SL Fronleichnamsprozession.
[6] Vgl. Neumann 1987, 707-709, Exzerpt 2844.
[7] Vgl. Czeike 1980, 10, Anm. 35-39.
[8] Vgl. Czeike 1980, 12.
[9] Vgl. Neumann 1987, 709-710, 714-715, 722, 749, Exzerpte 2851, 2852, 2896, 2899, 2901, 2955, 3150.
[10] Vgl. Neumann 1987, 730, Exzerpt 3013.
[11] Vgl. Neumann 1987, 704, 710, Exzerpte 2818, 2853.
[12] Vgl. Neumann 1987, 732, Exzerpt 3023.
[13] Vgl. Rupprich 1994, 253.
[14] Vgl. Neumann 1987, 704, Exzerpte 2818-2819.
[15] Vgl. Neumann 1987, 709-710, Exzerpte 2850-2852.
[16] Vgl. Neumann 1987, 734, Exzerpt 3026.
[17] Vgl. Neumann 1987, 337-338, Exzerpt 1564.
[18] Vgl. Reupke 1930, 61.
[19] Vgl. Neumann 1987, 734, 738, 742, 745, 758, 760, 724, 711, 731, Exzerpte 3031, 3056, 3086, 3111, 3233, 3251, 2971, 2866, 3017-3018.
[20] Vgl. Neumann 1987, 711, Exzerpt 2866; 731, Exzerpt 3018.
[21] Vgl. Neumann 1987, 731, Exzerpt 3017.
Empfohlene Zitierweise:
Aneta Bialecka: „Die Wiener Gotsleichbruderschaft“, in: Musikleben des Spätmittelalters in der Region Österreich <https://musical-life.net/essays/die-wiener-gotsleichbruderschaft> (2016).