Sie sind hier

Auf den Spuren einer religiösen Wehrgemeinschaft

Aneta Bialecka

Die bis ins 18. Jahrhundert südwestlich des Stephansdomes gelegene unterirdische Virgilkapelle war der Sitz der Wiener Fronleichnamsbruderschaft. Nach einer Periode der Stagnation wurde diese Einrichtung 1497 neu gegründet und im folgenden Jahr zu Weihnachten im Stephansdom festlich inauguriert.[1] Die Bruderschaft stellte die exklusivste religiöse Gemeinschaft der Stadt dar, der regelmäßig die habsburgischen Herrscher angehörten. So trat ihr Friedrich III. 1445 bei und zahlte den hohen Beitrag von 54 Gulden jährlich ein.[2] Die Hofkammer erhielt noch 1769 den Auftrag, die unveränderte Summe auch in Zukunft zugunsten der Institution zu entrichten.[3] Vertreter des Adels, wohlhabende Kaufleute und Handwerker bildeten den weiteren Kreis der Mitglieder.

 

Abb. Stadtansicht Wien Hoefnagel

Abb. Stadtansicht Wien Hoefnagel

Stadtansicht Wiens mit St. Stephan und anderen Kirchen (kolorierter Stich, Jacob Hoefnagel, 1609). © Wien Museum (www.wienmuseum.at), Inv. Nr. 31043. Die Bedeutung von Dom, Klöstern und Pfarrkirchen als Koordinationspunkten des Lebens wurde durch Glockenklang und Prozessionen versinnlicht.

City panorama of Vienna with St. Stephan and other churches. Coloured engraving by Jacob Hoefnagel, 1609. © Wien Museum (www.wienmuseum.at), Inv. Nr. 31043. The importance of cathedral, monasteries and parish churches as coordination points of civic life was communicated to the senses through bellringing and processions.

 

Der Versammlungsort der Bruderschaft, die Gruft der Friedhofskapelle der Hl. Maria Magdalena zu St. Stephan, wurde nicht zufällig gewählt und weist auf ihre religiösen Funktionen hin. Die Hauptaufgabe der Gemeinschaft war die Verehrung des eucharistischen Sakraments. Sie bestand neben der Förderung der individuellen Frömmigkeit und der Pflege des Totengedächtnisses in der Organisation zweier Prozessionen, am Karfreitag und zum Fronleichnamsfest.[4] Während die Karfreitagsprozession in einem teilöffentlichen, auch räumlich begrenzten Rahmen stattfand und primär der individuellen Frömmigkeitspflege aller Mitglieder, also auch der Frauen, diente, wurde das Fronleichnamsfest als eine aufwändige, kommunale Inszenierung zelebriert.[5]

Durch die breite, organisierte und ästhetisierte Teilnahme weiter Bevölkerungsteile bestätigte die Fronleichnamsprozession die bestehende soziale Ordnung, die im Kontext eines religiösen Ritus erneuert wurde. Sie ermöglichte es den Teilnehmenden aber auch im Rahmen individueller Frömmigkeitspflege Repräsentationsformen zu finden und ihren sozialen Rang ostentativ der Gemeinde vorzuführen.

[1] Vgl. Hadamowsky 1981, 10; Hadamowsky 1988, 49; Neumann 1987, 703, Exzerpt 2813.

[2] Vgl. Hadamowsky 1981, 9. 1519 organisierte die Einrichtung die Begräbnisfeierlichkeiten für Maximilian I. und 1526 für den ungarischen König Ludwig II.; beide waren Mitglieder der Fronleichnamsbruderschaft. (Hadamowsky 1981, 11).

[3] Vgl. Hadamowsky 1981, 9-10.

[4] Vgl. Camesina 1869, 343; Capra 1945/46, 122; Hadamowsky 1981, 10; Rupprich 1994, 253ff.

[5] Vgl. die Beschreibung der Prozession nach zeitgenössischer Quelle: » E. SL Fronleichnamsprozession.