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Widersprüchliche Forschungsmeinungen zum „Mönch“

Stefan Engels

Nähere Angaben über die Person des Mönchs lassen sich nicht machen. Die Liedüberschriften widersprechen sich. Sein Name wird mit „Herman“, einem Benediktiner[23], oder mit „Johanns“ beziehungsweise „Hanns“, einem Dominikaner[24], angegeben. An Identifikationen wurden vorgeschlagen: Abt Johannes II. Rossezz von St. Peter, der jedoch schon 1375 starb, Hermann, Prior von St. Peter (1424 urkundlich erwähnt), oder der Leutpriester Martin selbst. Andere nehmen eher ein Autorenkollektiv als eine Einzelperson für die Abfassung des Gesamtkorpus an.[25] Der große stilistische Unterschied zwischen den Gruppen der freien Gesänge und den Übertragungen innerhalb der geistlichen Lieder hat immer wieder zu der Vermutung Anlass gegeben, dass der überlieferte Gesamtkorpus nicht von einem einzigen Autor stammen könne. Umso mehr gilt dies für die unterschiedlichen Stile der geistlichen und weltlichen Lieder. Hartnäckig hält sich die Vermutung, dass sich hinter dem Pseudonym „Mönch“ Erzbischof Pilgrim selbst verbirgt, obwohl dies mittlerweile als sehr unwahrscheinlich erscheint. Die Unsicherheit der Forschung sei an einigen Zitaten gezeigt:

„Er war jedenfalls Benediktinermönch. Denn sein Cisionianus hatte ohne Zweifel einen benediktinisch-monastischen Kalender zur Vorlage.“[26]
„Mir will die Identität von Pilgrim und Mönch eher unwahrscheinlich vorkommen.“[27]
Zum Lied W 7 (der im Kap. Pilgrim II. von Puchheim erwähnte Brief aus Prag): „Vor allem zwei Gründe machen es wahrscheinlich, dass der Mönch von Salzburg, der zu den bedeutendsten deutschen Lieddichtern des Spätmittelalters zählt, mit Pilgrim II. von Puchheim identisch war: Erstens hielt sich Pilgrim 1391 in Prag auf, und zweitens verabschiedet sich der Mönch von Salzburg am Ende des Liedes  mit dem Namen des Erzbischofs: „dein antwurt schreib mir, liebstez E, mir pilgreim her gen Senenstat“ – wobei er mit der Zweideutigkeit des Namens spielt und das Bild eines Pilgers evoziert, der von der Stätte der Sehnsucht zur Stätte der Freude pilgern will.“[28]
Ebenfalls zum Lied W 7: „Darüber gehört der Text aber wohl auch zu dem bewussten Verwirrspiel um die Identität des Mönchs von Salzburg und die Rolle Pilgrims, denn hier wird ja nur angedeutet, dass das Lied entstand, als Pilgrim dort bei Hof war, offen lassend, welche Rolle genau der Erzbischof bei der Abfassung spielte.“[29]

Franz Spechtler[30] weist hingegen darauf hin, dass alle Handschriften von nur einem Verfasser sprechen, dem „Mönch“ (abgesehen von Martin in A). Der Mönch hat die Lieder „gemacht“, nach A auch die weltlichen. Erzbischof Pilgrim hat die Kompositionen angeregt und unterstützt. Er ist nicht identisch mit dem Mönch. Auch das Akrostichon von G 3 spricht eher gegen eine Autorschaft von Pilgrim.

Damit versiegen aber die biographischen Hinweise. Weitere Informationen sind nicht zu gewinnen. Wer sich wirklich hinter dem Pseudonym „Mönch“ verbirgt, bleibt für uns ein Geheimnis. Hinter „Mönch“ als Begriff steht eine Person, die jedermann bekannt gewesen sein musste. Er hielt sich im Umfeld eines Kreises von Personen auf, die nicht Mönche waren, so dass er diesen Namen als besonderes Kennzeichen erhielt, das ihn von seiner Umgebung unterschied; entweder, weil er wirklich ein Ordensmann war, oder, weil er sich wie ein Mönch verhielt. Dazu kommt, dass alle Handschriften mindestens eine Generation später entstanden sind. D als älteste der Korpushandschriften mit Noten enthält keine biographischen Angaben, vielleicht weil man in Salzburg um die Mitte des 15. Jahrhunderts noch wusste, wer der Mönch war. Die übrigen Verfasser der Sammelhandschriften jedoch kannten den Mönch nicht aus eigener Anschauung und wussten wohl auch meist nicht mehr, wer er gewesen war.

[23] D-Mbs Cgm 715.

[24] Unter „Predigerorden“ werden die Dominikaner verstanden.

[25] März denkt für die weltlichen Lieder an zumindest zwei Personen. März 1999, 7f.

[26] Heger 1968, 27. Dies trifft nicht zu. Ein Vergleich des Cisiojanus G 45 mit dem Kalender im Breviarium Salisburgense (Nürnberg: Stuchs 1497) zeigt, dass alle Heiligen auch dort aufgelistet sind, mit folgenden Ausnahmen: „Magdalen becheret“, d. i. Maria von Ägypten 1.4., Bernhard 20.8., Felix von Zürich 11.9., und das Gedenken an Ester im Advent.

[27] März 1999, 4. In keiner Quelle wird Pilgrim als Verfasser von Gedichten oder Liedern genannt.

[28] Pokorny 2012, 105.

[29] Klein 2012, 59.

[30] Spechtler 1972, 13.