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Heutige Rezeption

David Merlin

Abschließend bleibt die Bedeutung einer Musikquelle der Art dieses Druckwerks sowie dessen Erforschung, für die heutige Zeit zu erhellen. Zunächst einmal stellt Winterburgers Antiphonarius die schriftliche Fassung eines gewichtigen Teils des Repertoires der Offiziumsgesänge dar, und ist dabei eine Quelle, von der wir mit Sicherheit Entstehungsort und -datum kennen: Allein als datierter Melodienthesaurus ist der Antiphonarius beachtenswert. Bedenkt man, dass gedruckte Ausgaben dieser Buchgattung in ganz Europa äußerst selten hergestellt wurden, wird seine Stellung noch bemerkenswerter.

Nicht nur für die Erforschung der liturgischen Einstimmigkeit des Spätmittelalters ist Winterburgers Antiphonarius von Bedeutung, sondern auch in den Forschungsbereichen der Liturgiegeschichte und der neuzeitlichen Mehrstimmigkeit. Er bleibt für uns heute eine unverzichtbare Quelle etwa für die Vervollständigung der einstimmigen Abschnitte von alternatim-Kompositionen, für Vergleiche des Melodienprofils zwischen liturgischem Modell und Cantus firmi der Mehrstimmigkeit, sowie für Rekonstruktionen des Ablaufs der Liturgie.

Außerdem ist der Antiphonarius ein aufschlussreicher Untersuchungsgegenstand für die Erforschung der Druckgeschichte – insbesondere in Hinsicht auf die Herstellung, Redaktion, Korrektur, Verbreitung und Vermarktung von Liturgica sowie selbstverständlich das Wirken Winterburgers.

Ferner ist Winterburgers Antiphonarius unerlässlich für die Vorbereitung von Aufführungen mit einstimmigen liturgischen Gesängen, sowohl innerhalb der Liturgie als auch für Konzerte und Tonaufnahmen[55] – und dies nicht nur für die Einstimmigkeit allein, sondern auch im Austausch mit polyphoner Musik des 15. und 16. Jahrhunderts aus der „Region Österreich“.

[55] Die Tonaufnahme des Invitatoriums von Weihnachten „Christus natus est nobis“ aus dem Antiphonarius ist in der 1996 erschienenen CD „Maria, keusche mutter zart. Advent und Weihnachten im mittelalterlichen Salzburg mit Liedern des Mönch von Salzburg und Gesängen aus alten Codices“ der Salzburger Virgilschola unter der Leitung von Stefan Engels verfügbar. Für diese Information bedanke ich mich bei Stefan Engels (E-Mail vom 03.12.2018). Über diese CD siehe Jerome F. Weber, “Recordings. Recent releases of plainchant”, in Plainsong and Medieval Music 8/2 (1999), S. 167–175.