Herold, „Persevant“, Sprecher
Neben dem Begriff „Herold“ taucht in den noch erhaltenen textuellen Materialien auch der Begriff „Persevant“ auf (in dieser oder ähnlicher Schreibweise). Die Forschung zu Herolden geht davon aus, dass „Persevant“ eine Art Ausbildungsphase bezeichnet: Zunächst wurde man „Persevant (von franz. Poursuivant), nach sieben Jahren Dienst“ war man dann Herold.[35] Jenseits der Sphäre der Herolde kann „Persevant“ wohl auch allgemein eine Person bezeichnen, die ihrem Herren folgt und bestimmte Aufgaben und Funktionen übernimmt, darunter offenbar auch musikalische Funktionen. In einem Holzschnitt der Margarita Philosophica des Gregor Reisch aus dem Jahr 1504 ist eine Figur mit Stab und Seitentrommel explizit als „parsiuant“ bezeichnet. Hier handelt es sich um den Tanzmeister, der die Paare im Tanz anführt: » Abb. „Typus Musices“ (Die musikalische Kunst).[36]
Der Name „Persevant“ wurde zum Teil auch mit dem Figurennamen „Parzival“ überblendet. Der aus Breisach stammende Persevant Caspar Hurder (auch „Caspar Österreicher“ genannt, da er in habsburgischen Diensten stand) heißt in der sogenannten Breisacher Reimchronik zum Jahre 1474 „partzival Caspar Hurder“, und ähnlich in anderen Berichten.[37]
Eine genaue Unterscheidung zwischen „Sprecher“ und „Herold“ fällt nicht ganz leicht, da beide Praktiken recht eng beieinander liegen (Michel Beheim war dafür eben ein Beispiel). Sprecher, Herolde und Musiker werden in zeitgenössischen Archivdokumenten oft undifferenziert zusammen erwähnt.[38] Dennoch scheint es sich allem Anschein nach grundsätzlich um unterschiedliche und einigermaßen klar getrennte Tätigkeitsbereiche zu handeln. Herolde waren für Botengänge, Diplomatie, Verlautbarungen, Turniere, Wappen und gegebenenfalls auch für Texte aus dem Bereich der sogenannten „Wappen-“ beziehungsweise „Heroldsdichtung“ zuständig.[39] Diese Texte waren „am Ehrencodex und Rangverständnis des Adels ausgerichtet“ und schon deshalb sind Namenslisten und Rangordnungen in diesen Texten relevant.[40] Demgegenüber waren Sprecher wohl für den Vortrag in höfischen und festlichen Zusammenhängen zuständig. Sie waren offenbar Unterhaltungskünstler (wozu in diesem Fall auch Formen einer „politisch-sozial codierten, progressiven Publizistik“[41] gehören), die künstlerische (also metrisch geformte und gereimte) Sprachwerke schufen, vortrugen und gegebenenfalls niederschrieben – mitunter auch, um damit eine breitere Öffentlichkeit zu erreichen.
Über die konkrete Vortragsart der Sprecher ist damit noch nicht viel gesagt – und die heute noch vorhandenen Textmaterialien sagen gerade über diesen Aspekt wenig aus. Wenn man für die Zeit vom 12. bis zum 14. Jahrhundert (und vereinzelt auch darüber hinaus, mit Beheim als „letzte[m] fahrende[n] professionelle[n] Spruchsänger“)[42] von einer Gattung des ‚Spruchsangs‘ausgeht, kann man mit Horst Brunner feststellen, dass dieser Spruchsang seit der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts aus der Mode geriet. Der „Grund für das Aus-der-Mode-kommen des Spruchsangs“, so Brunner, „war wohl nicht zuletzt das Aufkommen einer neuen, weniger anspruchsvollen literarischen Form, des Reimspruchs oder der Reimrede, einer im Spätmittelalter und in der Frühen Neuzeit höchst verbreiteten, mit Sprechstimme vorgetragenen Gattung.“[43]
Welche Möglichkeiten mit dieser „Sprechstimme“ einhergingen, ist schwer zu sagen. Soll man behelfsweise (und wirklich nur behelfsweise) an das heutige Format der „Spoken Word Poetry“ denken mit seiner Vielfalt an sprachlichen Ausdrucksmöglichkeiten? Zwar wird man den spätmittelalterlichen Sprechern kein derart großes Repertoire an sprachlicher Möglichkeit zugestehen wollen – Aufführungen an spätmittelalterlichen Höfen sind vermutlich kein Ort gesteigerter Innovationt oder Experimentierlust –, aber heutige Formate wie dasjenige der „Spoken Word Poetry“ mögen uns daran erinnern, welche Vielfalt sprachlicher Möglichkeiten unterhalb der Schwelle des Gesangs es gibt.
[35] Scheibelreiter, „Herold“, Sp. 968-970 [www.HRGdigital.de/HRG.herold].
[36] Ich danke Reinhard Strohm für den Hinweis auf diesen Holzschnitt.
[37] Graf, Klaus. „Parzival als Nebenform für Persevant“ (https://archivalia.hypotheses.org/1668).
[38] Beispiele vor allem bei Pietzsch 1966 und Pietzsch, Gerhard, in: Esslinger Studien 12/13 (1966/67): 73-99.
[39] Kellermann, Karina, und Albert Gier: „Heroldsdichtung“, in: Lexikon des Mittelalters Bd. 4, Sp. 2173-2174.
[41] Bock 2015, 321.
[42] » B. Spruchsang in den österreichischen Ländern (Horst Brunner). Kap. Michel Beheim.
[43] » B. Spruchsang in den österreichischen Ländern (Horst Brunner). Kap. Reimreden und Spruchtöne in Österreich im 14. und 15. Jahrhundert.
[2] Bock 2015, 22.
[3 Peters 1976, 233.
[5 Scheibelreiter,ca. 2010, Sp. 968-970.
[8] Vgl. von Moos 2006, 158-159, zur Einkleidung des Herolds und zum Namenswechsel: „In der immer komplexer werdenden Entwicklung der Heraldik, deren Grundfigur doch stets die Verortung eines Individuums in einer Gruppe und der Gruppe in der Gesamtgesellschaft darstellt, bedeutet diese ‚Investitur‘ eine symbolische Personifizierung, gewissermaßen die spiegelbildliche Identitätsrepräsentation des Herrn durch seinen Herold.“ Vgl. außerdem Bock 2010: Dort finden sich weitere Überlegungen zum „Verständnis des Herolds als ‚Medium‘“ (S. 265) sowie Hinweise auf entsprechende Forschung.
[9] Richental 2013, 12, Z. 7-8.
[10] „Item recht herolten von allen künigrichen, die der küng wapen truogend und ir bottschaft wurben und iro herren er und wirdikait uß sprachen […]“ (offizielle Herolde aller Königreiche, die die Wappen der Könige trugen, ihre Botschaften ausrichteten und die Ehre und Würde ihrer Herren verkündeten): Richental 2013, 169, Z. 21-22.
[11] Richental 2013, 47, Z. 24-29.
[12] Schuler 1966, 163. Neuere Forschung bei Morent-Leopold-Steinheuer 2017.
[13] Richental 2013, 206, Z. 20-21. Manfred Schuler weist darauf hin, dass bei der Zahl von 1700 „allerdings die Familienangehörigen und das Hausgesinde mit inbegriffen“ seien (Schuler 1966, 163).
[15] „Die Quellentexte“, so Manfred Schuler in seinem einschlägigen Aufsatz (Schuler 1966), „belegen […] die Posaunisten und Trompeter meist unterschiedslos mit der Bezeichnung Posauner (prusuner), während die Spieler der Holzblasinstrumente allgemein Pfeifer (pfifer; fistulatores) genannt werden. Analog dazu dient das Wort ‚tuba‘ als Sammelbegriff für die Holzblasinstrumente“. (Schuler 1966, 163). Abbildungen, Beschreibungen und Hörbeispeile zu den Instrumenten: » H. Instrumentenmuseum. Zu Tätigkeit und Lebensbedingungen der Instrumentalisten vgl. » E. Musiker in der Stadt.
[17] Schuler 1966, 168. Vgl. auch » E. Die Klang-Aura der Stadt. Kap. Stadt- und Hoftrompeter, Anm. 29. „König Sigismund erteilte auf dem Konzil von Konstanz (1414–1418) Trompeterprivilegien an die Freien Reichsstädte Konstanz, Augsburg, Nürnberg und Ulm“ (Żak 1979, 149–155).
[18] Zum Autor vgl. Liebhart [https://www.wissner.com/stadtlexikon-augsburg/artikel/stadtlexikon/sende….
[22] Zur Rolle der Herolde bei Einzügen, Herrschertreffen und Krönungen siehe auch Bock 2015, 280-287.
[24] Zum Holzschnittzyklus siehe Cuneo 1998.
[26] Ab und an wird in der Forschung eine „Heroldstrompete“ erwähnt, z.B. mit Abbildung: Bowles 1977, 78-79. Wenn ich recht sehe, handelt es sich nicht um die Trompete eines Herolds, sondern um eine mit einem Wappentuch versehene Trompete, die dann – wie die anderen Trompeten eben auch – von einem Trompeter gespielt wurde. Zu sehen sind diese Trompeten in » Abb. Trompeter gegenüber Armbrustschützen.
[27] Suchenwirt 1827, „Eralden und gernde leut“. Vgl. auch die hier in » B. Spruchsang in den österreichischen Ländern (Horst Brunner), Anm. 15, zitierten Ausgaben.
[29] Achnitz 2008, 497.
[30] Achnitz 2008, 497-498.
[31] Kellermann 2000, 94.
[32] Niemeyer 2001, 39.
[33] Niemeyer 2001, 51.
[34] Zu Gesang und Liedvortrag bei Beheim vgl. Spriewald 1990. Außerdem: Wachinger 1979, 37-75.
[35] Scheibelreiter, „Herold“, Sp. 968-970 [www.HRGdigital.de/HRG.herold].
[36] Ich danke Reinhard Strohm für den Hinweis auf diesen Holzschnitt.
[37] Graf, Klaus. „Parzival als Nebenform für Persevant“ (https://archivalia.hypotheses.org/1668).
[38] Beispiele vor allem bei Pietzsch 1966 und Pietzsch, Musik in Reichsstadt (1966/1967), 73-99.
[39] Kellermann, Karina, und Albert Gier: „Heroldsdichtung“, in: Lexikon des Mittelalters Bd. 4, Sp. 2173-2174.
[41] Bock 2015, 321.
[42] » B. Spruchsang in den österreichischen Ländern (Horst Brunner). Kap. Michel Beheim.
[43] » B. Spruchsang in den österreichischen Ländern (Horst Brunner). Kap. Reimreden und Spruchtöne in Österreich im 14. und 15. Jahrhundert.
[44] Stichworte zu den Veränderungen bei Scheibelreiter: „Herold“, Sp. 968-970. [www.HRGdigital.de/HRG.herold].
[45] Bebermeyer, Gustav. Art. „Pritschmeister“, in: Reallexikon der deutschen Literaturgeschichte, Bd. 3 (1977): 257-262, 257b.
Empfohlene Zitierweise: Ott, Michael R., „Herolde und ihre Geräuschkulisse (1414-1530), in: Musikleben des Spätmittelalters in der Region Österreich, <Herolde und ihre Geräuschkulisse (1414-1530) | Musikleben des Spätmittelalters in der Region Österreich> (2024).