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Die Laute zu Hause und im studentischen Leben

Kateryna Schöning

Aus dem frühen 16. Jahrhundert sind Belege erhalten über das tägliche häusliche Spiel auf der Laute und anderen Instrumenten, aber auch über die Bedeutung der Laute im Bildungsmilieu sowie über die explizite oder implizite Zugehörigkeit der Lautenisten zu damaligen Bildungseinrichtungen und im studentischen Milieu – Universitäten, hohen Lateinschulen, Bursen und ärmeren Studentenhäusern. Den Lebenserinnerungen des Augsburger Lautenisten und Professor für Medizin Felix Platter entnehmen wir einen Bericht über seine Jugendjahre (1543):

Ich hatt ein sundere inclination und neigung zu der music, sunderlich zu den instrumenten, dorumb ich dan, als ich noch gar iung, selbs anfieng seiten uf schindlen und dugen, die man zu den buchenen steckt [hölzerne Buchdeckel], zien [ziehen], ein steg dorunder machen und doruf mit den henden herigbogen [behaarter Bogen] retzgen [kratzen], welches mir gar / wol gefiel. Hort [hörte] auch meines vatters truckeren [Druckergesellen] so uf der multrummen [Maultrommel] und uf dem hackbret (das domolen [damals] seer brüchlich) schlugen, […] und anderen dischgenger, so uf der luten schlugen, ettlich gigten so in unsrem haus gar gemein was, gern und mit freuden zu. Wei  auch, als meins vatters dischgenger einer, Huber von Bern, in der faßnacht nach den nachtessen am monschein die luten schlug, wie mir daß so seer gefallen hatt, und wie ich gewünscht hab, daß ich solches leren möcht, vermeinendt, ich kenne nit herlicher werden.[3]

Das Lautenspiel wurde für die Erholung und Wiederherstellung geistiger Kraft und als Ausgleich zum üblichen Unterricht empfohlen. So pflegte man die Freizeitaktivitäten von Studierenden, Gelehrten und anderen „professoren musici“ zu regulieren. Der Humanist Heinrich Bebel (1472/3–1518), Tübinger Professor für Poetik und Rhetorik, schrieb 1506 in diesem Sinne über die Anwendung von Gesang und Instrumentenspiel, unter anderem vom Spiel auf Cythara [Quinterne oder Laute] oder Lyra [lira da braccio oder Fiedel]:

Dispensandum igitur tempus est pro studio, et remissione animi. Sunt autem remittendi animi non somno nimio, neque desidia, sed in ludis, corporisque exercitatione, nec item suo tempore abstinendum cantu, musicisque organis, adsit aut cythara testudinea, aut lyra, fistula vel simile, quod sua sonoritate animum hominis componat, gravesque meditationes et curas mitigat, ut eo validius ingenium possit redire ad labores.
(Die Zeit soll also für das Studium und die Erholung des Geistes verwendet werden. Doch erhole man den Geist weder durch zu viel Schlaf noch durch Untätigkeit, sondern durch Spiele und Übungen des Körpers, und zu passender Zeit verzichte man auch nicht auf Gesang und Orgelmusik, und dabei seien auch Cythara testudinea [Laute], Lyra [Fiedel], Blasinstrument [Flöte, Pfeife] und ähnliche, die durch ihren Wohlklang den menschlichen Geist ordnen und beschwerliche Gedanken und Sorgen mildern, so dass der Intellekt umso kraftvoller die Arbeit wieder aufnehmen kann.) [4]

Die – allerdings deutlich später – protokollierte Erlaubnis in der Schulordnung aus der Wittenbergischen Kirchenordnung von 1559 bestätigt diese Gewohnheit. Die Stipendiaten durften das Lautenspiel („unergerliche Seitenspil“) eine Stunde nach dem Essen zur Erholung betreiben:

Doch [soll] jnen die Leidenliche und erbare, unergerliche Seitenspil / und Gesang, morgens und abents, allwegen ein Stund nach Essens, / pro recreatione, mit rechter bescheidenheit zugebrauchen, unabge/schlagen sein.
(Doch soll ihnen das erlaubte und ehrsame, unaufdringliche Saitenspiel und Gesang, morgens und abends, jedesmal eine Stunde nach dem Essen zur Erholung, mit rechtem Maß zu gebrauchen, unverwehrt sein.)[5]

Dass die Laute ein Bestandteil des studentischen Lebens war, bezeugt auch der seit 1534 an der Artistenfakultät der Kölner Universität immatrikulierte Hermann Weinsberg (1518–1597)[6]:

„[…] hett ich wol uff der luten oder virginail oder clavicordio oder pfeifen leren spilen umb ein geringt vur zitverdreif, dan gemeinlich  alle  studenten leisten dermaissen etwas  […]“.[7]

Unter dem „zitverdreif“ (Zeitvertreib) wurde sicherlich nur das bloße Vergnügen verstanden, allerdings nicht das Betteln, das für ärmere Studenten überlebenswichtig war, und vermutlich zu den späteren Einwänden gegen Instrumente an Universitäten und Instrumentalmusik in Studentenhäusern beigetragen hat. Aus den allgemeinen Verhaltensregeln der Wiener Kodrei Goldberg von 1555 ist z. B. bekannt, dass Vokalmusik nach den Mahlzeiten aufgeführt werden durfte, während Instrumentalmusik nicht gestattet war.[8] Ein ähnliches Verbot wurde in den Statuten der Universität Leipzig niedergeschrieben.[9] Peter Király wies zudem nach, dass die Studenten, u. a. in Bursen, einander auf der Laute unterrichteten oder sogar Instrumente und Lautenbücher füreinander hinterließen.[10]

[3] Boos 1878, 135-136; eine kürzere Version des Textes bei Daniel Albert Fechter, Thomas und Felix Platter. Zwei Autobiographieen. Ein Beitrag zur Sittengeschichte des XVI. Jahrhunderts, Basel 1840, 124.

[4] Heinrich Bebelius, Opusculum de institutione puerorum, Straßburg 1506 und 1513, zit. nach Niemöller 1969, 538-539.

[5] Zit. nach Vormbaum 1860, 140.

[6] Vgl. „Hermann von Weinsberg“, in: Repertorium Academicum Germanicum (RAG)https://database.rag-online.org/viewer.p/1/4/object/46-2212430 RAG-ID: ngRH3I072QJ80gnllRKgaPdI (Zugang 25.01.2019).

[7] Weinsberg 1537, zit. nach Niemöller 1969, 266.

[8] Denk 2013, 232.

[9] Király 2010, 134.

[10] Király 2010, 133.