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Die Schwankliedtradition

Andrea Grafetstätter

Zahlreiche Neid­hartiana-Lieder[64] rücken Schwänke in den Mittelpunkt; bereits in ei­nem relativ frü­hen Stadium wurden wohl einzelne Schwank­er­­zäh­lun­­­­gen drama­tisch be­ar­beitet und auf­geführt, was insbesondere für den ‚Veil­chen­schwank‘ zutrifft. In der Schwankliedtradition ste­hen Situa­ti­ons­beschreibungen aus der Ich-Per­spek­­ti­­ve als eine Art Rah­men­erzählung vor dem eigent­li­chen Bericht. In den Spielen er­set­zt ein Precursor diese Ich-Re­de: „Der Prolog zunächst vertrat nicht nur den Theaterzettel, da er Titel und Personen – was sich in jener Zeit mit der Inhaltsangabe des Stückes deckt – angibt, er vertritt auch den Vorhang.“[65] Im Gro­­ßen Neid­hartspiel sorgt der „vor lauffer“ in einer langen Ein­­schreierrede (66 Verse) für Ruhe mit „Schweiget hört und vernemet alle“ (Margetts 1982, 17, 3) und stellt die Her­zogin von Österreich vor, als deren Bote er sich stili­siert; sukzessive ruft er die Akteure hin­zu und umreißt ihre Funktion im Spiel. In den Neidhart­spielen der Tiroler Spieltradition haben die Akteure oft komisch sprechende Namen, z. B. Treybm­schalkh im Spiel ‚Ipocras‘ (Bauer 1982, 90, 44) oder gretl pruntz jn stall und Schlickenprein im Gro­­ßen Neid­hartspiel (Margetts 1982, 26, 296 bzw. 27, 339). Diese sind schon aus der Lied­tra­di­tion, insbeson­dere aus Neidharts Winter­liedern[66], be­kannt. Adaptiert wird in den Neidhartspielen die Dörper­fi­gur der Lieder, al­ler­­dings in ihrer li­te­ra­ri­schen Rolle stän­­disch als rusticus oder pawer ausge­wie­sen.[67] Be­­reits in Zusatz­strophen zu Neid­hart­lie­dern ma­ni­fes­tie­ren sich spezifische Interessen von Bear­­bei­tern, so die Pro­lon­ga­tion von Kampf­hand­lungen oder An­dro­hungen von kör­per­li­chen Ver­seh­run­gen.[68]

Der in den Liedern kultivierte Kontrast von bäuerlichen und höfischen Tänzen wird in den Spielen mit bemerkenswerter Vehemenz akzentuiert. Die Instruktion für einen Tanz lautet z. B.: „so die vortanzer danne swigen,/ so sult ir alle sin gepeten,/ daz wir treten/ ob ein hove­tanzel nah der geigen“ (Müller/Bennnewitz/Spechtler 2007, Bd. 1, 234, R 33, II, 9–12) (wenn nun die Vortänzer ruhig sind, so seid ihr alle gebeten, dass wir noch einen höfischen Tanz nach der Geige tanzen). Das offenbart, dass sich die Vortänzer, denen die anderen Teilnehmer nachfolgen sollten, auch als Vorsänger betätigten. [69] Hieraus ergibt sich möglicherweise ein Hinweis auf die Aufführung solcher Tänze oder Gesangsszenen in den Neidhartspielen.[70]

[64] Zu diesen vgl. besonders auch » B. Das Phänomen „Neidhart“.

[65] Zellweker 1906, 3.

[66] Die Lieder Neidharts werden, entsprechend dem jahreszeitlich differierenden Natureingang der Lieder, in Sommer- und Winterlieder unterteilt.

[67] Vgl. Vögel 1997, 168.

[68] So z. B. im Lied Do der liebe sumer urloup genam (Müller/Bennnewitz/Spechtler 2007, Bd. 1, 124, R 16, VI).

[69] Vgl. Simon 1975, 114–115. D. h., dass die Vortänzer zu ihrem Tanz selbst sangen.

[70] Mit dem „hovetanzel nah der geigen“ könnte ein Reigentanz gemeint sein; Bauerntänze sind in ikonographischen Belegen um 1500 fast ausschließlich als Paartänze dargestellt.