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Simon von Trient – Auswirkungen gesellschaftlicher Vorurteile

Andrea Horz

Was war Ostern 1475 in Trient passiert? Ein seit dem Gründonnerstag vermisstes zweijähriges Kind wurde in der Nacht von Ostersonntag auf Ostermontag, am 26./27. März, in Trient am Hause des jüdischen Geldhändlers Samuel tot aufgefunden.[6] Sofort stand der Verdacht im Raum, die ortsansässige jüdische Gemeinde habe das Kind entführt und bei rituellen Handlungen getötet – eine Vermutung, die im 15. Jahrhundert den landläufigen, häufig in judenfeindlichen Predigten[7] erhobenen Blutbeschuldigungen gegen Juden entgegenkam. Es folgte ein bereits damals umstrittener, formal unrechtmäßiger Prozess.[8] An dessen Ende, auf Basis der unter mehrfacher Folter erpressten Geständnisse der Angeklagten,[9] stand die Hinrichtung der männlichen Mitglieder der jüdischen Familien. Die Frauen kamen nach der Bekehrung zum Christentum frei.[10]

Der Fall schlug (und schlägt[11]) sehr hohe Wellen, die publizistische und literarische Verarbeitung des Vorfalls ist nur mit der Berichterstattung über den Fall Konstantinopels vergleichbar.[12] Kaum ein weiteres Ereignis der 2. Hälfte des 15. Jahrhunderts erfuhr solche Aufmerksamkeit.[13] Diese Publikationsflut ist kein Zufall. Johannes Hinderbach, der mit dem habsburgischen Kaiserhof eng verbundene Fürstbischof von Trient, war nicht nur für das Verfahren gegen die Juden verantwortlich. Er sorgte außerdem für die mediale Inszenierung des Geschehens. Einen wichtigen Helfer fand er in Johannes Matthias Tiberinus, seinem Leibarzt, der von Anfang an den Prozessverlauf begleitete. Dieser protokollierte nicht nur den medizinischen Befund der Kindesleiche, sondern dokumentierte auch die Trienter Vorgänge für die Öffentlichkeit. Mit der Passio Beati Simonis schuf er die Vorlage für die weiteren Bearbeitungen des Stoffes. Mehrfach in verschiedenen medialen Formaten umgesetzt erreichte die Nachricht von den Trienter Vorfällen alle lesenden Schichten: Die judenfeindlichen und hagiographischen Publikationen umfassten lateinische Ereignisberichte samt Übersetzungen in Volkssprache, Epigramm, elegisches Carmen, heroisches Epos, Einblattholzschnitte und Reimpaarerzählung; in Chroniken und Legendaren ist davon zu lesen.[14]

[6] Siehe unter der zahlreichen Literatur, die sich mit dem Vorfall beschäftigt, u. a. Hsia 1997.

[7] Worstbrock 1992,  1260, verweist auf die judenfeindlichen Predigten des Bernardino da Feltre.

[8] Zum Inquisitionsverfahren siehe beispielsweise Hsia 1997 oder Quaglioni 2003, 90 ff. Mit reichlichen Zitaten aus dem Quellenmaterial, vor allem den Prozessakten, arbeitet Anna Esposito das Stereotyp der Anschuldigungen heraus: Esposito 2003.

[9] Zu dem Vorgehen und der Art der Folteranwendungen siehe ebenfalls die Rekonstruktion nach den Protokollen von Esposito 2003, 137 ff.

[10] Siehe die Zusammenfassung bei Worstbrock 1992, 1260 ff.

[11] Die Publikationswelle hält immer noch an, kaum ein Jahr vergeht ohne Publikation zu diesem Vorfall. Zu dieser Bemerkung siehe Quaglioni 2003, 85. Allgemein zu den medialen Mitteln, mit deren Hilfe Judenfeindlichkeit verbreitet wurde, siehe Frey 2013.

[12] Siehe hierzu auch » J. Türken.

[13] Diesen Vergleich zog Worstbrock 1992, 1262.

[14] Worstbrock 1992, 1262. Bei dieser publizistischen Flut erscheint es nicht zufällig, dass dieses Ereignis den Einzug des Buchdruckes in Trient markierte. Das erste Werk des Verlegers Albert Kunne ist über Simon. (siehe hierzu Esposito 2003, 149).