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Das Lied: Die Passion Christi in alltäglicher Erinnerung

Andrea Horz

Das Andenken an die Passion Christi durchdrang im Mittelalter immer mehr den Lebensalltag der Menschen. Eine spezielle Form dieses Gedenkens bestand darin, den Leidensweg Jesu auf den Tagesablauf zu projizieren. Den Stationen der Christuspassion wurden dabei die einzelnen Tageszeiten zugeordnet.[47] In Bilderzyklen, Gedichten und Gebeten, aber auch in musikalischen Fassungen wurde diese Idee umgesetzt (» Notenbsp. Patris sapientia; » B. Geistliches Lied). In der „Mondsee-Wiener Liederhandschrift“ » A-Wn Cod. 2856 ist ein solches Lied vom Mönch von Salzburg mit dem Titel „Des Munichz passion“ überliefert (Die nacht wirt schir des himels gast, G 23 (» B. Geistliche Lieder des Mönchs von Salzburg).[48]

Auch in diesem Lied wird mit dem Gegensatz von Gut und Böse gearbeitet, die „bösen“ Juden sind mit feindseligen Stereotypen belegt: Nach der Bitte um den Beistand Gottes und „all himlische ritterschaft“, setzt in der zweiten Strophe die Erzählung vom Leidensweg Jesu mit dem verräterischen Kuss Judas im Garten Gesemaneth ein. Zur Prim sammelt sich die „judisch rot“ vor Pilatus. Trotz des Verweises des römischen Statthalter auf die Unschuld Christi verlangen die Juden die Freilassung des Verbrechers Barrabas („sie ziehen in vil valscher sund, der juden mund versputen sin gesicht“). Zur Terz setzen sie Jesus die stechende Dornenkrone auf. Der Mönch kommentiert: „Der judisch gruß waz valsch vnd suß, ob er ein künig wer“. Der „juden valscher sin“ fordert die Kreuzigung Christi: „‘heb uff, heb vff vnd cruczget in!‘“. Zur Sext sind es die Juden, die das Gewand Jesu teilen und den „gallen tranck“ bieten; sie verspotten den bereits am Kreuz hängenden Christus. Der zur None den Juden gegebene Hinweis des römischen Centurio „Vorwar, der hie gemarttelt ist, der ist von got geboren zwar, messyas, Jhesus Crist“ unterstreicht aus christlicher Sicht die jüdische Verblendung und ihren Unglauben.

In dramatisierender Weise sind den bösen Juden die einsichtigen Römer gegenübergestellt. Die ausführliche Beschreibung der Sicht Marias auf Jesus (vgl. beispielsweise die Pietà-Szene der siebten Strophe) bewirkt beim Hörer zudem tiefere Betroffenheit. Das negative Klischee von falschen, spottenden und ungläubigen Juden ist mit diesem Lied zu jeder Stunde präsent.

[47] Siehe zu diesem im Hochmittelalter entwickelten Verständnis Häussling 2000, 1234, sowie Köpf 1996, insbesondere 733.

[48] Zu weiteren Tagzeitengedichten (und Liedern) vgl. Palmer 1995.