Reimreden und Spruchtöne in Österreich im 14. und 15. Jahrhundert
Die Zahl der aus der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts und aus dem 15. Jahrhundert bezeugten Spruchdichter ist verhältnismäßig gering; keiner davon stammt aus den österreichischen Ländern. Umfangreiche Œuvres gibt es nur von dem Mitteldeutschen Heinrich von Mügeln (um 1370), dem Rheinfranken Muskatblut (um 1430) und von Michel Beheim aus Nordwürttemberg (Schaffenszeit ab etwa 1440 bis 1472), dem letzten professionellen Spruchdichter überhaupt; von anderen Spruchsängern – Suchensinn, Harder, Lesch, Hülzing und einigen anderen – sind nur wenige, teilweise auch sehr wenige Texte bzw. Töne überliefert.
Grund für das Aus-der-Mode-kommen des Spruchsangs war wohl nicht zuletzt das Aufkommen einer neuen, weniger anspruchsvollen literarischen Form, des Reimspruchs oder der Reimrede, einer im Spätmittelalter und in der Frühen Neuzeit höchst verbreiteten, mit Sprechstimme vorgetragenen Gattung. Dabei handelt es sich um paargereimte, bisweilen kreuzgereimte Texte in Vierhebern, in denen ohne bestimmte Längenvorgabe bequem alle denkbaren Themen, geistlich wie weltlich, abgehandelt werden konnten. Das Textende ist – sofern der Text, was häufig vorkommt, nicht anonym überliefert ist – häufig markiert durch eine Autorsignatur, z. B.: also sprach der Teychnär. Die Literaturgeschichte dieser zeitgenössisch (und noch heute) als „Spruch“ bezeichneten Gattung begann im 13. Jahrhundert mit dem Dichter Stricker; die bekanntesten Autoren des 14. Jahrhundert waren Heinrich der Teichner (dichtete um 1350/70), von dem 720 durchweg lehrhafte Reimpaarreden stammen, in denen Lehrmeinungen der Kirche vertreten werden, und Peter Suchenwirt (dichtete von 1347/49 bis 1395), von dem 52 oder 53 Reden unterschiedlicher Thematik erhalten blieben. Beide lebten nach einer Zeit als fahrende Dichter dauerhaft in Wien. Während der offenbar sehr populäre Teichner sich zur Politik niemals äußerte, war Suchenwirt geradezu Spezialist auf diesem Gebiet. Von ihm stammen Totenklagen auf Fürsten und Adlige und Preisreden auf Lebende, beide Texttypen versehen mit Ausdeutungen (Blasonierungen) von Wappen. Gewidmet sind sie nicht zuletzt österreichischen Herren und Fürsten. Man trifft hier auf die typische Dichtung fürstlicher Sprecher und Herolde.[15]
[15] Vgl. hierzu Lämmert 1970; Ziegeler 2003; Glier 1981; Brinker-von der Heyde 1995. Die Liste der politischen Reden Suchenwirts findet sich bei Müller 1974, S. 191-201.
[1] Vgl. Brunner 1998; Klein/Haustein/Brunner 2019. Umfassende Bestandaufnahme in: Brunner/Wachinger 1986-2009, im Folgenden abgekürzt RSM.
[2] Vgl. Brunner 2013.
[3] Brunner/Hartmann 2010 (Gesamtausgabe der Melodien nach allen Quellen; im Folgenden abgekürzt SPS).
[4] Vgl. Rettelbach 2019; zur Umgestaltung der Melodien in der Spätüberlieferung vgl. Brunner 1975.
.[5] Walther von der Vogelweide wird zitiert nach Lachmann 2023, abgekürzt L.
[6] Ediert in Brunner 2005, S. 123-167.
[7] Ediert in SPS (Brunner/Hartmann 2010), S. 408-411.
[8] Bruder Wernher wird zitiert nach Z = Zuckschwerdt 2014.
[9] SPS (Brunner/Hartmann 2010), S. 427-432.
[10] Vgl. Brunner/Schrenk 2014.
[12] Zitiert nach Mildner 2023.
[13] SPS (Brunner/Hartmann 2010), S. 397-399.
[14] Die Sprüche sind aufgelistet bei Müller 1974, S. 350-353; Abdrucke der Texte bei Müller 1972. Die in der Jenaer Handschrift erhaltenen Melodien sind ediert in SPS (Brunner/Hartmann 2010).
[15] Vgl. hierzu Lämmert 1970; Ziegeler 2003; Glier 1981; Brinker-von der Heyde 1995. Die Liste der politischen Reden Suchenwirts findet sich bei Müller 1974, S. 191-201.
[16] Vgl das Faksimile; Thurnher/Zimmermann 1979; ferner Zimmermann 1980; Zimmermann 1995; Lomnitzer 1971.
[17] Zur Handschrift vgl. » B. Traditionsbildungen, mit » Abb. Iam en trena / Man siht läuber.
[18] Vgl. dazu zusammenfassend Callsen 2019.
[19] Vgl. Worstbrock 1992.
[20] Stohlmann 1983, Sp. 136.
[21] Texte und Melodien sind ausführlich behandelt in » B. Traditionsbildungen (Reinhard Strohm).
[22] Die Spruchmelodien in der Sterzinger und in der Schratschen Handschrift sind in SPS (Brunner/Hartmann 2010) berücksichtigt. Vgl. zur Handschrift Eghenvelders auch » Kap. Eine studentische Neidhartsammlung aus Wien (Marc Lewon) mit Musikbeispielen.
[23] Haustein/Willms 2021, Nr. 7 und 59.
[24] Vgl. Spechtler 1972; Waechter 2005; zu den Tönen Brunner 2013, S. 184-189. » Kap. Geistliche Lieder des Mönchs von Salzburg (Stefan Engels); » Kap. Die weltlichen Lieder des Mönchs von Salzburg (David Murray).
[25] Vgl. Brunner 2021.
[26] Vgl. Brunner 2013, S. 190-193.
[27] Vgl. Brunner 2011.
[28] Kl = Klein 2015
[29] Grundlegend hierzu Schanze 1983.
[30] Gille/Spriewald 1968-1971; dort in Bd. 3/1, S. 474-483, hrsg. von Christoph Petzsch, auch die Melodien; diese (synoptisch) auch in SPS (Brunner/Hartmann 2010), S. 6-17.
[31] Vgl. die Übersicht bei Müller 1974, S. 246-267.
[32] Vgl. Schanze 1987, Sp. 349-351.
[33] Schanze 1987, Sp. 351.