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Spruchsang des 13. Jahrhunderts in Österreich: Walther von der Vogelweide

Horst Brunner

In der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts war das Herzogtum Österreich von geradezu entscheidender Bedeutung für die Entwicklung des Spruchsangs. Dies verdankte sich in erster Linie Walther von der Vogelweide (um 1170-um 1230), der von sich selbst sagte: ze Oesterriche lernte ich singen und sagen (L 32,8)[5]  – „In Österreich [gemeint: am Wiener Hof] lernte ich das Singen und das Dichten.“ Über den Walther vorausgehenden Spruchsang wissen wir wenig. Er ist nur durch wenige anonyme Texte bekannt, die in den Handschriften unter dem Dichternamen Spervogel (‚Sperling‘) überliefert sind – es handelt sich in Wirklichkeit um zwei unterschiedliche Autoren der Zeit zwischen etwa 1170 und 1200.[6] Eigentlicher Begründer, zugleich Höhepunkt der Gattung war Walther. Erhalten haben sich von ihm Spruchstrophen in 20 unterschiedlichen Tönen. Er erschloss dem Spruchsang mit glänzender Rhetorik ein ausgedehntes Spektrum von Themen; nicht zuletzt wurde er durch ihn zu einer Waffe im politischen Tagesgeschäft und in seinem persönlichen Lebenskampf. Vor allem mit seinen politischen Strophen scheint er Furore gemacht zu haben. Der Wiener Hof, insbesondere der Babenberger Herzog Leopold VI. (1176/77-1230), spielt dabei eine wichtige Rolle: An ihn richtet sich, im einzelnen kaum einigermaßen sicher zu datieren, ein Dutzend Lobsprüche, Bittsprüche, Scheltsprüche in fünf verschiedenen Tönen (Wiener Hofton, König-Friedrichs-Ton, Unmutston, Leopoldston, Kaiser-Friedrichs-Ton), dazu kommt eine Strophe (L 19,29, im 1. Philippston), die eindrucksvoll mitteilt, Walther habe nach dem Tod von Leopolds Vorgänger Herzog Friedrich I. (um 1175-1198) den Wiener Hof verlassen – offenbar hatte er seinen Gönner verloren; er wandte sich nun dem Stauferkönig Philipp von Schwaben zu. Spätere Aufenthalte in Wien – Leopolds VI. Schwertleite im Jahr 1200?, seine Hochzeit mit einer byzantinischen Prinzessin 1203? – verfolgten offenbar die Absicht, am Hof erneut wieder Fuß zu fassen, das leidige Wanderleben hinter sich zu lassen, was indes nicht gelang. In einer Strophe (L 34,34, im Unmutston) lobt Walther neben dem Herzog auch den Patriarchen von Aquileja, den vormaligen Bischof von Passau Wolfger von Erla, und (ohne Namensnennung) den Onkel Leopolds Heinrich von Mödling (+ 1223). Auch zwei Sprüche (32,17 und 27, im Unmutston) auf Herzog Bernhard II. von Kärnten (1202-1256) gehören in den Bereich des heutigen Österreich. (Anmerkung: Die Tonnamen Walthers sind nur in wenigen Fällen überliefert, die angegebenen Namen wurden den Tönen von der modernen Forschung zugeteilt.). Von den Spruchmelodien Walthers sind nur wenige erhalten geblieben: Fragmente des 1. Philippstons und des König-Friedrichs-Tons im Münsterschen Fragment (Mitte 14. Jh.), dazu in später Meistersingerüberlieferung der Wiener Hofton und der Ottenton.[7]

[5] Walther von der Vogelweide wird zitiert nach Lachmann 2023, abgekürzt L.

[6] Ediert in Brunner 2005, S. 123-167.

[7] Ediert in SPS (Brunner/Hartmann 2010), S. 408-411.