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Jacob Obrechts Missa Salve diva parens und Erzherzog Maximilian

Birgit Lodes

Obrechts Missa Salve diva parens eröffnet das Chorbuch » A-Wn Mus.Hs. 15495, das für Maximilian I. um 1508-1510 im Zusammenhang mit seiner Reise in die Niederlande als frisch proklamierter Kaiser und dem Abschluss der „Liga von Cambrai“ (10. Dezember 1508) hergestellt wurde. Für diese Prachthandschrift wurde generell Repertoire ausgesucht, das in Beziehung zu Maximilian selbst oder seiner Tochter Margarete stand (dazu » D. Musikalische Huldigungsgeschenke, Kap. Zum Repertoire der Handschrift A-Wn Mus.Hs. 15495). Überhaupt ist innerhalb des burgundisch-habsburgischen Handschriftenkomplexes die erste Komposition eines Codex meist die für den Widmungsempfänger beziehungsreichste. Die Eröffnungsseite ist üblicherweise auch am reichsten illuminiert, und zwar nicht selten mit den Wappen der Geschenksempfänger – wie hier mit denjenigen Kaiser Maximilians I. und seiner (zweiten) Frau Bianca Maria Sforza (» Abb. Kyrie Salve diva parens). Im Falle von A-Wn Mus.Hs. 15495 fällt besonders auf, dass die Messe Salve diva parens, im Unterschied zum folgenden Repertoire, schon recht betagt (ca. 25 Jahre alt) war und im Zuge der Kopiatur eigens einer modernisierenden Überarbeitung unterzogen wurde (dazu » C. Medien mehrstimmiger Vokalmusik).

Dieser Befund deutet darauf hin, dass die Messe mit einem besonderen Ereignis im Leben Maximilians in Verbindung gestanden haben muss: Warum sonst sollte man so ein vergleichsweise „altes“ Werk beziehungsvoll an die Spitze der explizit für Maximilian zusammengestellten Handschrift stellen und dafür sogar eigens eine Modernisierung anfertigen?

Die Missa Salve diva parens wurde bereits Ende 1487 oder Anfang 1488 in Rom im Chorbuch » V-VCbav (ehemals I-Rvat) Capp. Sist. 51 aufgezeichnet[3] – möglicherweise brachte Obrecht selbst sie Anfang 1488 dorthin mit.[4] Mit dieser Entstehungszeit reicht diese Messe in eine Zeit zurück, aus der wir außerordentlich wenig über die Hofmusik Maximilians wissen. 1482 war seine Ehefrau Maria von Burgund bei einem Reitunfall tödlich verunglückt; Maximilian oblagen nun (als Vormund seines vierjährigen Sohns Philipp) die burgundischen Regierungsgeschäfte. Die bereits 1477 von Marias Vater übernommene, äußerst renommierte burgundische Hofkapelle mit mehr als 20 Sängern scheint Maximilian in dieser Zeit kriegsbedingt vernachlässigt zu haben, und auch über das potentielle höfische Musikrepertoire der 1480er Jahre wissen wir so gut wie nichts.[5] Ein beredtes Zeugnis von Marias und Maximilians (Marien-)Frömmigkeit, die ihren Ausdruck auch in einer täglichen mehrstimmigen Marienmesse fand, ist die äußerst reich ausgestattete Messenstiftung Marias von Burgund für die Brügger Marienkirche, die Maria auf dem Totenbett verfügte und um deren Umsetzung sich Maximilian kümmerte.[6] Das gesungene Repertoire ist aber auch hier nicht bekannt.

Im Herbst 1485 baute Maximilian die burgundische Hofkapelle im großen Stil erneut auf. Im Blick auf das Wiedersehen mit seinem Vater Kaiser Friedrich III. sowie auf die erhoffte Königskrönung rekrutierte er, wie der burgundische Hofchronist Jean Molinet (1435–1507) schildert, aus ganz Europa die besten und erfahrensten Sänger und kleidete sie kostbar in Signalrot.[7] Die Kapelle gestaltete die monatelangen Festivitäten rund um die Königswahl und Königskrönung mit und bestritt mit Maximilian auch die anschließende Reise durch das Artois, Flandern und Brabant. Danach versiegen die Zeugnisse wieder – mit dem burgundischen Erbfolgekrieg und dem anhaltenden Krieg gegen Frankreich herrschten ein weiteres Mal politisch schwierige Zeiten. Belegt ist erst wieder, dass Maximilian, als er nach seiner Gefangenschaft in Brügge (Januar bis Mai 1488) Ende 1488 die Niederlande verließ, mehrere Hofkapellmitglieder mit einer größeren Zahlung entschädigte (» I. Hofkapelle Maximilians). Anfang der 1490er Jahre übernahm sodann sein Sohn Erzherzog Philipp offiziell die burgundische Kapelle.[8]

Die von der exponierten Position im Prachtchorbuch A-Wn Mus.Hs. 15495 suggerierte Verbindung von Obrechts Missa Salve diva parens zu Erzherzog bzw. König Maximilian ist angesichts des Quellenverlusts der burgundisch-habsburgischen Hofkapelle der 1480er Jahre bemerkenswert: Damit ist zumindest ein Werk greifbar, das mit großer Wahrscheinlichkeit zum Repertoire dieser Kapelle in den späteren 1480er Jahren gehört hat. Zudem war man in der Forschung bislang nicht von einer Verbindung Maximilians zu Obrecht (c. 1457/58–1505), der ab ca. 1480 erste Messvertonungen vorlegte, ausgegangen (» G. Jacob Obrecht).

Darüber hinaus steht die früheste Aufzeichnung der Messe (in I-Rvat Cap. Sist. 51 Ende 1487/Anfang 1488) in zeitlicher Nähe zu einem großen Staatsereignis im Leben Maximilians: seine Königskrönung im Frühjahr 1486 in Aachen. Auch dass die zweite frühe Aufzeichnung in einer fragmentarisch erhaltenen Handschrift (» A-LIb Hs. 529; » C. Medien mehrstimmiger Vokalmusik, Kap. Handschriftliche Quellen zur Missa Salve diva parens) notiert ist, die wohl dem Umfeld Maximilians I. nach seiner Rückkehr ins Reich (ca. 1490–1492) zuzuordnen ist, legt eine entsprechende Verbindung durchaus nahe. Diese Umstände berechtigen zu der Hypothese, dass Obrecht die Missa Salve diva parens im Kontext der Königskrönung von Maximilian I. komponierte.

[3] Roth 1998, bes. 46 f., 52 f., 55. Von Rom aus fand die Messe wohl Mitte der 1490er Jahre ihren Weg in das umfangreiche Chorbuch » I-VEcap 761. Zu Entstehungszeit und -umständen dieser Handschrift vgl. Rifkin 2009.

[4] Die Dokumente zur vermuteten Rom-Reise hat Rob C. Wegman zusammengestellt (Wegman 1994, 139–144), der aber davon ausgeht, dass die Messe zu dem Zeitpunkt schon in Rom vorlag.

[5] Messrepertoire der burgundischen Hofkapelle aus den 1460er und 1470er Jahren findet sich im Chorbuch » B-Br Ms. 5557 (Faksimile: Wegman 1989). Wahrscheinlich stehen auch die sechs anonym überlieferten L’homme armé-Messen aus dem Chorbuch » I-Nn Ms. VI E 40 im Zusammenhang mit der burgundischen Kapelle. – Die eng mit dem Hof in Verbindung stehenden „Alamire-Handschriften“ entstanden erst in bzw. nach der Regierungszeit von Philipp I. dem Schönen (» A-Wn Mus. Hs. 15495).

[6] Dazu Strohm 2009.

[7] Ausführliche Schilderung mit Namensnennungen von Sängern, deren Positionen und musikalischen Qualitäten bei Molinet 1935–1937, Bd. 1, 469 f.

[8] Üblicherweise wird als Datum der 17. November 1492 genannt (dazu Fiala 2015, 434); Honey Meconi (Meconi 2003, 20–23) interpretiert die überlieferten Zahlungsbelege anders und geht von einer Übernahme erst zum 30. September 1495 aus; vgl. Gasch 2015, bes. 363 f.