Singen in der Region Österreich
Mit großer Selbstverständlichkeit geht man heute davon aus, dass der Alltag der Menschen im Spätmittelalter von Musik und vor allem von Vokalmusik begleitet war.[1] Wir sind überzeugt, dass nicht nur gebildete und elitäre Kreise sangen oder dem Gesang lauschten und auch abseits von Feiern und Festen gesungen wurde. Gesang, beispielsweise als Unterhaltung oder Ablenkung bei der Arbeit oder auf Reisen, ist für den Raum Österreich durch Quellen belegt. Eine dieser Quellen ist ein Itinerar, das von der Reise eines Klerikers u. a. durch Kärnten angefertigt wurde, und berichtet, dass ein einheimischer Begleiter auf dem Weg „in seiner Muttersprache“ sang.[2] Auch Bildquellen belegen die starke Präsenz von Vokalmusik, wobei sie überwiegend Musik im kirchlichen oder höfischen Kontext abbilden.[3] Außerhalb der gebildeten Gesellschaftsschichten wird im 15. Jahrhundert dagegen häufig das Musizieren auf schalmeiartigen Instrumenten, Dudelsack (» Hörbsp. ♫ Dudelsack) oder (Kuh-)Horn (» Hörbsp. ♫ Kuhhorn) dargestellt. Bildzeugnisse, die das Singen außerhalb der kirchlichen oder höfischen Sphäre belegen, sind demgegenüber weitaus seltener. Werden Sänger abgebildet, so musizieren diese oft nach Notenblättern oder -heften, was meist auf eine professionelle Praxis schließen lässt. Allerdings ist dies auch eine einfache Option, die Tätigkeit des Singens eindeutig darzustellen. Wenn die Singenden keine Noten verwenden, können allein der geöffnete Mund und der Kontext das Singen ins Bild setzen. Das Singen ohne Noten – wie es für das weltliche und geistliche Volkslied anzunehmen ist – stellt für die bildende Kunst eine besondere Herausforderung dar, da keinerlei eindeutiges Attribut auf diese Tätigkeit verweist: » Abb. Singen ohne Noten. In den ersten beiden Abbildungen deutet der weit geöffnete Mund aufgrund des Kontexts ohne Zweifel auf Singen hin, aber auch bei den Darstellungen eines Handwerkers und eines Bettlers könnte es sich um Singende handeln.
[1] Wichtige Hinweise auf die Singpraxis im Alltag bei Strohm 2001, 53–76.
[2] Santonino (übers. von Egger) 1947, 151. Näheres vgl. Kap. Kontexte des Singens und » D. Fürsten und Diplomaten auf Reisen.
[3] Eine schöne Darstellung von Singen im paraliturgischen Kontext, verbildlicht durch geöffnete Münder, ist die Abbildung einer Kirchweihprozession aus einem Graduale des Stiftes Geras: » Abb. Kirchweihprozession.
[1] Wichtige Hinweise auf die Singpraxis im Alltag bei Strohm 2001, 53–76.
[2] Santonino (übers. von Egger) 1947, 151. Näheres vgl. Kap. Kontexte des Singens und » D. Fürsten und Diplomaten auf Reisen.
[3] Eine schöne Darstellung von Singen im paraliturgischen Kontext, verbildlicht durch geöffnete Münder, ist die Abbildung einer Kirchweihprozession aus einem Graduale des Stiftes Geras: » Abb. Kirchweihprozession.
[4] Vgl. Bröcker 1998b, insbes. Sp. 1733–1741.
[5] Brandt 2001, 1080–1090: „Der Begriff ‹V.› benennt heute 1. die Bewohner eines Staates, namentlich die Inhaber der Souveränität in der Demokratie, 2. die Angehörigen einer Ethnie mit gemeinsamer Herkunft, Sprache und Kultur bzw. einer sich als auch außerstaatliches V. verstehenden Großgruppe, 3. die ,einfachen‘ Mitglieder oder unteren Schichten einer Gesellschaft im Sinn von ,Volksmassen‘ im Gegensatz zu ,Obrigkeit‘ oder ,Führungsschicht‘.“
[6] Vgl. Suppan 1966, 9.
[7] Vgl. Suppan 1966, 8.
[8] Bröcker 1998b, Sp. 1735.
[9]„Obwohl der Terminus Volkslied weder dem artifiziellen noch dem soziologischen Sachverhalt gerecht wird, und obwohl er seit seiner Geburt mit romantischen Gedanken belastet ist, behalten wir ihn bei. Wir müssen uns aber seiner Grenzen bewußt sein. ‚Volkslied‘ ist für uns nicht mehr als eine bekannte, aus dem schriftlosen Usus in die res facta aufsteigende Weise.“ (Seidel 1969, 109).
[10] Z. B. Salmen 1997, 245–253.
[11] Vgl. Lindmayr-Brandl 1997, 255–279.
[12] Grosch 2011; Grosch 2013. Vgl. auch Tröster (im Druck).
[13] Vgl. beispielsweise das Lieder•Projekt (http://www.liederprojekt.org/), ein Benefizprojekt zum Singen mit Kindern von Carus Verlag, Reclam und SWR2. Selbst die Lieder, die dort mit einer Entstehungszeit im 16. Jahrhundert angeführt werden, stellen in fast allen Fällen Bearbeitungen des 19. Jahrhunderts dar.
[15] »D-Mbs 4 Mus.th. 729, fol. c4v.
[16] » CH-Bu F X 1–4, Nr. 23, und » Ott, Hans (Hrsg.), Der erst teil. Hundert vnd ainundzweintzig newe Lieder, von berümbtenn dieser kunst gesetzt, lustig zu singen, vnd auff allerley Jnstrument dienstlich, vormals dergleichen im Truck nye außgangen, Nürnberg: Hieronymus Formschneider 1534, Nr. 37 (Digitalisat des Exemplars D-Mbs Mus. pr. 35: http://stimmbuecher.digitale-sammlungen.de/view?id=bsb00082621).
[17] Zur weiteren Verbreitung in der Sphäre polyphoner Musik siehe Grosch 2013, 160–178. In böhmischen Quellen wurde dagegen auch die einstimmige Liedweise (meist mit tschechischen Texten) weiter aufgezeichnet. Vgl. die Datenbank Melodiarium Hymnologicum Bohemiae [http://www.musicologica.cz/melodiarium/] MHB/245.
[18] » A-Wn Cod. 116. Vgl. Haug 2007, 13–33.
[19] Klugseder 2012, 262.
[21] Vgl. Menhardt 1961, 280. Zur Handschrift vgl. weiterhin Lackner : Wien, Österreichische Nationalbibliothek (ÖNB), Cod. 3027.
[22] „höffen“ = „hafen“ in der Bedeutung Töpfe (siehe Lemma „Hafen“, in: Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm, Bd. 4/2 [dtv-Ausgabe: Bd. 10], Leipzig 1877, Sp. 120; Link: http://www.woerterbuchnetz.de/DWB?lemma=hafen) und „krieg“ = Krüge.
[23] Eine Strophe umfasst zweimal sechs Zeilen, die jeweils mit den Worten „Wer els wer“ eingeleitet werden. Beide Teile zerfallen zudem jeweils in zwei gleichartig gebaute Dreizeiler, die sich als kleinstes Element aus einer Langzeile und zwei Kurzzeilen zusammensetzen. Zusätzlich zum stets wiederkehrenden Ruf „Wer els wer“ beginnt der zweite Dreizeiler jeder Strophe mit „Darzu ich dir auch helfen will“.
[25] » Schmeltzl, Wolfgang, Guter seltzamer vñ kuenstreicher teutscher Gesang sonderlich ettliche Kuenstliche Quodlibet Schlacht vñ der gleichen mit vier oder fuenff stĩmen biß her im truck nicht gesehen. […] M.D.XLIIII, Nürnberg: Johannes Petreius 1544, Tenor, fol. a2r (Digitalisat des Exemplars D-Mbs 4 Mus. pr. 453: http://stimmbuecher.digitale-sammlungen.de/view?id=bsb00077745).
[26] Der Holzschnitt ist nicht signiert, aber die ungewöhnliche Perspektive der Darstellung und die skatologische Szenerie deuten stark auf Peter Flötner hin. Vgl. hierzu und im Folgenden Dienst 2002, 78f. (Abb. 19) und 127, sowie Kammel 2007.
[27] Eustachius Schildo, Spilteufel. Ein gemein Ausschreiben von der Spiler Brüderschafft und Orden …, Frankfurt an der Oder: Johann Eichorn 1557, fol. [E4]r.
[28] Bäumker 1895, Reprint 1970, 53f. Auch das dort ohne Melodie eingetragene Lied Nr. 74, Ein gartt, ain edler garten soll auf dieselbe Melodie gesungen werden.
[29] Zu diesen Quellen vgl. Strohm 2012, 167.
[30] Erk/Böhme 1893/1894, Bd. 2, 216.
[31] Welker 2006, Bd. 1, 115–142.
[33] Digitalisat: http://manuscripta.at/diglit/AT6000-869/0103. Zur Datierung siehe Schmidtke 1976, 165.
[34] Bereits in Fichards Liederbuch (nach 1450), das 1944 in Frankfurt am Main verbrannte, klingt das Lied der Fischerin an, vgl. Schanze 2004, Sp. 455.
[35] Gedruckt von Matthäus Elchinger. Exemplar der Staatsbibliothek zu Berlin, Preußischer Kulturbesitz, 39 in: 2“ Yd 7801: http://resolver.staatsbibliothek-berlin.de/SBB0001AA2000000000.
[36] Gedruckt von Matthäus Elchinger. Exemplar der Staatsbibliothek zu Berlin, Preußischer Kulturbesitz, 12 in: 2“ Yd 7802: http://resolver.staatsbibliothek-berlin.de/SBB0001B20A00000000 .
[37] Hagenmaier 1988, 329f.
[39] Digitalisat unter http://digital.bibliothek.uni-halle.de/hd/content/titleinfo/1689049.
[40] Das wetter het verkeret sich: » CZ-Pn X A 12, fol. 299v; D-LEu Apel 8, fols. 361v–362r; D-B Mgf 488, fol. 230r–v; D-Mbs Cgm 379, fol. 116r–v. Das Liedinitium ist verzeichnet in D-Mbs Cgm 5919, fol. 297r; das Lied erschien auch in dem heute nicht mehr existierenden Fichard’schen Liederbuch.
[43] Vgl. die Zusammenstellung bei Zimmermann 1982, 291 (Nr. 26).
[44] Klugseder 2012, 266.
[45] Vgl. Menhardt 1961, 1084f.
[46] » D-Mbs Cgm 379 („Augsburger Liederbuch“), fol. 123r–v; D-DS Hs. 2225, fol. 80v. Das Liedinitium ist aufgezeichnet in D-Mbs Cgm 5919, fol. 297r. Vgl. Zimmermann 1982, 289f. (Nr. 21).
[48] Vgl. Kellermann 2000, bes. 7–34 und 49–65.
[49] Insbesondere in Liedflugschriften und auf Liedeinblattdrucken wurden selten Melodien in Notation wiedergegen. Dagegen findet man häufig den Hinweis „zu singen im Ton …“. Diese Tonangabe verwies auf die Melodie eines als bekannt vorausgesetzten Liedes.
[50] Nehlsen/Schlegel 2012, 187–218. Vgl. » H. Lautenisten und Lautenspiel; » Abb. Der Benzennawer Inn tannz weiss.
[51] Anneliese Stoklaska gibt an, dass 300 historische Ereignislieder mit Österreichbezug aus dem Zeitraum von 1278 bis 1519 überliefert seien (Stoklaska 1986, 126f.). Diese Zahl (die ohnehin nur Textüberlieferungen betrifft) ist deutlich zu hoch gegriffen, da sie sich auf Liliencrons Angaben (Liliencron 1865–1869) stützt, der jedoch die Liedüberlieferung im gesamten deutschsprachigen Raum für diesen Zeitraum verzeichnet.
[52] Exemplar in der Staatsbibliothek zu Berlin, Preußischer Kulturbesitz (Ye 2206): http://digital.staatsbibliothek-berlin.de/werkansicht/?PPN=PPN759625425. Zu diesem Lied vgl. auch » E. Kap. Lieder für König Lassla.
[53] Seemüller 1897; siehe auch Suppan 2000, 40–42.
[54] GB-Lbl Add. 16592, fol. 22r–23v.
[56] Meier 1935, 250–276.
[57] Exemplar Staatsbibliothek zu Berlin, Preußischer Kulturbesitz, Ye 1081.
[58] Staatsbibliothek zu Berlin, Preußischer Kulturbesitz, Ms. germ. fol. 754, fol. 81r; Staatsbibliothek zu Berlin, Preußischer Kulturbesitz, Sammlung Bohn Mus. ms. 10, Nr. 50; Wrocław, Ms. Brieg.Musik K.51, Nr. 25.
[59] Motnik 2012, 183f.
[60] Schmidt 1970a, 390.
[61] Schober 1885, 228; Schmidt 1970a, 391.
[62] Bröcker 1998a, Sp. 373f.
[63] Vgl. auch Schmidt 1970a, 390.
[64] Edition: Santonino (hrsg. von Vale) 1943; gekürzte Übersetzung ins Deutsche: Santonino (übers. von Egger) 1947; musikalische Auswertung: Schmidt 1970b und Brodl 2007.
[65] Santonino (übers. von Egger) 1947, 27. „Reddiderunt cantores prandium jucundius, qui singulis ferculis cantilenas aliquas suo idiomate premitere curaverunt.“ (Santonino [hrsg. von Vale] 1943, 136 [fol. 13v]).
[66] Santonino (übers. von Egger) 1947, 41. „In medio autem prandio, applicuerunt pueri octo cum suo preceptore bene in cantu instructi, qui aliquas laudes in honorem pontificis more tamen suo cecinere, et acceptis bibalibus recesserunt.“ (Santonino [hrsg. von Vale] 1943, 145 [fol. 26v]).
[67] Santonino (übers. von Egger) 1947, 172. „Cenam ipsam, iucundiorem reddidere, scholasticus et cantores ecclesie predicte de Gonabicz qui diversas laudes et ymnos, figuratis notis cecinerunt.“ (Santonino [hrsg. von Vale] 1943, 254 [fol. 127r]).
[68] Santonino (übers. von Egger) 1947, 151. „…qui dominus miles totus hilaris et benignus per omnem fere viam cum uno ex suis domicellis, plures sui ydiomatis cantilenas cecinit, ut maius ac jocundius eidem d. presuli et suis.“ (Santonino [hrsg. von Vale] 1943, 237 [fol. 111r]).