Schubinger und die „musica maximilianea“
Auf welchen musikalischen Qualitäten die offensichtlich hohe Wertschätzung, die Schubinger entgegengebracht wurde, im Einzelnen beruhte – ob auf technischer Perfektion, virtuoser Brillanz, musikalischem Erfindungsreichtum, einer bestimmten Klanggebung etc.pp. – lässt sich nicht mit Bestimmtheit sagen. Zu pauschal sind die zeitgenössischen Nachrichten über ihn und zu wenig wissen wir letztendlich über die Kriterien damaliger musikalisch-ästhetischer Urteilsbildung. Aber es existieren einige Anhaltspunkte um zu klären, worin der ,Wert‘ Schubingers für Maximilian I. und die Musik an dessen Hof lag.
Soweit ihre Herkunft eruierbar ist, stammten die Musiker, die Maximilians seit der Mitte der 1490er Jahre rekrutierte, von Ausnahmen wie insbesondere Heinrich Isaac abgesehen, aus den österreichischen Erblanden bzw. dem südlichen deutschen Sprachraum. Insofern fügt sich das Engagement Schubingers gleichsam in das Gesamtbild. Eine Eigenschaft (die er mit dem Flamen Isaac teilte) unterschied ihn allerdings vom Gros seiner Kollegen: der internationale ,background‘, den er seiner jahrelangen Tätigkeit in Italien und Burgund und daneben wohl auch den Reisen nach Spanien, durch Frankreich oder Savoyen usw. verdankte.
Man kann folglich davon ausgehen, dass Schubinger über ausgedehnte Kenntnisse von musikalischen Repertoires und Praktiken aus weiten Teilen Europas verfügte und in transregionale personale Netzwerke eingebunden war. Dass dies der Musik am Hof Maximilians I. zugute kam, ist nicht nur prinzipiell zu vermuten, sondern kann teilweise auch konkret nachvollzogen werden. Wie erwähnt dürfte es Schubinger gewesen sein, der Isaac an die kaiserliche Kapelle vermittelte (» G. Kap. Schubinger, Lorenzo de’ Medici und Isaac) und der die Quelle für die Tänze und für die Stücke Agricolas im Augsburger Liederbuch war (» Kap. Schubinger und das Augsburger Liederbuch). Dasselbe könnte für die Werke Pierre de La Rues, eines weiteren Kollegen aus der Zeit bei Philipp dem Schönen, gegolten haben, welche sich in Quellen mit maximilianeischem Repertoire finden (A-Wn Mus.Hs. 18810 und D-Mu, 8°Cod. ms. 328–331).[47] Außerdem ist vorstellbar, dass Schubinger eine Rolle bei der Rezeption der Lira da braccio (» Instrumentenmuseum. Lira da braccio) am Hof Maximilians gespielt hat.[48]
Vielleicht brachte Schubingers Vertrautheit mit italienischer Musik und Kultur noch einen weiteren Vorteil mit sich: Bianca Maria Sforza, Maximilians zweite Ehefrau seit 1493, versuchte auch in Österreich die Beziehung zu ihrer Heimat aufrechtzuerhalten. So umgab sie sich mit zahlreichen italienischen Hofdamen und -bediensteten, engagierte einen italienischen Solosänger, pflegte italienische Tänze und ließ sich aus Mantua ein Clavichord schicken.[49] Schubingers Erfahrungen aus seiner Florentiner Zeit könnten auch in dieser Hinsicht willkommen gewesen sein.
Über solche Einzelaspekte hinaus ist Schubingers Bedeutung freilich auf einer allgemeinen Ebene, nämlich in Relation zum generellen Profil der maximilianeischen Musik zu sehen. Offenkundig wurde der Instrumentalmusik am Hof Maximilians ein hoher Stellenwert beigemessen.[50] Bemerkenswert ist allein schon die hohe Dichte erstrangiger Spieler (neben Schubinger u. a. Paul Hofhaimer, Hans Steudl oder Hans Neuschl). Nicht minder markant ist die Integration von Instrumentalem in die Praxis der Vokalkapelle, welche sich in der Einbindung der Bläser in die Kantorei, aber auch in der Pflege der sog. missae ad organum manifestiert, d. h. von Alternatimmessen, in denen abschnittsweise Vokalpolyphonie und Orgelsätze abwechseln (» D. Kap. Isaac als Schlüsselfigur: choralbasierte Propriums- und Ordinariumszyklen). Dass die Instrumentalmusik zu den besonderen Glanzstücken der Hofmusik Maximilians zählte, ist nicht zuletzt am Triumphzug ablesbar (» I. Instrumentalkünstler am Hof Maximilians I.). Vier der fünf Musikerwagen sind allein mit Instrumentalisten bzw. Instrumentalensembles besetzt und auch beim fünften, dem Kantorei-Wagen, wird durch die Darstellung Schubingers und Steudls und deutlicher noch im Textprogramm der instrumentale Anteil akzentuiert. Hinzu kommt, dass alle im Triumphzug namentlich genannten Musiker Instrumentalisten sind.[51] All dies läuft auf die Folgerung hinaus, dass Schubinger als einer der brillantesten Instrumentalisten seiner Zeit eine Schlüsselrolle für die Musikkultur am Hof Maximilians gespielt hat.
[47] Schwindt 2018c, 280; vgl. auch Birkendort 1994, Bd. 1, 184.
[48] Schwindt 2018c, 120–124.
[49] Unterholzner 2015, insbes. 79–89, 96–98; Schwindt 2018c, 73–76.
[50] Vgl. Lütteken 2010 LIT, 20–21; Polk 2001b; Schwindt 2018c, 20–24.
[51] Neben Schubinger sind dies der Organist Paul Hofhaimer, der Lautenist Albrecht Morhanns, die Posaunisten Hans Neuschel und Hans Steudl sowie der Pfeifer Anton Dornstetter. Siehe die betreffenden Bildprogrammtexte bei Schestag 1883, 155 und 158–160.
[1] Aus Schubingers Dienstrevers von 1514 ( » Abb. Schubingers Dienstrevers 1514).
[2] Siehe etwa D-Asa Baumeisterbücher, Bd. 89 (1495), fol. 17r; Bd. 90 (1496), fol. 17r; Bd. 93 (1499), fol. 22v.
[3] Grassl 1999, 208, unter Bezugnahme auf Wessely 1956, 130–134. Siehe auch die Dokumente von 1514, denen zufolge Schubinger als „Posaunist“ angestellt wurde, wiewohl er zu dieser Zeit auch, wenn nicht in erster Linie, als Zinkenist hervortrat.
[4] D-Asa Baumeisterbücher, Bd. 80 (1487), fol. 65r.
[5] D-Asa Baumeisterbücher, Bd. 82 (1489), fol. 66r; Bd. 84 (1490), fol. 68r; Bd. 89 (1495) [o. fol.]; Bd. 90 (1496), fol. 90r. Diettel setzt sich auch insofern von den anderen Stadtpfeifern ab, als er zeitweise ein etwas höheres Gehalt bezog (40 oder 44 fl. statt der sonst üblichen 36 fl.).
[6] D-Asa Baumeisterbücher, Bd. 81 (1488), fol. 16r.
[7] Vgl. McGee 1999, 731–732; McGee 2008, 166–168.
[8] D-Asa Baumeisterbücher, Bd. 55 (1457), fol. 112v, online: https://lod.academy/bmb/id/bmb-bm-03uw/1.
[9] McGee 2000, 215–216.
[11] Grassl 2019, 223 und 231–234.
[12] Polk 1994a, 210.
[13] B-Baeb Algemeen Rijksarchief / Archives générales du Royaume, V132–41287 (Stads Rekeningen Mechelen 1507/1508), fol. 211r; V132–41291, (Stads Rekeningen Mechelen 1511/1512) fol. 209v; Protokoll des Konstanzer Domkapitels 1510: „ex parte Augustini lutiniste domini Cesaris“ (siehe Krebs 1956, S. 24, Nr. 4091); D-Nsa Reichsstadt Nürnberg, Losungsamt, Stadtrechnungen 181, fol. 617v: „Item ij gulden dem Augustin K mt lautenisst zu Juliane anno 1517“.
[14] Siehe Polk 1989a, 496, 500 und 502; McGee 2000, 215; Prizer 1981, 163; weitere Beispiele bei Polk 1989c, 526–527, 542–543; Polk 1990, 196–197; McGee 2005, 149–150; McGee 2008, 210–212.
[15] Wenngleich mehrstimmiges Lautenspiel bis zu einem gewissen Grad auch mit der Plektrontechnik möglich war. Siehe Lewon 2007. Vgl. » Instrumentenmuseum Laute.
[17] » I. Kap. „Musica Lauten und Rybeben“; Nedden 1932/1933, 26–27; Ernst 1945, 222–223; Polk 1992b, 86; Polk 1994b, 407; Schwindt 2018c, 275–276.
[18] B-Baeb Algemeen Rijksarchief / Archives générales du Royaume, V132–41287 (Stads Rekeningen Mechelen 1507/1508), fol. 211r. Zu Lenaert (bzw. „Lionhardt“) siehe die Nachweise bei Polk 1992b, 86–87; Polk 2001a, 93–94; Polk 2005a, 64 und 66.
[19] Polk 1992a, 73–75; Polk 1987, 180; speziell für Nürnberg vgl. Green 2005, 13.
[20] Darstellung des Kantoreiwagens im Triumphzug (» Abb. Triumphzug Kantorei.).
[21] Siehe die Zusammenstellung der Belege bei Grassl 2019, 230–246.
[22] Siehe neben den in » G. Augustin Schubinger, Anm. 57, 58, 61 erwähnten Belegen auch das Protokoll des Konstanzer Domkapitels 1510: „ex parte Augustini lutiniste domini Cesaris. Als derselb Augustini etlich tag im chor zur orgel vnd den sengern uff dem zingken geblausen hat, ist capitulariter conclusum, im zu erunge 2 fl. zeschencken“ (siehe Krebs 1956, S. 24, Nr. 4091).
[23] Cochlaeus 1512, 90–91.
[24] Grassl 2017, 347–349 und 357–358; Grassl 2019, 217–221 und 227–228.
[25] Nedden 1932/1933, 28; Wessely 1956, 85, 88, 101–103 und 108–111; Polk 1992b, 86. Vgl. insbesondere auch die „Kollektiv“- bzw. „Gruppeneinträge“ in: D-Asa Baumeisterbücher, Bd. 97 (1503), fol. 28r: „Item x guldin Ko mayt. Busanern dero fünffe“; Bd. 98 (1504), fol. 26r: „It. viij gulden Jörigen Holland, Jorigen Eyselin, Hannsen Stevdlin vnd Vlrich Vellen Kö. mayt. Busaunern“.
[26] Polk 1992a, 109; Green 2011, 20.
[27] Siehe die Einträge in den Nördlinger Rechnungsbüchern 1506 und 1507 (» Abb. Zahlung der Stadt Nördlingen an Schubinger, 8. Juni 1506), sowie » G. Augustin Schubinger, Anm. 67.
[28] Henning 1987, 87 (Tafel 183), 90 (Tafel 211), 94 (Tafel 255).
[29] Grundlegend Polk 1992a, 169–213; siehe u. a. auch Gilbert 2005; Neumeier 2015, 273–290.
[30] Für einen Gesamtüberblick zum instrumentalen Musizieren um 1500 siehe Coelho/Polk 2016, insb. 189–225; Grassl 2013.
[32] Vgl. von der umfangreichen Literatur zu diesem Repertoire nur Polk 1997; Strohm 1992; Jickeli 1996; Banks 2006.
[33] Zur Biographie Pirkheimers siehe: http://www.pirckheimer-gesellschaft.de/html/will_car.html.
[34] Edition in: Willibald Pirckheimers Briefwechsel, Bd. 1, hrsg. von Emil Reicke (Veröffentlichungen der Kommission zur Erforschung der Geschichte der Reformation und Gegenreformation. Humanistenbriefe 4), München 1940, S. 371.
[35] Dies könnte sich auf die Unterscheidung zwischen zwei- und einteiligen bassedanze beziehen (in der Terminologie des zeitgenössischen französischen Tanzschrifttums basses danses mineurs und majeurs).
[36] Brief vom 29. Juni 1506, ediert in: Willibald Pirckheimers Briefwechsel, Bd. 1, hrsg. von Emil Reicke (Veröffentlichungen der Kommission zur Erforschung der Geschichte der Reformation und Gegenreformation. Humanistenbriefe 4), München 1940, S. 380. Siehe zu dieser Korrespondenz auch Meyer 1981, 62–64.
[37] Zu „Boruni“, dem Bearbeiter, d. h. wohl Intavolator von Binchois’ Komposition, lässt sich indes nichts Genaueres feststellen. Vielleicht handelt es sich um einen älteren Verwandten des ca. 1490 geborenen, um die Mitte des 16. Jahrhunderts renommierten Mailänder Lautenisten Pietro Paolo Borrono.
[38] Slim 1971, 563–568.
[39] Dies geht aus einer Bemerkung im Schreiben Ulrichs an Lorenzo de’ Medici hervor (» G. Kap. Schubinger, Lorenzo de’ Medici und Isaac), wonach Ulrich in Ferrara vergeblich auf seinen Bruder und „Zoani Maria che suona el liuto“ gewartet habe.
[40] McDonald 2019, 13–14.
[41] Siehe dazu insb. Birkendorf 1994, Bd. 1, 97–101; Schwindt 2018c, 542–545; vgl. auch Brinzing 1998, Bd. 1, 137–150; » B. Kap. Aufschwung der Liedkunst; » D. Zur musikalischen Quellenlage.
[42] Dies war entweder Jakob Hurlacher der Ältere, der von 1495 bis 1530 als Augsburger Stadtpfeifer tätig war (also nicht erst ab 1508, wie in der Literatur regelmäßig behauptet wird; siehe die Einträge in D-Asa Baumeisterbücher), oder Jakob Hurlacher der Jüngere, der dem Augsburger Bläserensemble von 1502 bis 1506 und von 1509 bis 1517 angehörte.
[43] Siehe im Detail Brinzing 1998, Bd. 1, 151–154; Neumeier 2015, 252–254.
[44] Brinzing 1998, Bd. 1, 150.
[45] Polk 1991, 158; siehe auch Filocamo 2009. Rein spekulativ ist folglich auch Polks Mutmaßung, der Mantüane[r] dantz könnte mit einem der von Beheim übersandten bassedanze (vgl. » Kap. Eine süddeutsche Humanistenkorrespondenz) identisch und daher Schubinger oder Giovanni Maria Ebreo dessen „Komponist“ sein.
[46] Schwindt 2018c, 280.
[47] Schwindt 2018c, 280; vgl. auch Birkendort 1994, Bd. 1, 184.
[48] Schwindt 2018c, 120–124.
[49] Unterholzner 2015, insbes. 79–89, 96–98; Schwindt 2018c, 73–76.
[50] Vgl. Lütteken 2010 LIT, 20–21; Polk 2001b; Schwindt 2018c, 20–24.
[51] Neben Schubinger sind dies der Organist Paul Hofhaimer, der Lautenist Albrecht Morhanns, die Posaunisten Hans Neuschel und Hans Steudl sowie der Pfeifer Anton Dornstetter. Siehe die betreffenden Bildprogrammtexte bei Schestag 1883, 155 und 158–160.
Empfohlene Zitierweise:
Markus Grassl: „Instrumentale Musikpraxis im Lebensbereich Augustin Schubingers (ca. 1460–1531/32)“, in: Musikleben des Spätmittelalters in der Region Österreich <https://musical-life.net/essays/instrumentale-musikpraxis-im-lebensbereich-augustin-schubingers-ca-1460-153132> (2023).