Musik als Repräsentation
Die höfischen, bürgerlichen und kirchlichen Kulturträger der Städte hatten trotz vieler Konflikte im Lauf der Zeiten auch ein gemeinsames Interesse: die öffentliche Zurschaustellung (Repräsentation) von Herrschaft, Reichtum, Recht und Frieden, die oft mit musikalischen Mitteln vor sich ging.[5] Solche Darstellungen waren nicht zufällig dann besonders intensiv, wenn eine höhere Autorität repräsentiert werden sollte, wie z.B. bei Krönungen und Kirchenfesten, oder wenn die Vertreter verschiedener Interessengruppen zusammenkamen, wie z.B. in Kongressen und Ständeversammlungen.
Wir beobachten sehr verschiedene Arten geistlichen und weltlichen Musizierens. Das vielleicht recht leise Singen von ein paar Chorschülern mit ihrem Kantor kontrastierte mit lauten, instrumentalen Klängen, die manchmal nicht nur als Musik, sondern auch als öffentliche Signale aufzufassen waren. Die gottesdienstlichen Melodien lassen sich aufgrund schriftlicher Überlieferung einigermaßen rekonstruieren. Dies gilt auch für das Orgelspiel zum Te Deum laudamus, obwohl unklar ist, ob die Orgel in diesem Fall den Gesang begleitete, mit ihm alternierte oder ihn unisono verdoppelte. Was jedoch die Trompeter bliesen, ist heute ganz unbekannt (» E. Klang-Aura): Waren es nur Einzeltöne, regelmäßig wiederholte Signale, ausgearbeitete Fanfaren, gar Melodien? Auch die Glockentöne sind selten genau rekonstruierbar. Sicher wurden alle diese Musikarten für die Öffentlichkeit veranstaltet, teuer bezahlt und im Zusammenhang mit anderen öffentlichen Aktionen wie dem Umherreiten, der Prozession, dem Fahnentragen, und wahrscheinlich dem Festessen des Rats nach der Messe, verknüpft.
Wieso aber setzte man Musik überhaupt in so vielen verschiedenen Formen ein? Was hatte sie zu bedeuten?[6] In Wiener Dokumenten fällt immer wieder auf, wie sehr die Stadtväter musikalische Repräsentation besonders dort benötigten, wo man rivalisierenden Gesellschaftsgruppen und Ansprüchen gegenüberstand, wo man entweder Frieden und Offenheit oder Macht und Willenskraft zu demonstrieren hatte. Waffengewalt konnte nur das Letztere besorgen, Musik offenbar beides. Die musikalische Festkultur der Epoche erinnert letztlich noch an Rituale des Vertreibens böser Geister aus dem Gemeinschaftsleben.
[5] Überblick mit ausgewählten Dokumenten bei Schusser 1986, 134–147 (Klaus Lohrmann).
[3] Ludwig Senfl, Das Geläut zu Speyer, erstveröffentlicht in: Hundertainunzwanzig newe lieder, hrsg. von Johannes Ott, Nürnberg: Formschneider, 1534. Der Text der Komposition bietet in spielerischer Dialogform eine Erklärung des eigentlichen Vorgangs des Glockenläutens und seines Anlasses, des Kirchweihfests. Senfls Musik imitiert konkret die Tonhöhen der Glocken des Speyrer Doms und lotet alle möglichen Kombinationen an Zusammenklängen aus (Hinweis von Birgit Lodes). Vgl. Tröster 2019, 186f. und 316–323.
[4] Vgl. jedoch Fink-Gstrein-Mössmer 1991.
[5] Überblick mit ausgewählten Dokumenten bei Schusser 1986, 134–147 (Klaus Lohrmann).
[7] Wiener Stadt- und Landesarchiv (A-Wsa), 1.1.1. B 1/ Oberkammeramtsrechnung 1. Reihe, 1- (1424-) hier abgekürzt OKAR 1 (1424), usw. Belege aus den Oberkammeramtsrechnungen (Stadtrechnungen) Wiens werden hier im Haupttext ohne Fußnote als “1444, fol. 37r” usw. zitiert.
[8] Währung: 1 Pfund (tl.) = 8 große („lange“) Schillinge (s.) = 240 Pfennige (d., denarii).
[9] Der Sonntag Reminiscere (“Erinnere dich”) diente in vielen Städten – neben Wien u.a. Hall i.T., Salzburg, Wels – als Jahresbeginn der öffentlichen Verwaltung; er war Stichtag für den Beginn von Ratsperioden sowie für Anstellungen an Schule und Kirche.
[10] Archiv der Stadt Salzburg (A-Ss BU 263), Kammeramtsrechnung 1486-1488, fol. 25r und 27r. “fl.” = (Rheinischer) Gulden, dessen Wert um 10s. lag.
[13] Währung: 1 Pfund (tl.) = 8 große („lange“) Schillinge (s.) = 240 Pfennige (d., denarii).
[15] Sommerfeldt 1905, 324; Schusser 1986, Nr. 52, S. 76 (Meta Niederkorn-Bruck).
[16] Weitere Festlichkeiten mit Glockenklang sind zusammengestellt bei Czernin 2011, 106-108.
[17] » D. SL Music for a Royal Entry (Helen Coffey). Die Praxis der joyeuses entrées niederländischer Städte jener Epoche (vgl. Strohm 1985, 79-85; Prevenier/Blockmans 1986; Saucier 2008) war in Österreich natürlich bekannt.
[18] Senn 1938, 109f. Eine “Kaiserin” gab es damals nicht. Mit “Königin” war wohl Maria von Ungarn gemeint.
[19] Senn 1938, 110.
[20] Piccolomini 2009, Buch VI, 741. Vgl. auch Schusser 1986, 127 (Anneliese Stoklaska).
[21] Csendes/Opll 2001, 156.
[22] Die Maler der Paniere sind namentlich genannt: Meister Erhart und (Jakob) Kaschauer.
[23] Die Geschenke für ihre Herren sind hier übergangen. Viele Einträge beziehen sich auf jeweils eine Mehrzahl von Empfängern. Ein Auszug aus der Liste auch bei Schusser 1986, Nr. 125, S. 143 (Abb.) und 144 (Klaus Lohrmann).
[24] Es handelt sich um Musiker von Georg Podiebrad, dem Landesverweser und späteren König von Böhmen, vgl. weiter unten “hern Gircziken von Bodebrad narrn”. Bei Schusser 1986 bleibt “Gircziken” unidentifiziert.
[25] Vgl. » B. “Volkslieder”, Kap. Definitionen (Sonja Tröster).
[26] Ich danke Marc Lewon für eine Kopie dieses Dokuments. Vgl. Lewon 2014, 330 (Faksimile) und 338f. (Transkription, Übersetzung und Kommentar).
[27] Lewon 2014, 339, mit auch hier berücksichtigten Hinweisen von Dr. Elisabeth Klecker. Bistricia ist entweder Slovenska Bistrica (Windisch-Feistritz), dessen Burg 1456 dem Grafen von Cili gehörte, oder eine Grafschaft im südöstlichen Ungarn (heute im Norden Rumäniens). Die Anwesenheit des Bischofs von Grosswardein bei den Wiener Festlichkeiten von 1452 ist in den Stadtrechnungen belegt. “Zophia”: eine von Klecker vermutete Anspielung auf die Einnahme Konstantinopels und der Hagia Sophia (erst 1453) kommt mir unwahrscheinlich vor.
[28] Zu Egkenvelder » B. Kap. Eine studentische Liedersammlung (Marc Lewon); Lewon 2014.
[29] Liliencron 1865–1869 Bd. I, Nr. 99, 452–460, nach D-Mbs Cgm 1113, fol. 131. Vgl. Schusser 1986, 126–129 (Anneliese Stoklaska und Ingomar Rainer).
[30] Exemplar in der Staatsbibliothek zu Berlin, Preußischer Kulturbesitz (Ye 2206): http://digital.staatsbibliothek-berlin.de/werkansicht/?PPN=PPN759625425. Vgl. » B. Kap. Liedtexte mit Verweis auf Orte (Sonja Tröster).
[31] Vgl. die Melodie bei Wenzel 2018, 211; Text bei Liliencron 1865–1869, Bd. III, Nr. 383; Mantuani 1907, 347–348 (Melodie, unterlegt mit dem Text “Ach durch got vernemt die klag”, was inhaltlich ebenfalls möglich, prosodisch jedoch viel weniger passend wäre). Der von Liliencron als Aufenthaltsort Wißbecks vorgeschlagene “Wiener Hof, 1457” wäre die Hofhaltung Herzog Albrechts VI. Ingomar Rainer (Schusser 1986, 129) glaubt Wißbeck auch den Text des Lassla-Liedes zuschreiben zu können, was bezweifelbar ist.
[32] So bezeugt von Stephan von Landskron (1465): » B. Kap. Betrachtung und Gebet.
[33] Zu Peter Spörl vgl. Welker 2005, 79.
[34] Über die Frage des Zusammenhangs zwischen Studium und Liederbuch vgl. Kirnbauer 2001. Das sogenannte “Rostocker Liederbuch” (»D-ROu Mss. phil. 100/2) aus dem 3. Viertel des 15. Jahrhunderts, mit 60 meist weltlichen Liedern, wird von der Forschung einhellig als Universitätshandschrift angesehen.
[36] “Ceterum studentes ipsi voluptati operam prebent, vini cibique avidi. pauci emergunt docti neque sub censura tenentur, die noctuque vagantur magnasque civibus molestias inferunt. ad hec mulierum procacitas mentes eorum alienat.” Wolkan 1909, Bd. 61, Nr. 27, 82. Statt Wolkans Datierung dieses Briefes, ca. 1438, schlägt Alphons Lhotsky wohl richtiger ca. 1450/1451 vor; vgl. Lhotsky 1965, 136f. Vgl. auch » E. Musik in der Universität.
[37] Detaillierte Auskünfte über die Liedpflege an der Universität Prag, mit Anmerkungen auch zu Wien und Heidelberg, bietet Ciglbauer 2017, 71–84.
[38] Müller 1885, 23. Die Egerer Schule ist nach Müller seit 1289 belegt; sie unterstand der Stadt und zugleich dem Haus des Deutschen Ordens.
[39] Strohm 1993, 489–493.
[40] Der Wortlaut der gerufenen Ankündigung vom 31. Mai 1454 ist überliefert: Copey-Buch 1853, 13–14.
[41] Schusser 1986, 146 (Klaus Lohrmann).
[42] Czeike 1992–1997, Art. Neuer Markt.
[43] Stadtarchiv Hall i.T. (A-HALs), Raitbuch 4, 1462, fol. 148r.
[44] Stadtarchiv Wels, A-WEsa, Akten Sch. Nr. 18 (Kammeramtsrechnungen), 1485 fol. 2r und öfter.
[45] Stadtarchiv Linz, A-LIsa Hs. 856, Kerschbaum, Chronik 1400–1530, Bd. 1, 11–12; Stadtarchiv Linz, A-LIsa Hs. 861, Leopold Sind, Chronologische Beschreibung der Stadt Linz (1790).
[46] Fiala 2013, 35f., nach Rausch 1996, 179f.
[47] Zur Beteiligung der Stadtpfeifern an öffentlichen Spielen vgl. auch » E. Kap. Musiker zwischen Stadt, Kirche und Hofgesellschaft.
[48] Zu Tanzstätten: Schusser 1986, 12 und 146 (Nr. 1 und 131); Czernin 2011, 92–94.
[49] Bowles 1977, 26.
[50] Malecek 1947, 15 fn. 42.
[51] Die “Landshuter Hochzeit” von 1475 wurde durch den dabei entfalteten Prunk berühmt.
[52] Senn 1938, 29–30, 104–117. Einzelne Angaben aus den Haller Stadtrechnungen (A-HALs Raitbuch 1-5) sind hier nur mit Jahreszahl und Foliozahl gekennzeichnet; Raitbuch 1 (Rb. 1) umfasst die Jahre 1411–1423; Rb. 2: 1424–; Rb. 3: 1451–; Rb. 4: 1459–; Rb. 5 1468–. Ich bin dem Stadthistoriker der Stadt Hall i.T., Mag. Dr. Alexander Zanesco, für Archivzugang und fachliche Beratung zu herzlichem Dank verpflichtet.
[54] Währung: 1 lb. (Pfund) = 12 gr. (Groschen); 1 gr. = 5 f. (Fierer); 1 f. = 4 pn. (Perner, Berner, d.h. Veroneser, Pfennige). 1 lb.= 240 pn.
[56] Raitb. 3, 1451, fol. 17v.
[57] Gemeint ist Friedrich V. (geb. 1415), der spätere König Friedrich III. Vgl. auch Senn 1938, 108.
[58] Ich danke dem Stadthistoriker von Hall i.T., Alexander Zanesco, herzlich für Transkriptionshilfe.
[59] Raitb. 4, 1462, fol. 157v.
[63] Vgl. die kirchlichen Zeremonien der Waldaufstiftung seit 1496: » D. The Waldauf Foundation.
[64] Green 2006 (Helen Coffey, Stadtpfeifer and Varende Lewte: Secular Musical Patronage in the Imperial Cities of Germany during the Reign of Maximilian I (1486–1519) , unpubl. D.Phil. Dissertation University of Oxford, 2006). Kap. 3, 85, nach Stadtarchiv Regensburg, Cameralia 19, f. 29r. Statt „wir“ ist vielleicht „jar“ (Jahr) zu lesen.
[65] I-BZac, ABZ 1.3, Hs. 181 (1512), fol. 41r.
[66] I-BZac, ABZ 1.3, Hs. 182 (1513), fol. 86r.