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Bedeutung der Heiligenverehrung für Alltag und Totengedenken

David Merlin

Über die Heiligenverehrung in der kirchlichen Sphäre hinaus, waren die Heiligen nicht lediglich sporadisch anwesend, wie z. B. für die Patronatsfeste, sondern haben das Alltagsleben der Menschen des Mittelalters und der Neuzeit begleitet. Seit dem 14. Jahrhundert berücksichtigte die Namengebung allmählich auch die Namen der Heiligen.[3] Die Heiligenverehrung spiegelte sich in der Zeiteinteilung der Menschen wider. Heiligenfeste waren nämlich, genauso wie Gottes- und Marienfeste, arbeitsfreie Tage.[4] Die Termine der Heiligenfeste dienten zudem als Stützpunkt der Erinnerung an den Zyklus der Jahreszeiten, wie z. B. das Fest Johannes’ des Täufers als Signal für den Sommerbeginn (vigilia am 23.6.) – noch heutzutage werden oft die „Eisheiligen“ aus alter Bauerntradition erwähnt.[5] Diese Traditionen zirkulierten auch unabhängig von kirchlichen Terminen.[6] Heiligenfeste signalisierten auch den richtigen Zeitpunkt für die Fälligkeitstage der Landwirtschaft, wie z. B. im Fall von Koloman für die Ernte der roten Rüben. Ein volkstümliches Patronat mit einem besonderen Bezug auf Musik wird – zumindest im Süden des Landes – der hl. Anna (Marias Mutter) als Patronin der Glocken zugesprochen.[7]

Auch im Zusammenhang mit dem Gedenken an die Verstorbenen findet sich die Heiligenverehrung. Für eine oder mehrere Totenmessen wurden im Spätmittelalter immer öfter Spenden hinterlassen – auch für gesungene Messen. Wer sich das leisten konnte, spendete auch Geld für die Vesper, für nur eine Nokturn oder für die ganze Matutin (d. h. das Nachtgebet, die aus drei Nokturnen besteht). Um die liturgische Feier für eine/n Verstorbene/n zu erweitern, wurde die Messe des Kirchenpatrons oder die zu Allerheiligen dazuzelebriert.[8] Somit kamen Heiligenformulare nicht nur am Festtag oder am Oktavtag, sondern komplett unabhängig vom liturgischen Kalender in Verwendung. Man kann daher sicher davon ausgehen, dass im Laufe des ausgehenden Mittelalters die Totenmesse und das Totenoffizium allmählich öfter gesungen – und gehört – wurden. Dafür wurden neben dem bekannten Requiem aeternam auch andere liturgische Formulare verwendet.[9] Neben den Gesängen des Ordinarium Missae gehörten sie somit zu den am häufigsten wiederkehrenden akustischen Erfahrungen eines Menschen im Bereich der Kirchenmusik.

[3] Vgl. Amon 1993, 131.

[4] Vgl. Tropper 1996, 138 und Amon 1993, 131.

[5] Es handelt sich um folgende Heilige: Mamertus, Pankratius, Servatius, Bonifatius und Sofia; Feste vom 11. bis 15.5.

[6] Beispielsweise sind unter den „Eisheiligen“ im Passauer und Brixner Kalender nur Pankratius und Servatius eingetragen, im Salzburger Kalender lediglich Pankratius (vgl. Karnowka 1983, 32).

[7] Vgl. Amon 1993, 131.

[8] Vgl. Amon 1993, 135.

[9] Beispielweise sind zwei Zyklen von Propriumsgesängen für die Totenmesse (Si enim credimus und Requiem aeternam) in der um 1500 (spätestens 1516) angefertigten Handschrift A-Wn Mus. Hs. 15501 vorhanden, die eine besondere Auswahl des Repertoires für eine hussitische Gemeinschaft in Kuttenberg/Kutná Hora enthält. Für eine Beschreibung von A-Wn 15501 siehe Webseite des Projektes „Musikalische Quellen des Mittelalters in der Österreichischen Nationalbibliothek“ (http://www.cantusplanus.at/de-at/fertig.htm) und Merlin 2012b, besonders Anhang 1. Zu den Formularen der Messe siehe auch Gay 1957; zu jenen des Stundengebets siehe Ottosen 1993.