You are here

Himmlische Hierarchie und irdisches Instrumentarium

Björn R. Tammen

Darstellungen der Neun Chöre der Engel – seien diese nun explizit durch Inschrift kenntlich gemacht oder lediglich implizit, durch Anordnung in Rängen, Kreissegmenten, Neunzahl oder Verschiedenfärbigkeit[17] – gehören zu den wohl dankbarsten Bildgelegenheiten für das Motiv musizierender Engel, selbst wenn in der auf Pseudo-Dionysius-Areopagita und nachfolgende Exegeten zurückgehenden Engelslehre eine auf irdischen Klangwerkzeugen konkretisierte Engelsmusik überhaupt nicht vorgesehen war.[18] Wir haben es hier mit eucharistischen Bildzusammenhängen entsprechend einer bereits in der Patristik verwurzelten Vorstellung von der Präsenz lobpreisender Engelschöre zur Transsubstantiation zu tun (übertragbar letztlich auf alles, was mit der geweihten Hostie in Verbindung steht: Monstranz, Parament, Sakramentsnische etc.), vor allem aber auch mit dem großen Themenkreis von Himmelfahrt und Krönung Mariens „super choros angelorum“[19] – einer Vorstellung, die über apokryphe Quellen Eingang in die Liturgie gefunden und von hier aus die christliche Ikonographie nachhaltig geprägt hat.[20]

Werden solcherart musizierende Engel in Teilchöre oder sogar sämtliche Neun Chöre aufgenommen,[21] eröffnet sich die faszinierende Option, irdische Hierarchisierungen im Instrumentarium auf einer imaginären Bühne regelrecht zu inszenieren und mit der Vorstellung himmlischer Hierarchie abzugleichen, obendrein die Vielzahl der im Idealfall verfügbaren Positionen auch für neueste Entwicklungen im Instrumentarium nutzen zu können – speziell die im 15. Jahrhundert sich allmählich verbreitenden Saitenklaviere, Cembalo, Clavichord und Clavicytherium. Die Region Österreich hat in beträchtlichem Maße an diesem Trend partizipiert, wie sich an den überraschenderweise eher an der Peripherie anzutreffenden Bildzeugnissen ablesen lässt[22] – etwa dem Lebenden Kreuz des Thomas von Villach (ca. 1470/75), einer monumentalen, die Sakramentsnische der Andreaskirche im kärntnerischen Thörl überspannenden Wandmalerei.[23]

Abb. Neun Chöre der Engel Thörl

Abb. Neun Chöre der Engel Thörl

Wandmalerei Das „Lebende Kreuz“ und die Neun Chöre der Engel (ca. 1470/1475) von Thomas von Villach in der Pfarrkirche St. Andreas in Thörl (Kärnten). (© Institut für Realienkunde – Universität Salzburg)

 

Die beiden untersten Chöre der Angeli und der Archangeli bleiben ohne Musikinstrumente; erstere beschränken sich auf die Funktion des Seelengeleits, letztere sind gestikulierend bzw. adorierend wiedergegeben. Gleich dem nächsten Rang der Virtutes werden, gut sichtbar, Hackbrett und Cembalo implementiert, wobei die Längsseiten der Instrumente parallel zu den die Hierarchiezonen veranschaulichenden Kreissegmenten angeordnet sind (daneben Trumscheit, Schalmei, Rollschellen und Laute). Aus dieser im Gesamtgefüge reichlich untergeordneten Stellung – ein Befund, der so bereits für den ein halbes Jahrhundert älteren Mindener Altar (ca. 1425) gilt[24] – kann man auf eine gewisse Problematik im Umgang mit derlei innovativen Trends schließen; die Spitzenpositionen bleiben jedenfalls in Thörl den Sanctus-Rufen der Seraphin [!] sowie Buch, Orgel und Harfe (?) in Händen der Cherubin [!] vorbehalten. Sozusagen im Mittelfeld der Himmlischen Hierarchie lassen auch die Potestates eine konsequente Attribuierung erkennen, insofern hier neben Schwert und Schild zwei Trompeten (in zeitspezifischer S-Form) sowie Trommel und Einhandflöte vorgesehen sind – Instrumente, die offenbar aufgrund ihrer Lautstärke als klangliche Insignien der Macht verstanden wurden. Speziell im Vergleich zwischen den Virtutes und den Principatus tritt allerdings auch die Fragwürdigkeit jedes derartigen Hierarchisierungsversuchs zu Tage; dass Rollschellen und Laute dem erstgenannten, das in klanglicher Hinsicht als durchaus äquivalent zu begreifende Triangel sowie die kleinere, birnenförmige Guiterne letzterem Chor zugewiesen werden, mutet doch reichlich willkürlich an.

[17] Zu diesen Möglichkeiten vgl. Bruderer Eichberg 1998.

[18] Zum Problem vgl. Tammen 2012.

[19] Das Zitat entstammt der im frühen 14. Jahrhundert im Kölner Domchor zum Fest Mariä Himmelfahrt gesungenen Antiphon Beata es virgo maria dei genitrix (D-KNd Cod. 263, fol. 129v/130r). (Tammen 2000, 44, Anm. 32).

[20] Grundlegend hierzu Hammerstein 1962 sowie Tammen 2000, Kap. 2.

[21] Zu Beispielen aus Minden, Werben und Northeim, die auf verlorene zentraleuropäische Vorbilder zurückgehen könnten, vgl. Tammen 2012.

[22] Vgl. Henning 1991Henning 1994Brauchli 1998Huber 2001.

[23] Thörl-Maglern-Greuth, Bezirk Villach-Land. Vgl. Zauner 1980Tammen 2000, 469; Huber 2001, 95, Abb. 5.2 (Gesamtansicht) und 5.3 (Detail).

[24] Vgl. Tammen 2012, 19–21 (mit Abb. 4).