You are here

Vigil Raber und Benedikt Debs

Sandra Désirée Theiß

Zur Sammlung gehören auch fünf Handschriften, die Raber nicht selbst erstellte, die aber in Zusammenhang mit der Sterzinger Passionsspieltradition stehen. Unter diesen Handschriften ist der sogenannte „Debs-Codex“ (» Sterzing, Stadtarchiv (I-VIP), Hs. IV):  eine aus dem 15. Jahrhundert datierende Sammelhandschrift mit Spielen aus dem Osterfestkreis, einem Verkündigungs- und einem Lichtmessspiel sowie einem Spiel von Christi Himmelfahrt. Sie gilt als „die wichtigste Sammlung Tiroler Dramentexte“.[12] Ihr Vorbesitzer Benedikt Debs[13] stammte aus Ingolstadt und wurde 1511 Lateinschulmeister in Bozen. Bis zu seinem Tod im Januar 1515 war auch er als „treibende Kraft“[14] im Spielbetrieb tätig und wurde von Raber selbst als ein „sunde[r] liebhaber der spill“[15] bezeichnet. Die von Debs gesammelten Spielhandschriften gingen nach dessen Tod in Rabers Besitz über, erhalten ist bis heute jedoch nur die „dickhe allti scarteggn“,[16] der Debs-Codex.

 

Abb. Benedikt Debs-Codex

Abb. Benedikt Debs

Fol. 55v/56r des Debs-Codex (» Sterzing, Stadtarchiv (I-VIP), Hs. IV). Auf der linken Seite Eintragung Vigil Rabers über Benedikt Debs; auf der rechten Seite der fragmentarische Beginn des „Bozner Osterspiels (III)“ (mit Visitatio sepulchri) mit Musiknotation. (Ediert in: Lipphardt/Roloff, Bd. 1, 189–212)

Haupteintrag auf der linken Seite der Abbildung:

„Zu wissen sey alln denen, so dise allte scarteggn furkumbt zu lesn oder fur ougen, ist ainem, so solche allte spill, so in disem register nit an mye eingepunden, zamm bracht. Sind mir, Vigilien Raber, geschenckht zu behallten von aim sundern liebhaber der spill, auch wellicher ain beruembter notisst vnd bassisst, auch schuelmaister gwesst zu Botzn, genannt maister Benedict Debs von Ingelstat etc., wellicher gstorben ist im iar 1515 im monat ianuari vnd begraben zu Botzn in der gsellbriester begrebnus bey der kirchtur, so gegen widem ist. Got hellf seiner samb allen glaubigen selen. Amen.“ (Nach Neumann 1987, Bd. 1, Nr. 348, mit Anpassungen)

 

Zusammen mit Benedikt Debs und dem Patrizier Lienhart Hiertmair gab Raber 1514 den Anstoß für die größte Passionsspielaufführung des spätmittelalterlichen Bozens.[17] „Diese Aufführung ist ein Höhepunkt der Passionsspielpraxis im deutschsprachigen Raum schlechthin gewesen.“[18] Gespielt wurde an sieben Tagen, „yeds tags ain sundere matheri“:[19] Den Anfang bildete am Palmsonntag ein Vorspiel zur Passion mit dem Einzug Jesu nach Jerusalem; von Gründonnerstag bis Ostermontag wurden das Leiden und die Auferstehung Christi gespielt – mit einem Emmausspiel als Abschluss. An Christi Himmelfahrt folgte mit der „auffart“[20] schließlich der letzte Teil „des offenbar als Zyklus aufgefaßten“[21] Passionsspiels. Die Aufführung fand in der Bozner Pfarrkirche statt, was aufgrund der hohen Anzahl an Darstellern durchaus überrascht. Für das Palmsonntagsspiel etwa ist von „wenigstens 75 Personen“[22] auszugehen, die über die Dauer des Spiels auf der Bühne präsent bzw. aktiv am Bühnengeschehen beteiligt waren.[23] Dies könnte darauf hindeuten, dass die Bozner Spieltradition noch enger mit kirchlichen Feierlichkeiten verbunden war, als dies für andere städtische Aufführungen belegt ist.

[12] Neumann 1986, 523.

[13] Zur Biographie Debs‘ vgl. Wolf 1980Dörrer 1957Senn 1949.

[14] Wolf 1980, 59.

[15] Neumann 1987, Bd. 1, Nr. 348.

[16] Neumann 1987, Bd. 1, Nr. 2540.

[17] Vgl. Neumann 1987, Bd. 1, Nr. 545.

[18] Zielske 1994, 288.

[19] Neumann 1987, Bd. 1, Nr. 545.

[20] Neumann 1987, Bd. 1, Nr. 545; dort auch zur Spielkonzeption sowie zur Spielinitiation.

[21] Neumann 1986, 531.

[22] Zielske 1994, 292.

[23] Vgl. die Darstellerlisten bei Neumann 1987, Bd. 1, Nr. 541 und 543 sowie die von Wackernell veranschlagte Rollenanzahl (Wackernell 1897CCXLIV). Ein Eindruck vom Bühnenaufbau ist durch den Bühnenplan zu gewinnen, der in der Handschrift des Palmsonntagsspiels enthalten ist (Hs. V). (»Abb. Rabers Bühnenplan) Zu dessen Interpretation vgl. Michael 1950Michael 1963, 37–44, sowie Zielske 1994.