Hermann Polls Universitätsbildung
Hermann Poll (oder Bolle), geb. 1370, stammte aus Wien und immatrikulierte sich im April 1388 an der dortigen Universität. Er erhielt das Baccalaureat im Dezember 1389 und den Grad des Magister Artium im Mai 1393. Anschließend unterrichtete er an der Universität bis Ende 1396 – in den Herbstsemestern – Naturwissenschaften, Musik (wahrscheinlich nach Boethius), Grammatik (nach Donatus) und Schriften der Kirchenväter.[5] Als er wahrscheinlich Ende 1396 den Weg nach Italien nahm, um das Doktorat in Medizin zu erwerben, muss er schon einen Teil des normalerweise fünfjährigen Medizinstudiums in Wien absolviert gehabt haben, so dass nur noch ein Jahr praktischer Ausbildung erfordert war. Der Grund, warum er selbst, sein Freund Magister Johannes und dessen vormaliger Schüler Pietro Tomasi damals nach Pavia gingen, dürfte gewesen sein, dass der berühmte Paduaner Professor der Medizin und Logik Marsilio di Santa Sofia in den akademischen Jahren 1396/1397 und 1397/1398 am studio (d. h. der Universität) von Herzog Gian Galeazzo Visconti in Pavia eine Gastprofessur ausübte; er war damals auch Leibarzt des Herzogs. In Wien ist nun belegt, dass Hermann dort zusammen mit einem „Magister Johann“, nämlich Johann Silber von St. Pölten, das Baccalaureat und den Magistergrad erwarb;[6] in Pavia ist belegt, dass Hermann das Lizenziat in Medizin dort am 3. August 1398 und den Doktortitel am 9. September 1398 erhielt. Und in der Tat sind in der medizinischen Promotionsliste dieses Jahres „Magister Johannes de Alamania“ und „Magister Hermanus de Alamania“ unter insgesamt 37 Namen zusammen erwähnt.[7]
Es ist fast sicher, dass die Erfindung des clavicembalum während Hermann Polls Studienzeit in Wien vor sich gegangen ist. Insgesamt dauerte seine Universitätsausbildung zehn Jahre; er war laut Standley Howell einer jener „medizinischen Astrologen“, deren Erfahrung in den Fächern des quadriviums (Musik, Arithmetik, Geometrie und Astronomie) die Beschäftigung mit musikalischem Instrumentenbau begünstigte. Dazu kam bei ihm und anderen die Doktoratswissenschaft Medizin, die naturwissenschaftliche Fähigkeiten erforderte und zu einer intimeren Kenntnis der menschlichen Natur führen sollte.[8]
[5] Howell 1990, 8.
[6] Howell 1990, 9 und Anm. 43, nach Uiblein 1978, 180, Anm. 49.
[7] Volta, Zanino: Dei gradi accademici conferiti nello “studio generale” di Pavia sotto il dominio Visconteo, in: Archivio Storico Lombardo 2 (1890), 517–584, hier S. 542. Noch im selben Jahr 1397 verlegte Gian Galeazzo Visconti das studio nach Piacenza.
[8] Howell 1990, 1–8. Der Autor nennt als Beispiele für diese Bildungsrichtung Peter von Abano (†1315), Giorgio Anselmi (c. 1386–c. 1440), Henri Arnaut de Zwolle (c. 1400–1466) und Paulus Paulirinus (1413–c. 1471). Hinzuzufügen ist etwa Rudolf Volkhardt von Häringen (»A. Klösterliche Mehrstimmigkeit), der in Regensburg, Wien und München tätig war.
[1] “Magister Armannus doctor artium, qui fuit socius tui magistri Iohannis, juvenis bone conversationis et bonorum morum, ingeniosus multum et inventor unius instrumenti, quod nominat clavicembalum, accedit Papiam recepturus conventum in medicina simul cum tuo magistro Iohanne sub magistro Marsilio estate futura. Dixit quidem michi quod, cum prima die simul intrassent, promiserunt invicem, quod simul gradum assumerent; postea est leges vel canones auditurus.” (Segarizzi 1907, 224) Erste Erwähnung in musikhistorischer Literatur bei Pirro 1931, 51. Polls Bedeutung für die Geschichte der Tasteninstrumente ist geschildert in Howell 1990, 1–17. Sein Verhältnis zu privater Musikpraxis behandelt Strohm 1991, 53–66.
[2] Segarizzi 1907, 224.
[3] Segarizzi 1907, 226f.
[4] Hierzu vor allem Howell 1990, 8–9.
[5] Howell 1990, 8.
[6] Howell 1990, 9 und Anm. 43, nach Uiblein 1978, 180, Anm. 49.
[7] Volta, Zanino: Dei gradi accademici conferiti nello “studio generale” di Pavia sotto il dominio Visconteo, in: Archivio Storico Lombardo 2 (1890), 517–584, hier S. 542. Noch im selben Jahr 1397 verlegte Gian Galeazzo Visconti das studio nach Piacenza.
[8] Howell 1990, 1–8. Der Autor nennt als Beispiele für diese Bildungsrichtung Peter von Abano (†1315), Giorgio Anselmi (c. 1386–c. 1440), Henri Arnaut de Zwolle (c. 1400–1466) und Paulus Paulirinus (1413–c. 1471). Hinzuzufügen ist etwa Rudolf Volkhardt von Häringen (»A. Klösterliche Mehrstimmigkeit), der in Regensburg, Wien und München tätig war.
[9] Strohm 1991, 57f., mit Erwähnung assoziierter Musiker und ihrer z. T. politisch relevanten Kompositionen.
[10] Lateinischer Originaltext bei Strohm 1991, 65, Anm. 33.
[11] „Physicus virtuosus, formosus, bene dispositus, habens tunc 31 annos in etate et magister artium valens, bene litteratus et doctor in medicinis, optimus musicus in organis et in aliis quibusdam instrumentis musicalibus“. Nach Grob, Jacob: Bruchstücke der Luxemburger Kaiserchronik des deutschen Hauses in Luxemburg, in: Publications de la Sectio Historique de l’Institut Grand-Ducal de Luxembourg 52 (1903), 390–406; Hinweis auf diese Quelle in Pietzsch 1966, 51f.
[12] Gemeint ist das heutige Gornji Grad in Krain/Slowenien, damals den Grafen von Cilli gehörig.
[13] Vgl. die Quellenberichte bei Howell 1990, 10, und Strohm 1991, 59–61.
[14] Howell 1990, 11–12.
[16] Cersne 1861, 23–24, mit den Versen 403–419 über die Vogelmusik. Vgl. auch Pirro 1940, 27ff.; Strohm 2007.
[17] Eine Identifizierung des Mindener Instruments als clavichord (Ripin, Edward M., u. a.: Art. „Clavichord“, in: Grove Music Online, URL: https://doi.org/10.1093/gmo/9781561592630.article.05909 [26.4.2014]) ist wegen der Flügelform (zum Unterbringen ansteigender Saitenlängen) unwahrscheinlich. Dieselben Autoren (Ripin, Edward M., u. a.: Art. „Harpsichord“, in: Grove Music Online, URL: https://doi.org/10.1093/gmo/9781561592630.article.12420 [15.11.2014]) identifizieren die Abbildung im Mindener Relief überzeugender als Cembalo.
[18] Bertoldi, Donata: Problemi di notazione e aspetti stilistico-formali in una intavolatura organistica padovana di fine trecento, in: L’Ars nova italiana del trecento 5 (1985), 11–27 (mit Faksimile und Übertragung); Strohm 1993, 90–92.
[20] Pietzsch 1966, 51f.
Empfohlene Zitierweise:
Reinhard Strohm: „Hermann Poll“, in: Musikleben des Spätmittelalters in der Region Österreich <https://musical-life.net/essays/hermann-poll> (2016).