Gebrauch und Missbrauch der Orgel
Der auch für die Region Österreich im 15. Jahrhundert nachweisbare „Orgelbauboom“ sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass Umfang, Wert und Aufgaben des Orgelspiels innerhalb der Kirche bis in die Reformationszeit teilweise umstritten und keinesfalls einheitlich geregelt waren.[35] Eine Stellung als kirchliches Instrument per se, wie sie sich in Stift Admont bereits im 13. Jahrhundert abzeichnet,[36] blieb lange die Ausnahme, das liturgische Orgelspiel bedurfte meist – auch dort, wo es begrüßt wurde – gesonderter Genehmigung. Fortwährende Klagen über Missstände zeigen jedoch, dass sich das Instrument um 1500 in der feierlichen Liturgie in allen größeren Kirchen des deutschen Sprachraums durchgesetzt hatte. Zur Propagierung ihrer kirchlichen Verwendung trug die Installierung einer Patronin in Gestalt der hl. Caecilia nicht wenig bei.[37] Zu Beginn des 15. Jahrhunderts noch auf die höchsten Feiertage eingeschränkt, dehnte sich die Verwendung der Orgel im Laufe von wenigen Jahrzehnten offenkundig auf alle Sonn- und Feiertage aus. Sie etablierte sich in fester Zuordnung zur menschlichen Stimme als den Gesang abkürzender bzw. phasenweise ersetzender („alternatim“) Faktor.[38] Ausmaß und Qualität des Einsatzes hingen vom Rang des Festes, bisweilen auch von dem des Zelebranten ab, was mitunter sogar die Wahl der Zeitmaße und Register beeinflusste.[39] Obwohl es keine einheitlichen Regelungen über die liturgische Mitwirkung gab und nur selten (so im Konstanzer Anstellungsvertrag Hans Buchners von 1512[40]) genaue Festlegungen der Dienste getroffen wurden, war der Vortrag des Messordinariums zumeist komplett zwischen Sängern und Organist aufgeteilt; auch in bestimmten Teilen des Propriums (Introitus, Graduale, Communio) sowie während der Gabenbereitung, bei Hymnen, Psalmen, Magnificat und Te Deum kam die Orgel regelmäßig zum Einsatz. Sie eröffnete und beschloss die Liturgie und begleitete Prozessionen. Nur in der Advent- und Fastenzeit (die Feste Mariä Lichtmeß und Mariä Verkündigung ausgenommen) schwieg sie.
Klagen über eine missbräuchliche Verwendung im Gottesdienst ziehen sich bis weit in das 16. Jahrhundert wie ein roter Faden durch die Geschichte des Orgelspiels. Die oftmalige Wiederholung und Erneuerung von Verboten von offizieller Seite zeitigte offenkundig wenig Wirkung.[41] Zu den am meisten angeprangerten Unsitten zählten das Spiel von als profan gewerteter Musik (womit vor allem Tänze gemeint waren) sowie das zu häufige und zu lange Orgelspiel (wie eine Visitation des Klosters Garsten 1419 monierte[42]). Dabei nährte der fehlende Text stets den Argwohn, es gehe mit ihm auch die Bedeutung und Botschaft des Wortes verloren.
Wenig ist über das ikonographisch gut dokumentierte Orgelspiel in weltlichem Kontext bekannt. Das Repertoire dürfte sich vornehmlich aus Intavolierungen vokaler Sätze und Tänzen zusammengesetzt haben. Das Portativ, mit dem sich Landini, Paumann und Du Fay haben abbilden lassen, aber auch Positiv und Regal galten als primär höfische oder häusliche Instrumente.
[35] Pacik 1978, 120–143.
[36] Quoika 1953, 18.
[37] Körndle 2003, 24–30.
[38] Mielke 1993, Bd. 1, 29–67.
[39] Körndle 2001, 225–256.
[40] Schuler 2000, 1191.
[41] Körndle 2001, 228–240; Mielke 1993, Bd. 1, 42–55.
[42] Frieberger 1984, 26.
[1] Dies belegt etwa das Standardwerk von Apel 1967, dessen geographische Gliederung auf den deutschen Sprachraum fixiert ist und dementsprechend alle österreichischen Vertreter der Tastenmusik unter der Rubrik „süddeutsch“ subsumiert.
[2] Praetorius 1619, 85.
[3] Edler 1997, 12.
[4] Salmen 1978, 22.
[5] Klotz 1986, 7–123; Edler 1997, 22. Gut dokumentiert sind Orgelbau und Anstellungen von Organisten z. B. in Bozen (» E. Bozen).
[7] Klotz 1986, 68 f.
[8] Klotz 1986, 60.
[9] Von der großen Seckauer Orgel des späten 15. Jahrhunderts ist nur der Prospekt erhalten; Federhofer 1951, 25.
[10] Bowles 1987, 183.
[11] Oberhuber 1978, 147 f.
[12] Forer 1973, 60, 172 und 196.
[13] Hier wäre u. a. die erst 1905 abgebrochene Orgel im Stift Seckau zu nennen; Flotzinger 1980, 23.
[14] Stenzl/Hintermaier/Walterskirchen 2005, 305.
[15] Quoika 1953, 16.
[16] Quoika 1953, 11.
[17] Zusammengestellt nach Flotzinger/Gruber 1995, 89 f.; Quoika 1953; Eberstaller 1955; Forer 1973, 17–35, und Frieberger 1984, 26–29.
[18] Fiala 2013, 136 f.
[19] Eberstaller 1955, 4.
[20] Frieberger 1984, 27 f.
[21] Eberstaller 1955, 11–15. Vgl. auch » E. Bozen.
[22] Flotzinger/Gruber 1995, 90.
[23] Salmen 1978, 12–26.
[24] Salmen 1978, 15–16.
[25] Meyer 2001, 78.
[26] Meyer 2001, 78.
[27] Quoika 1953, 14.
[29] Salmen 1978, 23.
[31] Flotzinger/Gruber 1995, 198.
[32] Moser 1929, 26 f.; Dammann 1974, 252, 259, 274 ff.; Michel/Sternath 2012, 247 f.
[34] Stenzl/Hintermaier/Walterskirchen 2005, 91, 94.
[35] Pacik 1978, 120–143.
[36] Quoika 1953, 18.
[37] Körndle 2003, 24–30.
[38] Mielke 1993, Bd. 1, 29–67.
[39] Körndle 2001, 225–256.
[40] Schuler 2000, 1191.
[41] Körndle 2001, 228–240; Mielke 1993, Bd. 1, 42–55.
[42] Frieberger 1984, 26.