Das Wächterspiel
Im auf das Osterspiel folgenden Magdalenenspiel spielen die Juden als „Juden“ keine Rolle, umso mehr im Wächterspiel, das in der Erlauer Handschrift richtig „Ludus Iudeorum circa sepulchrum domini“ (Spiel der Juden um das Grab des Herrn) genannt ist.
Dieses Spiel ist ganz den Bemühungen „der Juden“ gewidmet, die Lehre des „Betrügers“ Christi und seiner Jünger, die Wahrheit über seine Auferstehung, die als für „die Juden“ existentiell gefährdend dargestellt wird (Vers 47 f. und öfters), mit allen Mitteln zu unterdrücken. Natürlich vergeblich!
In diesem Spiel werden die Juden in traditioneller Weise und wie in vielen anderen Spielen auch, hier aber oft derb-selbstdenunziatorisch, als oberflächlich, bramarbasierend und materialistisch dargestellt. Und hier singt der Hohepriester Cayphas gemeinsam mit der die Judenheit verkörpernden Synagoga einen Gesang, der hier ganz wiedergegeben sei:
„Schiroli kakma nedana nanes schora bora kakato wycherle gawidello iuden wro abraham ad moyses jacob kados kados kados adonay sebeoscalcasim t’pisimcalcadipiuc sin sum sine czotschier wistu cotronelle canir adonay smier snell israhel adonay abyon win nvin nvri. Rvwinn roschen rochen nochym nare rare oichen tare gymn brymn ybrum lanczelay lancze ybam yban nacho naku erloster lestorley amyn kakado kados kados adonay sepides es micol re stirpio yesse roseo arabv grosseo yesse. Corpori zoso be cur capiesse sew sra sila seu s’ui’e gloi’fica’e e’o ymbro israhel gulgaym galgaym garup goe lampvel narra dew durnia phiero sophilla ew ew =cta neza nunzacha ayora ayrozay arozay arrazae carpiesse kinkribello labri cundla fawr alabricund amyn amyn amyn amyn.“
(nach Vers 32)
Dieser auch andernorts in vielen Variationen verwendete Text,[14] eine krude Mischung aus aufgefangenen hebräischen und jiddischen Wörtern und Wortfetzen, aus scheinbar orientalisch klingenden Lautfolgen, aus offensichtlich unsinnigen Wörtern, will nur Eines: „die Juden“ als die Anderen, die Fremden, die (im Wortsinn!) Barbaren, die Bösen, aus dem orbis christianus ausgrenzen und dem Reiche Luzifers und des Satans zuordnen.
Aber auch dieser „Gesang“ wird in der Handschrift nicht mit Noten versehen, während kurz darauf die Petition, die Cayphas mit der Synagoga an den Landpfleger Pilatus richtet, mit dem Inhalt, sich endlich um „Jhesum, der christen got“ (Vers 75) zu kümmern, mit Noten überliefert ist . Und da ist zu sehen, dass dieser Gesang seriös klingen soll, er unterscheidet sich nicht von den Gesängen der „Guten“. Wie aber klang das Schiroli kakma nedana?
Ein Seitenblick auf das Luzerner Osterspiel kann da vielleicht helfen, obwohl es rund 150 Jahre jünger ist.[15] Die Gesänge „der Juden“ dieses Spiels sind einschließlich der Noten auf großen, in Holzrahmen gespannten Pergamentblättern überliefert, die dem Judenchor auf der Bühne als Vorlage dienten. Die Texte sind in zwei Gruppen einzuordnen: „the first, chants of a more or less serious nature, the second, movement or dance songs, somewhat more sprightly in manner.”[16] Die erste Gruppe können wir vernachlässigen, die zweite ist hier wichtiger. Auch in diesem Spiel singen „die Juden“ zum Teil unsinnige Texte, wie die eben für die Erlauer Spiele beschriebenen. Ein kurzes Beispiel:
„Ga ga gantzer,
tschir tschir bantzer,
laudes omnia gallus gucker ille (…)
Cados melos,
Cypelrei celos,
Haselrei rumpelas,
Iorgo mentis malo has,
Limi lami lado has,
fidulada hü mahü.“[17]
Die Melodie dazu findet sich im Rahmen drei,[18] eine ausgelassene Tanzmelodie, die an Kinderlieder erinnert.[19] Und so könnte man sich auch den langen Judengesang im Erlauer Wächterspiel vorstellen: der Situation unangemessen in Text und Melodie, kindisch lustig, durch die verständliche Unverständlichkeit des Textes “die Juden“ sich selbst als die dämonischen Fremden entlarven lassend und sie zugleich als hartnäckig Ungläubige diskriminierend.
[14] Vgl. zum Folgenden Frey 1992.
[15] Für das Spiel selbst siehe Wyss 1967, für einen Überblick Wyss 1985, zu den darin enthaltenen Judengesängen Evans 1943.
[16] Evans 1943, 73.
[17] Evans 1943, 70.
[18] Evans 1943, 6 f.
[19] Evans 1943, 74.
[1] Zur Problematik (und Notwendigkeit) dieser Unterscheidung vgl. Linke 2001.
[3] Beispielhaft ist das vorgeführt anhand des Redentiner Osterspiels in Freytag/Claußnitzer/Warda 2002, auch wenn hier auf die Rolle des Gesangs nicht besonders eingegangen wird.
[4] Vgl. Frey 2010. Edition des Frankfurter Passionsspiels in Janota 1996.
[5] Zur Problematik dieser Auffassung im Hinblick auf den Status der Juden in der Stadt vgl. Frey 1997.
[6] Die biblische Zentralstelle steht bei Paulus 1 Thess 2, 14–16. Vgl. Schreckenberg 1994; Schreckenberg 1997; Schreckenberg 1999; Heil 1998 und Heil 2006.
[8] Im Innsbrucker Osterspiel (siehe Meier 1962) heißt es „ululant“ (nach Vers 302), bezeichnenderweise nur von den „dæmones“ (Dämonen).
[9] Ausgaben: Kummer 1882; Suppan/Janota 1990.
[11] Es sind: Weihnachtsspiel, Dreikönigsspiel, Osterspiel, Magdalenenspiel, Wächterspiel, Marienklage.
[13] Weitere Beispiele: Vers 984–988, 1028 f., 1073–1076.
[15] Für das Spiel selbst siehe Wyss 1967, für einen Überblick Wyss 1985, zu den darin enthaltenen Judengesängen Evans 1943.
[16] Evans 1943, 73.
[17] Evans 1943, 70.
[18] Evans 1943, 6 f.
[19] Evans 1943, 74.
Empfohlene Zitierweise:
Winfried Frey: „Cayphas cantat cum synagoga: Singende Juden in geistlichen Spielen“, in: Musikleben des Spätmittelalters in der Region Österreich <https://musical-life.net/essays/cayphas-cantat-cum-synagoga-singende-juden-geistlichen-spielen> (2016).