Ein Student von guten Sitten
Giovanni Lodovico Lambertazzi, Jurist und Professor an der Universität Padua, schrieb am 17. Januar 1397 an seinen Schwiegersohn Pietro Tomasi, der sich damals als Doktorand an der Universität Pavia aufhielt:
„Magister Hermann, Doktor der freien Künste, der ein Kollege deines Lehrers Johannes war, ein junger Mann von guter Konversation und guten Sitten, sehr begabt und der Erfinder eines Instruments, das er Clavicembalum nennt, kommt nach Pavia, wo er nächsten Sommer unter Magister Marsilius den Doktorgrad in Medizin zusammen mit deinem Magister Johannes empfangen wird. Er sagte mir nämlich, dass sie beide, nachdem sie [dieses Studium] am gleichen Tag begonnen hatten, sich gegenseitig versprochen hätten, den Doktorgrad auch gleichzeitig zu erwerben. Anschließend wolle er noch Jurisprudenz oder Kirchenrecht studieren.“[1]
Lambertazzi war von den guten Sitten und der Vertrauenswürdigkeit dieses Magister Hermann so überzeugt, dass er ihm bei seiner Weiterreise nach Pavia sogar eine silberne Schüssel (tazza) zur Übergabe an Pietro Tomasi anvertraute.[2] Ferner wurde Hermann der Gläubiger von Pietros Mietschulden, die dieser im Sommer 1397 in Pavia hinterließ und die ein anderer Bekannter (der Venezianer Bartolomeo de Comitibus) zum Teil durch Überlassung von Pietros zurückgelassener Bettdecke und zweier Kissen bezahlte; in der Sommerpause, so schreibt Bartolomeo an Pietro am 10. September 1397, seien höchstens 30 Studenten in Pavia, somit habe er dem Hermann das Haus um den Freundschaftspreis von zwei Dukaten vermieten müssen.[3] Ob solche Verhältnisse, die an das Studentenleben der Jetztzeit erinnern, schon für die damalige Zeit allgemein typisch waren, lässt sich nicht genau bestimmen, da entsprechend detailfreudige Quellen selten sind. Die Studiengänge der beteiligten jungen Leute lassen sich jedoch rekonstruieren.[4]
[1] “Magister Armannus doctor artium, qui fuit socius tui magistri Iohannis, juvenis bone conversationis et bonorum morum, ingeniosus multum et inventor unius instrumenti, quod nominat clavicembalum, accedit Papiam recepturus conventum in medicina simul cum tuo magistro Iohanne sub magistro Marsilio estate futura. Dixit quidem michi quod, cum prima die simul intrassent, promiserunt invicem, quod simul gradum assumerent; postea est leges vel canones auditurus.” (Segarizzi 1907, 224) Erste Erwähnung in musikhistorischer Literatur bei Pirro 1931, 51. Polls Bedeutung für die Geschichte der Tasteninstrumente ist geschildert in Howell 1990, 1–17. Sein Verhältnis zu privater Musikpraxis behandelt Strohm 1991, 53–66.
[2] Segarizzi 1907, 224.
[3] Segarizzi 1907, 226f.
[4] Hierzu vor allem Howell 1990, 8–9.
[1] “Magister Armannus doctor artium, qui fuit socius tui magistri Iohannis, juvenis bone conversationis et bonorum morum, ingeniosus multum et inventor unius instrumenti, quod nominat clavicembalum, accedit Papiam recepturus conventum in medicina simul cum tuo magistro Iohanne sub magistro Marsilio estate futura. Dixit quidem michi quod, cum prima die simul intrassent, promiserunt invicem, quod simul gradum assumerent; postea est leges vel canones auditurus.” (Segarizzi 1907, 224) Erste Erwähnung in musikhistorischer Literatur bei Pirro 1931, 51. Polls Bedeutung für die Geschichte der Tasteninstrumente ist geschildert in Howell 1990, 1–17. Sein Verhältnis zu privater Musikpraxis behandelt Strohm 1991, 53–66.
[2] Segarizzi 1907, 224.
[3] Segarizzi 1907, 226f.
[4] Hierzu vor allem Howell 1990, 8–9.
[5] Howell 1990, 8.
[6] Howell 1990, 9 und Anm. 43, nach Uiblein 1978, 180, Anm. 49.
[7] Volta, Zanino: Dei gradi accademici conferiti nello “studio generale” di Pavia sotto il dominio Visconteo, in: Archivio Storico Lombardo 2 (1890), 517–584, hier S. 542. Noch im selben Jahr 1397 verlegte Gian Galeazzo Visconti das studio nach Piacenza.
[8] Howell 1990, 1–8. Der Autor nennt als Beispiele für diese Bildungsrichtung Peter von Abano (†1315), Giorgio Anselmi (c. 1386–c. 1440), Henri Arnaut de Zwolle (c. 1400–1466) und Paulus Paulirinus (1413–c. 1471). Hinzuzufügen ist etwa Rudolf Volkhardt von Häringen (»A. Klösterliche Mehrstimmigkeit), der in Regensburg, Wien und München tätig war.
[9] Strohm 1991, 57f., mit Erwähnung assoziierter Musiker und ihrer z. T. politisch relevanten Kompositionen.
[10] Lateinischer Originaltext bei Strohm 1991, 65, Anm. 33.
[11] „Physicus virtuosus, formosus, bene dispositus, habens tunc 31 annos in etate et magister artium valens, bene litteratus et doctor in medicinis, optimus musicus in organis et in aliis quibusdam instrumentis musicalibus“. Nach Grob, Jacob: Bruchstücke der Luxemburger Kaiserchronik des deutschen Hauses in Luxemburg, in: Publications de la Sectio Historique de l’Institut Grand-Ducal de Luxembourg 52 (1903), 390–406; Hinweis auf diese Quelle in Pietzsch 1966, 51f.
[12] Gemeint ist das heutige Gornji Grad in Krain/Slowenien, damals den Grafen von Cilli gehörig.
[13] Vgl. die Quellenberichte bei Howell 1990, 10, und Strohm 1991, 59–61.
[14] Howell 1990, 11–12.
[16] Cersne 1861, 23–24, mit den Versen 403–419 über die Vogelmusik. Vgl. auch Pirro 1940, 27ff.; Strohm 2007.
[17] Eine Identifizierung des Mindener Instruments als clavichord (Ripin, Edward M., u. a.: Art. „Clavichord“, in: Grove Music Online, URL: https://doi.org/10.1093/gmo/9781561592630.article.05909 [26.4.2014]) ist wegen der Flügelform (zum Unterbringen ansteigender Saitenlängen) unwahrscheinlich. Dieselben Autoren (Ripin, Edward M., u. a.: Art. „Harpsichord“, in: Grove Music Online, URL: https://doi.org/10.1093/gmo/9781561592630.article.12420 [15.11.2014]) identifizieren die Abbildung im Mindener Relief überzeugender als Cembalo.
[18] Bertoldi, Donata: Problemi di notazione e aspetti stilistico-formali in una intavolatura organistica padovana di fine trecento, in: L’Ars nova italiana del trecento 5 (1985), 11–27 (mit Faksimile und Übertragung); Strohm 1993, 90–92.
[20] Pietzsch 1966, 51f.
Empfohlene Zitierweise:
Reinhard Strohm: “Hermann Poll”, in: Musikleben des Spätmittelalters in der Region Österreich <https://musical-life.net/essays/hermann-poll> (2016).