Ein Geschenk für den frischgebackenen Kaiser: Das Alamire-Chorbuch A-Wn Mus.Hs. 15495
Das Prachtchorbuch A-Wn Mus.Hs. 15495 gehört zu einer Gruppe von mehr als 60 erhaltenen Chorbüchern und Stimmbuchsets, die in der heutigen Forschung als „burgundisch-habsburgische Musikhandschriften“ bekannt ist.[10] Diese Handschriften wurden in einem hochprofessionell arbeitenden Skriptorium hergestellt, das seinen Sitz im Umkreis der burgundisch-habsburgischen Höfe von Erzherzog Philipp dem Schönen, Erzherzogin Margarete von Österreich und Erzherzog Karl (dem späteren Kaiser Karl V.) in Brüssel und Mecheln hatte. Die in der Zeit von ca. 1495 bis 1534, zunächst auf Pergament, also hochwertigstem Material, kopierten Musikhandschriften sind teils aufwändig illuminiert und fungierten in habsburgischen Kreisen unter anderem als wertvolle Geschenke. Die Prachthandschrift A-Wn Mus.Hs. 15495 ist das erste Chorbuch aus diesem Skriptorium, das unter der Leitung des professionellen Kopisten, Sängers und Diplomaten Petrus Alamire hergestellt wurde.
Die » Abb. Kyrie Salve diva parens zeigt die reich illuminierten Eröffnungsseiten des Chorbuchs, das insgesamt 105 Folios (also 210 Seiten) umfasst. Die Miniaturen zeigen links oben die Szene der Geburt Christi (Weihnachten); rechts oben Kaiser Maximilian im Gebet, hinter ihm sein Schutzengel; links unten das Wappen Kaiser Maximilians; rechts unten das Ehewappen Maximilians und seiner Gemahlin Bianca Maria Sforza. Aufgrund der Heraldik lässt sich die Entstehungszeit der Handschrift auf die Zeit zwischen Frühjahr 1508 (Maximilians Proklamation zum Kaiser) und Dezember 1510 (dem Tod seiner Frau) eingrenzen (» D. Obrechts Missa Salve diva parens).[11]
Der Notentext ist – typisch für die Zeit – Stimme für Stimme in einzelnen Lesefeldern, also nicht in Partitur, notiert: links oben der Discantus (die höchste Stimme), darunter der Tenor (Nota bene: mit dem unterlegten Text „Salve diva parens“, nicht „Kyrie eleyson“!), auf der rechten Seite oben der Altus (hier als „Contra[tenor altus]“ bezeichnet), darunter der Bass. Eine solche Anordnung nennt man „Chorbuchnotation“. Ein vielköpfiges Ensemble (Chor) konnte die verschiedenen Stimmen aus diesem einen Buch musizieren (» Abb. Kaiser Maximilians Kapelle), auch ein Mitlaufen einzelner Instrumente mit den singenden Stimmen war denkbar und ist ikonographisch belegt (» Abb. Triumphzug Kantorei).
[10] Dazu u. a. Kellman 1999; Bouckaert/Schreurs 2003; Saunders 2010; Burn 2015.
[11] Lodes 2009, 248.
[1] Dazu neuerdings Gasch 2015, bes. 362–371.
[2] Supplikation an König Ferdinand I. im Jahr 1530; A-Whh Finanz- und Hofkammerarchiv, Niederösterr. Kammer, Rote Nr. 7. Abdruck bei Birkendorf 1994, Bd. 3, 248.
[5] Strohm 1993, 519–522; Edition in 4 Bänden: Noblitt 1987–1996.
[6] Zu den weltlichen Quellen („Liederbüchern“), die mit dem Hof Maximilians in Verbindung stehen, siehe » B. Lieder 1450–1520, Kap. Aufschwung der Liedkunst unter Maximilian I. und » B. Lieder 1450–1520, Kap. Liederdrucke.
[7] Siehe dazu Heidrich 1993.
[8] Birkendorf 1994. Die Kompositionen sind häufig ohne Text aufgezeichnet.
[10] Dazu u. a. Kellman 1999; Bouckaert/Schreurs 2003; Saunders 2010; Burn 2015.
[11] Lodes 2009, 248.
[12] Missa Faisantz regretz und Missa Une mousse de Biscaye – wobei letztere zwar unter Josquins Namen überliefert ist, wahrscheinlich aber nicht von ihm komponiert wurde.
[13] Zum historisch-politischen Kontext, vgl. u. a. Wiesflecker 1971–1986, Bd. 4, 1–27.
[14] Der Druck wurde in zwei Ausgaben (eine mit einer Inhaltsangabe in Niederländisch, die andere mit einer Inhaltsangabe in Latein) hergestellt und liegt als kommentiertes Faksimile vor: Nijhoff 1925, mit einer Übertragung der beiden Motetten von Charles Van den Borren als Beilage. Vgl. dazu Schreurs 2001 sowie Wouters/Schreurs 1995. Für ein vollständiges Digitalisat der lateinischen Ausgabe siehe: http://depot.lias.be/delivery/DeliveryManagerServlet?dps_pid=IE4756261.
[15] Zwar war bereits früher in Antwerpen ein Musikdruck mit dem kaiserlichen Wappen und dem der Markgrafschaft Antwerpen hergestellt worden: » Principium et ars tocius musice, Antwerpen: Jost de Negker (c. 1500–1508). Dabei handelt es sich aber um eine Darstellung der Guidonischen Hand mit Mensuralnoten und Kommentaren, nicht um eine mehrstimmige Komposition. Vgl. Schreurs/Van der Stock 1997; ebenda, 173 auch ein Faksimile.
[16] Schlegelmilch 2011, bes. 443–447.
[17] Benedictus hatte von 1512 bis 1516 das Amt des Organisten an der Antwerpener Kirche Zu Unserer Lieben Frau inne und ging in der Folge an den englischen Königshof. Von ihm sind nur diese beiden Kompositionen bekannt.
[18] Victoria Panagl weist besonders auf die Zeilen „Ergo Cesar quum nec deus / rerum metas neque tempus / tuo dat imperio (7. Strophe; „Daher Kaiser, weil Gott deiner Herrschaft weder räumlich noch zeitlich Grenzen setzt“), hin, die als Vergilzitat nachdrücklich auf den Machtanspruch Maximilians (als Nachfolger des Imperium Romanum) verweisen: In der Aeneis (1,278: „his ego non metas rerum nec tempora pono“) spricht Jupiter diese Worte aus und blickt damit auf die ruhmvollen Herrscher des Römischen Reiches voraus (vgl. Panagl 2004, bes. 73–81, hier 78).
[19] Vgl. Dunning 1970, 61–64.
Empfohlene Zitierweise:
Birgit Lodes: “Musikalische Huldigungsgeschenke für Maximilian I.”, in: Musikleben des Spätmittelalters in der Region Österreich <https://musical-life.net/essays/musikalische-huldigungsgeschenke-fur-maximilian-i> (2017).