Zeremonien am Ostergrab
Die Karwoche als letzte Woche der österlichen Bußzeit ist für den Dommesner eine Zeit dicht gedrängter Verpflichtungen (vgl. auch A. Osterfeier, den klösterlichen Ritus betreffend). Auf den Mittwoch nach dem Palmsonntag, auch „krúmpmittwoch“ genannt, an dem man bei der „púmper metten“ auf der Empore dreimal „mit der húlczen gloggen“ rumpelte,[16] folgt der Gründonnerstag, wegen der feierlichen Chrisam-Weihe „weihen pfincztag“ genannt,[17] an dem mit der Fußwaschung durch den Domdekan[18] der letzten Abendmahlsfeier gedacht wurde. Für den Karfreitag bis zur Osternacht wurden die Vorschriften „wie es gehalten wird“[19] weitgehend vom Geschehen am Ostergrab bestimmt. Dort fand an den verschiedenen Tagen eine Abfolge von Bräuchen statt, die als „depositio“ und „elevatio crucis“ sowie „visitatio sepulchri“ bezeichnet werden. Aus der Karwochenliturgie heraus entwickelt, lassen sie sich insgesamt als „ein eigenes Spielgeschehen“ erleben.[20]
Das spätmittelalterliche und frühneuzeitliche Brixen verfügte, ebenso wie das Augustinerchorherrenstift Neustift oder die Stadt Hall, über ein „sepulchrum“, ein Heiliges Grab oder Ostergrab.[21] Das Ostergrab darf man sich als einen truhenartigen Kasten mit bemalten Türen vorstellen, der alljährlich am Karfreitag im nördlichen Seitenschiff des alten Doms an einem für Laien gut zugänglichen Ort aufgestellt wurde. Hier vollzog man die Niederlegung des Kreuzes am Karfreitag, die 40stündige Grabwache, die Erhebung des Kreuzes und die Besichtigung des leeren Grabes am Ostermorgen, die zum Spiel ausgestaltet werden konnte. Der Mesner musste am Karfreitag in aller Frühe nach dem Läuten mit der hölzernen Glocke zunächst die Grabliegerfigur sowie ein als Bahre dienendes Brett abstauben und bereitstellen. Dann folgten die Vorbereitungen zum Gottesdienst am St. Stephans-Volksaltar. Das Grab wurde mit einem roten Tuch ausgekleidet und erhielt eine Halterung für die Monstranz, ferner wurden allerlei Requisiten bereitgelegt, etwa Stola, Manipel und Humeral, mit denen die Chorherren, wenn sie die Figur in das Grab legten, diese traditionsgemäß bedeckten. Für das Einsetzen der Hostie in die Monstranz musste ein Priester geholt werden. Die eigentliche Zeremonie der „Depositio Crucis et Hostiae“ begann am Nachmittag nach der Gläubigenkommunion in Gegenwart von Klerus und Laien. Der Priester, der die Messe zelebriert hatte, sowie vier Chorherren und Domschüler mit Holzklappern und Prozessionsstangen waren daran beteiligt.[22] Vom Hochaltar, wo bis dahin die Monstranz stand, führte ihr Weg prozessionaliter durch den Chorraum, unter der Orgel die Stiege hinunter in das Seitenschiff, an der Kanzel vorbei zum Heiligen Grab. Nachdem die Chorherren die Figur in das Grab gelegt hatten, sang der Chor drei „Respons aúß dem Lamentaczen púech“ (Responsorien aus dem Buch der Lamentationen).[23] Während der 40stündigen Grabwache war das Grab mit der darin bestatteten Liegefigur und der Monstranz von Kerzen umstellt, die der Mesner ständig warten musste. Schüler sangen aus dem Psalter bis etwa neun oder zehn Uhr abends, weil das Volk so lange in der Kirche war; um vier Uhr am nächsten Morgen mussten sie schon wieder singen.
Der fromme Eifer der Laien war dem Mesner Veit Feichter im Grunde zuwider. Zur schlichten Elevationsfeier in der Osternacht kamen so viele Leute, dass im Gedränge leicht etwas Wertvolles abhanden kommen konnte, etwa der „Silbrin sprengwadl Im weich prúnen kesel“ (der silberne Sprengel im Weihwasserkessel).[24] Vier Chorherren hoben die Figur aus dem Grab und sangen das Responsorium Surrexit pastor bonus. Somit war das Grab leer, wenn am Ostermorgen nach der Matutin die visitatio sepulchri stattfand.[25] Der Mesner ersparte sich die Schilderung des Dialogs zwischen den Frauen und dem Engel am Grab, für ihn war wichtiger, alles vorbereitet zu haben, wenn statt der kleinen Szene ein regelrechtes Osterspiel aufgeführt wurde. Für insgesamt elf Personen, die am Agnesaltar im Hochchor auf ihren Auftritt warteten, wurden symbolträchtige liturgische Gewänder und Geräte als Kostüme und Requisiten bereitgelegt, die dem Zuschauer halfen, die Rollen der Darsteller zu identifizieren: So erhielt der „Salvator“ eine Albe mit roten Verzierungen, ferner Humeral, Stola, Mantel und Gürtel in Rot, was der Ausstattung der Grabliegerfigur entsprach. Weitaus sparsamer waren die anderen Personen der Handlung gekennzeichnet, etwa Petrus mit dem Schlüssel, Maria Magdalena mit einem kostbaren blauen Damastmantel, der Gärtner mit einer Eisenschaufel aus dem Dom-Refektorium. Aus der Ausstattung lässt sich einiges über den Verlauf des vom Dommesner vorbereiteten Brixner Osterspiels ableiten:
Es begann vermutlich mit der Ankündigung der Auferstehung durch zwei Engel, dann folgte der Besuch der drei Marien am Grabe mit der „Quem-quaeritis“-Szene. Der Wettlauf der Apostel Petrus und Johannes und die Gärtnerszene waren vorhanden, ebenso der ungläubige Thomas, der üblicherweise den letzten Reim hatte. Das Spiel dürfte in deutscher Sprache aufgeführt worden sein und endete mit einem fröhlichen Christ ist erstanden aller Anwesenden.[26] Die liturgische Einbettung des Osterspiels machte Mitwirkende und Zuschauer, Klerus und Laien zu einer Gemeinschaft der Gläubigen. Umso krasser hebt sich das realistische Fazit der Brixner Dommesners ab: „Item vor allen dingen / so staúb des morgens In aller frúe die stúel ab / wo man gestanten ist zúm spil <zú schawen> dan das volckh stet aúff die stúel / vnnd macht die alle vnsaúber“.[27]
[16] Hofmeister-Winter 2001, 233–238, fol. 70r–72v.
[17] Hofmeister-Winter 2001, 238–260, fol. 73r–85r.
[18] Vgl. Hofmeister-Winter 2001, 256–257, fol. 82v.
[19] Hofmeister-Winter 2001, 260–294, fol. 85r–103v.
[20] Engels 2012, 5 und hier » A.1 Osterfeier.
[21] Vgl. Schwob 1994, 164–167.
[22] Zur Beschreibung der depositio crucis in der Diözese Salzburg vgl. » A. Osterfeier.
[23] Responsorien aus dem Buch der Klagegesänge: „Ecce quomodo moritur, Sepulto domino, Recessit pastor“, Hofmeister-Winter 2001, 269, fol. 89v.
[24] Hofmeister-Winter 2001, 284, fol. 98r.
[25] Zur Beschreibung der visitatio sepulchri in der Diözese Salzburg vgl. » A.1 Osterfeier.
[26] Vgl. Schwob 1994. Zur Leise Christ ist erstanden vgl. » B. Geistliches Lied. Näheres zu deutschsprachigen geistlichen Spielen vgl. » H. Musik und Tanz in Spielen und » H. Sterzinger Spielarchiv.
[27] Hofmeister-Winter 2001, 287, fol. 100r.
[1] Als ikonographischer Bildtypus ist der „gute Hirte“ vor allem dem frühen Christentum geläufig; aber noch heute wird der vierte Sonntag nach Ostern als „Gut-Hirten-Sonntag“ gefeiert (Joh 10, 1–30).
[2] Vgl. Trenkwalder 1986, 130–153.
[3] Vgl. Trenkwalder 1984, 147–165; Trenkwalder 1985, 38–53.
[4] Vgl. Wolfsgruber 1987, 19–20 u. a.
[5] Hier am Beispiel des Brixner Kreuzgangs, Wolfsgruber 1988, passim.
[6] Zu Dom und Dombezirk siehe Hofmeister-Winter 2001, 64–69, dazu Abb. 7–10; Wolfsgruber 1988, 7–9.
[7] Vgl. Loose 2006, 171–191.
[8] Vgl. Saunders1984, 173–193, mit Anmerkungen zu den liturgischen Reformen von 1453 und 1455.
[9] Vgl. Hofmeister-Winter 2001, 15–22; Text des Brixner Dommesnerbuchs, passim.
[10] Hofmeister-Winter 2001. Zum Editionskonzept vgl. S. 9–14.
[12] Vgl. Hofmeister-Winter 2001, 151–152, fol. 29v–30r.
[13] Vgl. Hofmeister-Winter 2001, 223–233, fol. 65r–69v.
[15] Gesänge der Palmsonntagsprozession von St. Stephan in Wien sind erwähnt in Kapitel » E. Städtisches Musikleben.
[16] Hofmeister-Winter 2001, 233–238, fol. 70r–72v.
[17] Hofmeister-Winter 2001, 238–260, fol. 73r–85r.
[18] Vgl. Hofmeister-Winter 2001, 256–257, fol. 82v.
[19] Hofmeister-Winter 2001, 260–294, fol. 85r–103v.
[20] Engels 2012, 5 und hier » A.1 Osterfeier.
[21] Vgl. Schwob 1994, 164–167.
[22] Zur Beschreibung der depositio crucis in der Diözese Salzburg vgl. » A. Osterfeier.
[23] Responsorien aus dem Buch der Klagegesänge: „Ecce quomodo moritur, Sepulto domino, Recessit pastor“, Hofmeister-Winter 2001, 269, fol. 89v.
[24] Hofmeister-Winter 2001, 284, fol. 98r.
[25] Zur Beschreibung der visitatio sepulchri in der Diözese Salzburg vgl. » A.1 Osterfeier.
[26] Vgl. Schwob 1994. Zur Leise Christ ist erstanden vgl. » B. Geistliches Lied. Näheres zu deutschsprachigen geistlichen Spielen vgl. » H. Musik und Tanz in Spielen und » H. Sterzinger Spielarchiv.
[27] Hofmeister-Winter 2001, 287, fol. 100r.
[28] Vgl. Hofmeister-Winter 2001, 324–325, fol. 119v–120r.
[29] Vgl. Hofmeister-Winter 2001, 334f., fol 125rv.
[30] Vgl. Hofmeister-Winter 2001, 326, fol.120v–121r.
[31] Vgl. Schwob 1989, 128–142.