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Das mehrstimmige Kirchenjahr als Kulturprojekt Maximilians I.

Stefan Gasch

Im Fall der Kulturpolitik Maximilians I. (» I. Kap. Hofmusik und Repräsentation) wurden mit der Übergabe der Regentschaft in den Niederlanden an seinen Sohn Philipp (1494) und der Rückbesinnung auf die Belange im Heiligen Römischen Reich deutliche Zeichen im Hinblick auf die musikalische Repräsentation gesetzt. Zwischen 1496 und 1498 erfolgte eine Umstrukturierung der in Augsburg und Innsbruck verteilten Hofkapelle(n) (» I. The court chapel of Maximilian I.) nach burgundischem Vorbild:[1] In der Bestellung Heinrich Isaacs auf die neu geschaffene Stelle des „componist[en]“ (» I. Isaac’s Amazonas, Kap. „I […] will use all my art for his Majesty’s chapel“), in der Ernennung des späteren (ersten) Wiener Bischofs Georg Slatkonia als Kapellmeister und in der Zusammenziehung der verteilten musikalischen Kräfte in Wien konkretisierte sich der massive Repräsentationsanspruch des zukünftigen Kaisers. Die Funktion der Kapelle, sowohl als ausführendes Organ der Gottesdienste und der liturgischen Feiern, aber auch als akustisches Aushängeschild, dem daher besondere Pflege und Förderung der Sänger und der sängerischen Qualitäten zukam, wird so offenbar. Langfristig zeigt sich darin eine neue Dimension in der Schaffung einer kulturellen Identität und einer bislang unbekannten Gedächtnispolitik in der Familie der Habsburger.

Bedeutendster musikalischer Ausdruck der neuen Haltung waren die liturgischen Kompositionen Heinrich Isaacs, die es erlaubten das Kirchenjahr nicht mehr nur einstimmig, sondern mehrstimmig zu durchleben. Vor diesem Hintergrund wird die Reihe der elf Introiten verständlich, die – außergewöhnlich für die Zeit – für sechs Stimmen komponiert sind und sich ausschließlich in dem Münchner Chorbuch » D-Mbs Mus.ms. 31 erhalten haben. Sie halten Musik für die Hochfeste des Kirchenjahres bereit: den Weihnachtstag, den Oktavtag von Weihnachten, Epiphanias, Mariä Reinigung, Marienfeste im Advent, Ostersonntag, Christi Himmelfahrt, Pfingstsonntag, Trinitatis, Corpus Christi, sowie einen Introitus für allgemeinere Marienfeste.

Wie feierlich die Kirchenfeste mit diesen wenigen mehrstimmigen Sätzen gestaltet werden konnten, zeigt beispielsweise Isaacs sechsstimmiger Introitus Resurrexi für den Ostersonntag (» Abb. Introitus Resurrexi). Bei diesem Eröffnungs- und Einzugsgesang zur Messe war Isaac offenbar nicht so sehr daran gelegen, die Freude über die Auferstehung Christi zum Ausdruck zu bringen, sondern vor allem in einer archaisch anmutenden Vertonung der Würde des Festes Rechnung zu tragen. Diesen Eindruck erzeugen die hypophrygische Tonart der Choralmelodie, die aufgrund des charakteristischen Halbtonschrittes eine eher „traurige“ Stimmung vermittelt, einerseits und die mehrfach auftretenden Quartparallelen andererseits. (» Hörbsp. ♫ Resurrexi) Eine andere Art der Darstellung des Festlichen – durch Kombination mit einer Litanei – wählt Isaac in seinem nur vierstimmigen Introitus zum Festtag der hl. Maria Magdalena (» I. SL Isaac‘s Introit).

 

Abb. Introitus Resurrexi

Abb. Introitus Resurrexi

Heinrich Isaacs sechsstimmiger Introitus Resurrexi für den Ostersonntag im Münchner Chorbuch » D-Mbs Mus.ms. 31, fol. 171v–172r. (Mit Genehmigung der Bayerischen Staatsbibliothek.)

Resurrexi, et adhuc tecum sum, alleluia.
Posuisti super me manum tuam, alleluia.
Mirabilis facta est scientia tua, alleluia.
Ps. Domine, probasti me, et cognovisti me;
tu cognovisti sessionem meam, et resurrectionem meam.
Gloria patri…

(Ich bin auferstanden, und bin noch bei dir, alleluia. Du hast deine Hand auf mich gelegt, alleluia. Deine Weisheit ist ein Wunderwerk, alleluia. Ps. Herr, du hast mich geprüft und erkannt. Du kanntest mein Einschlafen und mein Aufwachen. Ehre sei dem Vater…)

 

 

 

[1] Eine Auseinandersetzung mit Isaacs Kapellpersonal findet sich neuerdings in Gasch 2015, siehe hier besonders 363–370.