Heiliger Vitus und Veitstanz
Im Jahr 1355 wurde das durch König Karl IV. in Pavia erworbene Haupt des hl.Vitus nach Prag transferiert, um es, wie damals üblich, im neu erbauten Veitsdom zum Schutz und zur Verehrung aufzubewahren. Etwa zur gleichen Zeit fertigten drei anonyme Meister im Minoritenkloster der Stadt Český Krumlov den sogenannten „Krumauer Bildercodex“ (» A-Wn Cod. 370) an, der eine frühe bildliche Darstellung der Legende des hl.Vitus, einem der Schutzheiligen Böhmens und des Heiligen Römischen Reiches, enthält.[1] Weitere Inhalte des Krumauer Bildercodex sind eine Biblia pauperum, mehrere lehrhafte Erzählungen und auch einige andere Heiligenlegenden. Eine auf fol. 56v des Codex angebrachte Zeichnung (» Abb. Hl. Vitus und Musikanten) zeigt in der zweiten Reihe den Knaben Vitus auf einer Bank sitzend. Zu seiner Linken ist ein Fiedler mit seinem Instrument, hinter diesem ein Harfen- oder Psalteriumspieler und vor diesem eine tanzende weibliche Figur dargestellt. Vitus, der seine Hände demütig vor der Brust verschränkt hat, blickt wohlgemerkt nicht zu der musikalisch-tänzerischen Darbietung, sondern wendet seinen Blick vier Engeln zu. Am rechten Rand steht, an einem kleinen Fenster, Hylas, der Vater des Kindes, und beobachtet das Geschehen.
Die Verehrung des hl. Vitus, eines sizilianischen Märtyrers aus dem 3. Jahrhundert, dessen Passio (Märtyrergeschichte) erst im 7. Jahrhundert niedergeschrieben worden zu sein scheint, erlebte seit der Mitte des 14. Jahrhunderts weite Verbreitung. Der erst siebenjährige Knabe, der nicht vom christlichen Glauben lassen wollte, sollte durch seinen Vater, Senator Hylas, zur Vernunft gebracht werden. Der Verzicht des hl. Veit auf weltliche Freuden und seine Zuwendung zu den Engeln war ein in den bildenden Künsten oft vorkommendes Motiv, so z. B. im Gemälde des Meisters der Veitslegende (Steiermark?, um 1470/1480), das denselben Vorgang darstellt wie der Krumauer Bildercodex (» Abb. Der hl. Veit entsagt den Freuden der Welt).[2]
Die eine solche Abbildung erklärende Passage aus dem hagiographischen Text, der Passio Sti. Viti, Modesti et Crescentiae, lautet: „cymbalis quoque & organis demulcere tentabat eum, & affectabat ancillas suas saltare ante eum, qualiter placeret ei, & ut a cultu Dei sui recedere facilius persuaderet.“ (Auch mit Zimbeln und Orgelspiel versuchte er ihn zu betören und ließ seine Mägde vor ihm tanzen, wie es ihm gefiel und um ihn leichter zu überreden, von der Verehrung seines Gottes abzufallen.)[3]
Die Verehrung und die Patronate des hl.Vitus, der im 14. Jahrhundert zu einem der Vierzehn Nothelfer erhoben worden war, weisen zahlreiche regionale und zeitliche Unterschiede auf. Er wurde unter anderem bei Unfruchtbarkeit, bei Bitten um Regen und Sonnenschein, gegen Gewitter und Feuergefahr, bei Schlangenbissen, Besessenheit, Fallsucht, Tollwut und letzten Endes auch bei Tanzwut angerufen. Er galt nicht nur als Schutzpatron der Apotheker, Gastwirte, Bierbrauer, Winzer, Kupferschmiede und Jugendlichen, sondern auch der Tänzer und Schauspieler, wobei der Reigen der Mägde vor dem gefangenen Heiligen bisweilen als Begründung für sein Patronat für den krankhaften Tanz hervorgehoben wurde.[4] Während im süddeutschen, böhmischen und ostalpinen Raum der hl. Vitus als Schutzpatron der Tanzwütigen galt, nahm in den nördlichen und westlichen Teilen Europas Johannes der Täufer diese Rolle ein.[5]
[1] Faksimile-Edition: Krumauer Bildercodex.
[2] Ein weiteres Beispiel aus dem 15. Jahrhundert ist das Relief im Flügelaltar aus der Pfarrkirche zum hl. Vitus in Salzburg-Morzg (1475–1485). Hier spielt der Instrumentalist den Dudelsack, der Tanz ist ein Paartanz, und der hl. Veit sitzt an einem gedeckten Tisch, assistiert von einer jungen Frau: REALonline v. 1.1.7 (sbg.ac.at), Archiv-Nr. 000867: Hl. Veit entsagt den Freuden der Welt.
[3] Passio SS. Viti, Modesti et Crescentiae (BHL 8711). Die betreffende Stelle aus der Passio ist zu finden in Henschenius 1698, 1022. Für die Informationen zu der Quelle und die Übersetzung dankt der Verfasser herzlich Frau Dr. Victoria Zimmerl-Panagl.
[4] Beispielsweise Groß 1624, 241.
[5] Der Verfasser dankt herzlich Dr. Martin Haltrich, Stiftsbibliothek Klosterneuburg, und Dr. Karl Holubar, Stiftsarchiv Klosterneuburg, für die Hilfe bei der Recherche und wertvolle Auskünfte.
[1] Faksimile-Edition: Krumauer Bildercodex.
[2] Ein weiteres Beispiel aus dem 15. Jahrhundert ist das Relief im Flügelaltar aus der Pfarrkirche zum hl. Vitus in Salzburg-Morzg (1475–1485). Hier spielt der Instrumentalist den Dudelsack, der Tanz ist ein Paartanz, und der hl. Veit sitzt an einem gedeckten Tisch, assistiert von einer jungen Frau: REALonline v. 1.1.7 (sbg.ac.at), Archiv-Nr. 000867: Hl. Veit entsagt den Freuden der Welt.
[3] Passio SS. Viti, Modesti et Crescentiae (BHL 8711). Die betreffende Stelle aus der Passio ist zu finden in Henschenius 1698, 1022. Für die Informationen zu der Quelle und die Übersetzung dankt der Verfasser herzlich Frau Dr. Victoria Zimmerl-Panagl.
[5] Der Verfasser dankt herzlich Dr. Martin Haltrich, Stiftsbibliothek Klosterneuburg, und Dr. Karl Holubar, Stiftsarchiv Klosterneuburg, für die Hilfe bei der Recherche und wertvolle Auskünfte.
[6] Beispielsweise Hecker 1832.
[7] Vgl. etwa Schmitt 1997.
[8] Vgl. Auszüge aus verschiedenen zeitgenössischen Chroniken bei Böhme 1886, 40–44.
[9] Laut Maschek 1936, 37, könnte dieser Text aus der Feder des herzoglichen Bergmeisters, Stadtschreibers und Stadtrichters Niklas Teim (gest. 1435) stammen. Man geht heute aber eher davon aus, dass die Chronik von mehreren Bürgern von Klosterneuburg verfasst worden ist.
[10] Chronica auff Closternewburg, der lantsfurstlichen statt (Stiftsarchiv Klosterneuburg, Hs. 284) und Cronigcha. Aüff Closterneübürg in Osterreich under der Ennß (Stiftsarchiv Klosterneuburg, K 215), fol. 262v, Nr. 24.
[11] Niederstätter 2004, 22. Die Klosterneuburger Chronik erwähnt eine Judenverfolgung im Jahr 1377: „A. o. 1377. Fieng man die Juden, vnd nam in, d[er] Hertzog Albrecht, vnd Hertzog Leopolt all ir Braitschafft, nur brieff nit.“ (Stiftsarchiv Klosterneuburg, Hs. 284, fol. 4r). Somit wäre der Bericht entweder auf das Jahr 1371 oder 1377 zu datieren. Maschek 1936, 291, setzt das Ereignis in das Jahr 1375, ohne dafür einen genauen Grund zu nennen.
[12] Chronica auff Closternewburg, der lantsfurstlichen statt (Stiftsarchiv Klosterneuburg, Hs. 284), fol. 1r. Ergänzungen nach Stiftsarchiv Klosterneuburg, K 215, fol. 262v, Nr. 24. Die Übersetzungen in Klammern beruhen auf der Teiltranskription von Knapp 2004, 283, und Sverak 1985, 10 f.; weitere Erklärungen sind hier hinzugefügt.
[14] Paracelsus 1567. Vgl. Hecker 1832, 17–21.
[15] Sachs 1933, 171.
[16] Backman 1952, 295–327.
[17] Winkle 2000, 240–245, 319–325, 374–380.
[18] Zimmermann 2007, 287.
[19] Rohmann 2013, 625.
Empfohlene Zitierweise:
Marko Motnik: “Tanz und Verderben. Tanzwut in Klosterneuburg (um 1380)”, in: Musikleben des Spätmittelalters in der Region Österreich <https://musical-life.net/essays/tanz-und-verderben-tanzwut-klosterneuburg> (2016).