Geistliche Spiele als religöse Erfahrung
Spiele des Mittelalters, gleich ob „weltlich“ oder „geistlich“,[1] waren keine Theateraufführungen, wie wir sie heute üblicherweise erleben oder doch vor Augen haben. Größere Spiele wurden auf Kirch- und Marktplätzen aufgeführt, kleinere in Kirchen und Klöstern oder auch (z. B. Fastnachtsspiele) in Gasthäusern. Es waren Spiele für kleine und größere Gemeinschaften bis hin zur jeweiligen Gesamtbevölkerung einer Stadt oder Region. Und diese Spiele waren nicht von der Lebenswirklichkeit der Akteure und Zuschauer abgehobene, durch und durch ästhetisch geformte Gebilde, sondern eingebettet in die Alltagserfahrung der Menschen, von der Familie über den Beruf, die Berufsgemeinschaften (Zünfte), die Stadtgemeinde bis hin zu der religiös begründeten, aber in die Realität einwirkenden Vorstellung, dass die Stadt und ihre Bevölkerung im Idealfall Ab- und Nachbildungen des irdischen und himmlischen Jerusalems seien.
Das heißt, wenn wir uns jetzt des Themas wegen auf die geistlichen Spiele konzentrieren, dass die religiösen Personen, die Themen und Lehren, die sie auf die Bühne brachten (die auch noch keine moderne Guckkasten-Bühne war, sondern ein nur vorübergehend aufgebautes, auf Holzböcken ruhendes, mit Planken als Boden versehenes Podest, das von den Zuschauern ringsum eingesehen werden konnte), Ausdruck und Movens des religiös-politischen Bewusstseins waren und dass sie einwirken wollten auf die Religiosität und den Alltag der Mitwirkenden wie der Zuschauer, genauso, wie sie deren kollektiven Sehnsüchte und Ängste zum Ausdruck bringen sollten und ihrerseits wieder Teile und Präsentationen der jeweiligen Machtkonstellationen waren.[2]
[1] Zur Problematik (und Notwendigkeit) dieser Unterscheidung vgl. Linke 2001.
[2] In aller Ausführlichkeit nachzulesen (hier speziell für Frankfurt am Main) bei Wolf 2002.
[1] Zur Problematik (und Notwendigkeit) dieser Unterscheidung vgl. Linke 2001.
[3] Beispielhaft ist das vorgeführt anhand des Redentiner Osterspiels in Freytag/Claußnitzer/Warda 2002, auch wenn hier auf die Rolle des Gesangs nicht besonders eingegangen wird.
[4] Vgl. Frey 2010. Edition des Frankfurter Passionsspiels in Janota 1996.
[5] Zur Problematik dieser Auffassung im Hinblick auf den Status der Juden in der Stadt vgl. Frey 1997.
[6] Die biblische Zentralstelle steht bei Paulus 1 Thess 2, 14–16. Vgl. Schreckenberg 1994; Schreckenberg 1997; Schreckenberg 1999; Heil 1998 und Heil 2006.
[8] Im Innsbrucker Osterspiel (siehe Meier 1962) heißt es „ululant“ (nach Vers 302), bezeichnenderweise nur von den „dæmones“ (Dämonen).
[9] Ausgaben: Kummer 1882; Suppan/Janota 1990.
[11] Es sind: Weihnachtsspiel, Dreikönigsspiel, Osterspiel, Magdalenenspiel, Wächterspiel, Marienklage.
[13] Weitere Beispiele: Vers 984–988, 1028 f., 1073–1076.
[15] Für das Spiel selbst siehe Wyss 1967, für einen Überblick Wyss 1985, zu den darin enthaltenen Judengesängen Evans 1943.
[16] Evans 1943, 73.
[17] Evans 1943, 70.
[18] Evans 1943, 6 f.
[19] Evans 1943, 74.
Empfohlene Zitierweise:
Winfried Frey: “Cayphas cantat cum synagoga: Singende Juden in geistlichen Spielen”, in: Musikleben des Spätmittelalters in der Region Österreich <https://musical-life.net/essays/cayphas-cantat-cum-synagoga-singende-juden-geistlichen-spielen> (2016).