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K. Musikalische Quellenportraits

Abb. Maximilian I.im Dom zu Konstanz, die Messe hörend. Im Vordergrund die Hofkapelle. Der Miniaturist stellt das Chorbuch in zentraler Position dar und gruppiert die 13 Musiker im Halbkreis darum herum: Die musikalische Quelle ist Angelpunkt der dargestellten Aufführung. Diebold Schilling, Luzerner Chronik (1513), fol. 233v (S. 472). Abb. mit Genehmigung der Korporation Luzern. Vgl. » Die Hofkapelle Maximilians I.; » Musik für den Konstanzer Reichstag 1507.

Das humanistische Schlagwort „zu den Quellen!“ (ad fontes) empfiehlt die jeweils ältesten schriftlichen Überlieferungen als die vermutlich reinsten und maßgeblichsten Zeugnisse klassischer Literatur sowie der Bibel. Heute verwendet man den Ausdruck „Quelle“ allgemein für eine Aufzeichnung oder auch bildliche Darstellung, die uns ein Werk überliefert oder etwas über ihre eigene Zeit mitteilen kann. Musikalische (d.h. mit Musiknotation versehene) Handschriften und Drucke werden in diesem Projekt öfters erwähnt; im Leitthema „Musikalische Quellenporträts“ soll nicht nur dem musikalischen Inhalt, sondern auch den Zeitumständen nachgefragt werden, die das Zustandekommen und den Gebrauch solcher Quellen bestimmt haben.

In der Handschrift Innsbruck » A-Iu Cod. 457 (spätes 14. Jahrhundert), entstanden in Österreich und überliefert in einem Südtiroler Kloster, wurde ein reiches Repertoire beliebter Festgesänge für Andachten und Zeremonien gesammelt. Um 1415 entstand ein (heute fragmentarisch überlieferter) Codex mit damals moderner Mensuralmusik mehrerer Länder; bis etwa 1450 war er an der Wiener Bürgerschule zu St. Stephan in Gebrauch (Der Wiener Codex). Oswald von Wolkenstein hinterließ zwei Handschriften seiner Lieder mit Musiknotation (1425 bzw. 1432), die sein gesamtes Werk und seine Persönlichkeit als Dichter und Sänger repräsentieren sollten. Fragmente vokaler und instrumentaler Musikstücke für den Gebrauch von Organisten entpuppen sich als „Souvenir“-Sammlung eines Münchner Juristen, der 1443 Wien besuchte (» A-Wn, Cod. 5094: Souvenirs aus einem Wiener „Organistenmilieu“). Eine ausführliche Studie rekonstruiert die Entstehung des bedeutenden Messencodex » I-TRcap 93* (um 1451–1454), in dem ein internationales Repertoire für die Privatkapelle des Trienter Bischofs Georg Hack zusammengetragen scheint (» Eine zentrale Sammlung europäischer Messenmusik). Ein Satz von Musikfragmenten in Linz (» A-LIb Hs. 529) stammt aus Handschriften, die um 1490–1492 von Musikern im Umkreis Maximilians I. in Innsbruck und/oder Linz zur Aufführung benützt wurden. Magister Nicolaus Leopold war 1511 Schulmeister an St. Jakob in Innsbruck, wo seit über 40 Jahren die Musiker der benachbarten Herzogsburg und die Schulknaben der Pfarrschule polyphone Musik vieler Länder praktiziert hatten (» The Codex of Magister Nicolaus Leopold). Das Antiphonale » A-Wn, Mus.hs. 15505, wurde 1506 für das Wiener Augustiner-Eremitenkloster geschrieben; es diente für den Gesang der vom Hof besuchten Nokturnen, also der nächtlichen Stundengebete. Der Wiener Drucker Johannes Winterburger veröffentlichte 1519 ein Antiphonale, das ein in Wien verfügbares Repertoire liturgischer Gesänge zu dokumentieren scheint, jedoch für den Gebrauch verschiedener Kirchen und Diözesen bestimmt war (» Johannes Winterburgers Antiphonarius). Die in dem berühmten Skriptorium des Petrus Alamire am Hof der Statthalterin der habsburgischen Niederlande, Herzogin Margarete, für den österreichischen und süddeutschen Raum geschriebenen und illuminierten Musikbücher stellen einerseits internationales Repertoire bereit, nehmen aber andererseits auf die Gepflogenheiten an ihren Bestimmungsorten sehr wohl konkret Bezug. Die in München erhaltene Liederhandschrift » D-Mbs Mus. ms. 3155 stellt eine bald nach dem Tod Kaiser Maximilians entstandene retrospektive Sammlung dar, für deren Entstehung offenbar ehemalige Hofbedienstete (ein Kanzleischreiber ebenso wie der kaiserliche Rat Sigmund von Dietrichstein und der Hof-„Komponist“ Ludwig Senfl) zusammenwirkten. Im Jahr 1520 wurde in Augsburg mit dem » Liber selectarum cantionum das erste repräsentative Chorbuch im Typendruck hergestellt; es steht zwischen höfischem Repräsentationsmedium und wirtschaftlichem Gut, zwischen Preziose und praktischem Musiziermedium – und verdeutlicht damit ein für die Quellen der Zeit durchaus typische Multifunktionalität bei höchstem künstlerischen und technischen Anspruch.

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