Raber als Spielleiter 1514
Als Spielleiter war Vigil Raber drei Monate lang mit der Organisation der Passionsspielaufführung beschäftigt. Er koordinierte die handwerklichen Arbeiten für den Bühnenaufbau, die Requisiten und die Kostüme. Dabei vergab er selbstständig Aufträge und führte Buch über die Ausgaben. Außerdem oblag ihm die künstlerische Vorbereitung: Er arrangierte die Proben, die wiederum nicht nur für ihn als Spielleiter, sondern auch für ihn als Darsteller des Judas und des Hortulanus wichtig waren.[24]
Ein besonderes Augenmerk aber legte er auf die Erstellung eines angemessenen Spieltextes. Dessen Grundstock bildete das „Bozner Passionsspiel von 1495“,[25] das dreiteilig aufgebaut an Gründonnerstag, Karfreitag und Ostersonntag gespielt worden war und inhaltlich stark an der biblischen Vorlage orientiert erscheint. Zur Erweiterung dieser Textbasis reiste Raber nach Sterzing, um dort ein noch unbekanntes Palmsonntagsspiel abzuschreiben (Sterzing, Stadtarchiv (I-VIP), Hs. V), das er anschließend dem Bozner Rat vorstellte und in überarbeiteter Fassung für die Aufführung verwendete. Außerdem exzerpierte er aus einem entliehenen Haller Passionsspieltext neue Passagen (» Sterzing, Stadtarchiv (I-VIP), Hs. XI).[26]
Die Kompilation aller dieser Textmaterialien wurde schließlich in zwei Handschriften notiert und für die Aufführung erneut überarbeitet.[27] In der Textkonstitution sind viele Zusätze erkennbar. Insbesondere das Spiel am Ostersonntag wurde durch Salbenkrämer- und Teufelsszene stark erweitert. Da die beiden Manuskripte jedoch nur für vier Spieltage eingesetzt werden konnten, wurde davon ausgegangen, dass die übrigen Texte – die Marienklage, das Emmausspiel und die Himmelfahrt – aus dem Debs-Codex (» Sterzing, Stadtarchiv (I-VIP), Hs. IV) entnommen wurden. Die Verwendung von Texten aus dem Debs-Codex ist jedoch nicht zweifelsfrei zu belegen, denn weder im Codex selbst noch in anderen Quellen finden sich Hinweise darauf.[28]
Das Karfreitags- und das Osterspiel der Bozner Aufführung von 1514 schrieb Vigil Raber kurze Zeit später noch einmal ab, möglicherweise in Zusammenhang mit einer geplanten Aufführung in Trient.[29] Der Spieltext firmiert auch unter dem Namen „Vigil-Raber-Passion“ (» Sterzing, Stadtarchiv (I-VIP), Hs. III). Der Aufwand, den Raber für die Zusammenstellung des Spieltextes betrieb, kann als außerordentlich bezeichnet werden. Er geht weit über gewöhnliche Auftragsarbeiten hinaus und präsentiert Raber als einen mittelalterlichen Theatermacher, der „nicht nur die grösste […], sondern wohl auch die glänzendste“[30] Passionsspielaufführung veranstalten wollte.
[24] Zu Rabers Tätigkeiten als Spielleiter vgl. Neumann 1987, Bd. 1, Nr. 544–546/6, 553; zur Übernahme bedeutender Spielrollen durch Raber vgl. die Darstellerlisten in Neumann 1987, Bd. 1, Nr. 543.
[25] Das „Bozner Passionsspiel von 1495“ gehört nicht zum Bestand des Sterzinger Spielarchivs. Es wird im Bozner Franziskanerkloster unter der Signatur I-51 aufbewahrt. Vgl. Bergmann 1986, 71–74. Zur inhaltlichen Einschätzung des Spiels vgl. Wolf 1978.
[26] Vgl. Neumann 1987, Bd. 1, Nr. 539 und 545 sowie Wackernell 1897, CCXXXVIIIf.
[27] Beide Handschriften befinden sich seit dem 19. Jahrhundert im Besitz der Familie von Braitenberg, Meran. Zu den Angaben vgl. Bergmann 1986, 249–253.
[28] Vgl. Wackernell 1897, CCXXXVIIIf. sowie Wolf 1978.
[29] Vgl. Neumann 1986, 525; Bergmann 1986, 299f.
[30] Wackernell 1897, CCXLIV.
[1] Zur literarischen Gattung des „Geistlichen Spiels“ vgl. einführend Schulze 2009.
[2] Das älteste Zeugnis stammt aus Hall: Dokumentiert ist eine Passionsspielaufführung im Jahr 1430. Vgl. Neumann 1987, Bd. 1, Nr. 1866–1870.
[3] Der erste sichere Textzeuge für ein geistliches Spiel aus Sterzing datiert aus dem Jahr 1486; in Bozen sind Belege ab 1472 vorzufinden, wobei dort ab 1514 die Spiele des Osterfestkreises von den Fronleichnamsspielen in den Hintergrund gedrängt werden. Vgl. Neumann 1986, 528, 536f. sowie zu den ersten Belegen Neumann 1987, Bd. 1, Nr. 73f., Nr. 2523.
[4] Zu diesen Quellen zählen die Rechnungsbücher der Bozner Kirchpröpste, der Sterzinger Bürgermeister und Kirchpröpste sowie eigene Aufzeichnungen Rabers. Vgl. Wolf 1989, 943; aufgeführt sind die Quellen in Neumann 1987, Bd. 1.
[5] Zur Biographie Rabers vgl. Fischnaler 2002; Wolf 1989; Ott 2003.
[6] Darauf deutet auch hin, dass Raber vermutlich ein von der Kirche angeordnetes Begräbnis zuteilwurde. Vgl. Fischnaler 2002, 43f.
[7] Vgl. zu dieser Einschätzung auch Neumann 1986, 523, der hervorhebt, dass Raber als Privatmann eine so umfangreiche Sammlung anlegte.
[8] Neumann 1987, Bd. 1, Nr. 2641.
[9] Neumann 1986, 527.
[10] Vgl. Neumann 1986, 540.
[11] Weitere Spielmaterialien wie Kostüme und Requisiten existieren nicht mehr. Auch waren die Handschriften des Archivs bedingt durch die politischen Umstände nach dem Ersten Weltkrieg nicht immer einsehbar, was die wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Sterzinger Spielarchiv erschwerte. Vgl. Neumann 1986, 527f.; Neumann 1979, 54f. (mit Anmerkungen); Dörrer 1951/52; Dörrer 1965. Im Nachlass Rabers fanden sich außerdem weltliche Spiele, vgl. den Überblick bei Wolf 1989.
[12] Neumann 1986, 523.
[13] Zur Biographie Debs‘ vgl. Wolf 1980; Dörrer 1957; Senn 1949.
[15] Neumann 1987, Bd. 1, Nr. 348.
[16] Neumann 1987, Bd. 1, Nr. 2540.
[17] Vgl. Neumann 1987, Bd. 1, Nr. 545.
[18] Zielske 1994, 288.
[19] Neumann 1987, Bd. 1, Nr. 545.
[20] Neumann 1987, Bd. 1, Nr. 545; dort auch zur Spielkonzeption sowie zur Spielinitiation.
[21] Neumann 1986, 531.
[22] Zielske 1994, 292.
[23] Vgl. die Darstellerlisten bei Neumann 1987, Bd. 1, Nr. 541 und 543 sowie die von Wackernell veranschlagte Rollenanzahl (Wackernell 1897, CCXLIV). Ein Eindruck vom Bühnenaufbau ist durch den Bühnenplan zu gewinnen, der in der Handschrift des Palmsonntagsspiels enthalten ist (Hs. V). (»Abb. Rabers Bühnenplan) Zu dessen Interpretation vgl. Michael 1950; Michael 1963, 37–44, sowie Zielske 1994.
[24] Zu Rabers Tätigkeiten als Spielleiter vgl. Neumann 1987, Bd. 1, Nr. 544–546/6, 553; zur Übernahme bedeutender Spielrollen durch Raber vgl. die Darstellerlisten in Neumann 1987, Bd. 1, Nr. 543.
[25] Das „Bozner Passionsspiel von 1495“ gehört nicht zum Bestand des Sterzinger Spielarchivs. Es wird im Bozner Franziskanerkloster unter der Signatur I-51 aufbewahrt. Vgl. Bergmann 1986, 71–74. Zur inhaltlichen Einschätzung des Spiels vgl. Wolf 1978.
[26] Vgl. Neumann 1987, Bd. 1, Nr. 539 und 545 sowie Wackernell 1897, CCXXXVIIIf.
[27] Beide Handschriften befinden sich seit dem 19. Jahrhundert im Besitz der Familie von Braitenberg, Meran. Zu den Angaben vgl. Bergmann 1986, 249–253.
[28] Vgl. Wackernell 1897, CCXXXVIIIf. sowie Wolf 1978.
[29] Vgl. Neumann 1986, 525; Bergmann 1986, 299f.
[30] Wackernell 1897, CCXLIV.
[31] Neumann 1986, 522.
Empfohlene Zitierweise:
Sandra Theiß: „Die Tiroler Spieltradition. Das Sterzinger Spielarchiv“, in: Musikleben des Spätmittelalters in der Region Österreich <https://musical-life.net/essays/die-tiroler-spieltradition-das-sterzinger-spielarchiv> (2016).