Musik für Kaiser Karl V. (1530)
Die Kaiserkrönung Karls V. in Bologna
Mit der Kaiserkrönung Karls V. durch Papst Clemens VII. in Bologna am 24. Februar 1530 fand eine lange Zeit des Wartens und der Unsicherheiten ein Ende. Viele Jahre waren seit der Kaiserwahl vergangen, in denen Karl großes diplomatisches Geschick aufwenden musste, um die Krönung durch den Papst wenn schon nicht in Rom, so zumindest in Italien (Bologna) durchführen zu können.[1] Die mediale Inszenierung des spektakulären Ereignisses, die im übrigen die letzte durch einen Papst vollzogene Kaiserkrönung der Geschichte bleiben sollte, war immens. Unter anderem Erzherzogin Margarethe lenkte geschickt die Propagandamaschinerie in verschiedensten Medien (gedruckte Texte, bebilderte Einblattdrucke, Gemälde etc.), die Karl insbesondere als Friedensbringer und als Weltherrscher (mithin als Verteidiger der Christenheit und Sieger gegen die Türken) wirkungsvoll inszenierten.
Ein im Frühjahr 1530 entstandenes Portrait des Kaisers von Francesco Mazzola, genannt Parmigianino, möge als zumindest ein Beispiel dienen (s. Abb. Parmigianino): Karl V. ist hier streitbar in Rüstung und mit Schwert dargestellt; ein kleiner Herkules überreicht ihm den Erdball, „so als ob er ihm die Weltherrschaft darbiete“ (Vasari). Die über Karl schwebende Fama, die Göttin des Ruhms, hält in einer Hand einen Palmzweig, in der anderen einen Lorbeerzweig (als Symbole für geistliche bzw. weltliche Erfolge, also als Friedensbringer und Sieger).[2] Vasari berichtet „Der Kaiser schätzte das Bild so sehr, dass er es für sich haben wollte.“[3]
Bei all den spektakulären Einzügen, Prozessionen, Messfeiern sowie der eigentlichen Krönungszeremonie war in Bologna freilich auch eine adäquate musikalische Gestaltung von Bedeutung. Sowohl die päpstliche als auch die kaiserliche Kapelle waren zugegen. Über das gesungene mehrstimmige Repertoire haben wir – wie häufig – leider wenige gesicherte Informationen, doch wird mit guten Gründen angenommen, dass unter anderem die Missa Sur tous regretz von Nicolas Gombert (maistre des enfans an der Kapelle Karls V.) sowie die beiden Motetten Coronat pontifex von Adrian Thiebault (Kapellmeister der capilla flamenca Karls V.) und Ecce advenit dominator von Costanzo Festa (Sänger und Komponist in der päpstlichen Kapelle, seit Ende 1529 in Bologna mit den Krönungsvorbereitungen befasst) aufgeführt wurden: In Festas Motette erklingen im Tenor als Cantus firmus fünf Mal hintereinander die Rufe „Christus vincit, Christus regnat, Christus imperat“, also die aus den mittelalterlichen Laudes regiae bekannten Akklamationen Christi bzw. des neuen Herrschers, der in Christi Namen regiert. Wie Klaus Pietschmann zeigte, passt dieses Repertoire zu zwei gut dokumentierten Eigenschaften von Kaiser Karl: seiner profunden Musikliebe sowie seiner strengen Auffassung von der liturgischen (und nicht nur klangsinnlichen) Funktion polyphoner Musik im Gottesdienst.[4]
Karls Reise ins Heilige Römische Reich. Erste Station: Innsbruck
Eine der drängendsten Aufgaben für den frisch gekrönten – und damit in seiner Position in Italien einigermaßen gesicherten – Kaiser war es nun, sich um die Einheit und den Frieden im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation zu kümmern, das durch die Reformation arg gebeutelt war. Dessen Verwaltung hatte er in den letzten Jahren gänzlich seinem Bruder Ferdinand I. übertragen und das Reich seit neun Jahren nicht mehr persönlich besucht. Die Dringlichkeit von Karls Anwesenheit im Reich hatte sogar als offizielle Begründung dafür gedient, sich schlussendlich für einen (schwer zu legitimierenden) Krönungsort im Norden Italiens entschieden zu haben.
Bereits am 21. Januar 1530 hatte Karl einen Reichstag für den Sommer in Augsburg ausgeschrieben, mit dem Ziel, die innere Einheit im Reich wieder herzustellen. Bei den verschiedenen protestantischen Gruppierungen weckte dies große Hoffnungen. Der Kaiser trat von Bologna aus unmittelbar die Reise nach Norden in das Heilige Römische Reich an: Zunächst begab er sich nach Innsbruck, dem Regierungssitz seines Bruders Ferdinand I. und seiner Frau Anna von Ungarn, wo man ihm am 4. Mai 1530 einen festlichen Empfang bereitete. Man hatte dort ein gemeinsames Treffen der verschiedenen nicht-protestantischen Mächtigen organisiert, an dem u.a. der Erzbischof von Salzburg, Herzog Wilhelm IV. von Bayern sowie Pfalzgraf Friedrich II. teilnahmen. Ein Monat lang (bis zum 6. Juni 1530) besprachen die „altgläubigen“ Herrscher die schwierige Lage im Reich und versuchten ihre – teils recht divergierenden – Interessen für den bevorstehenden Augsburger Reichstag abzustimmen und eine gemeinsame Strategie auszuhecken.[5]
Eine Gürteltasche mit Musik
Wilhelm IV., Herzog von Bayern, reiste zum Innsbrucker Treffen offenbar mit einem musikalischen Gastgeschenk an. Erhalten ist nämlich eine seidene und mit Goldborte verzierte Gürteltasche, die zwei mit Gold-, Silber- und Seidenfäden bestickte und mit Perlen besetzte Stimmbuchsets enthält – eine kunsthandwerkliche Kostbarkeit von herausragendem Rang.[6]
Die gestickten Stimmbücher überliefern zwei nicht-autorisierte mehrstimmige Kompositionen: ein vierstimmiges Tenorlied mit dem Text Aus guetem Grund, als dessen Komponist aus Konkordanzen Ludwig Senfl bekannt ist, sowie eine sechsstimmige Motette mit dem Text Martia terque quater, das meinen Forschungen zufolge ebenfalls Senfl zugeschrieben werden kann.[7]
Das Lied mit Akrostichon ANNa in kunstvoller „Hofweisen“-Gestaltung war offenbar als Gabe für die Gastgeberin Königin Anna von Böhmen und Ungarn gedacht. Zudem passen auch die Worte des Liedes, so toposhaft sie scheinen mögen, hervorragend zu der jungen Königin: Ihre Schönheit, Anmut und Güte wurde – durchaus im Unterschied zu anderen Herrscherinnen – allgemein gerühmt,[8] sie liebte offenbar Musik in besonderem Maße, unterhielt in ihrem Hofstaat eigene Musiker und legte in der Erziehung ihrer Kinder größten Wert auf eine musikalische Ausbildung; darüber hinaus wurden auch repräsentative Musikhandschriften für sie hergestellt.[9]
Die außerordentlich kunstvoll und symbolisch als Gesamtkunstwerk gestaltete Motette war offenbar für Kaiser Karl V. bestimmt.
[Fortsetzung folgt.]
[1] Vgl. unter anderem Alfred Kohler, Karl V., 1500–1558. Eine Biographie, München 1999, S. 201–208.
[2] Nach Franz Bosbach, „Selbstauffassung und Selbstdarstellung Karls V. bei der Kaiserkrönung in Bologna“, in Karl V. 1500–1558. Neue Perspektiven seiner Herrschaft in Europa und Übersee, hrsg. von Alfred Kohler, Barbara Haider und Christine Ottner, Wien 2002, S. 83–103, hier S. 99–101; vgl. neuerdings auch Joachim Poeschke, „Kunstwerke als Medien symbolischer Kommunikation. Virtus im Herrscherporträt der Renaissance“, in: Alles nur symbolisch? Bilanz und Perspektiven der Erforschung symbolischer Kommunikation, hrsg. von Barbara Stollberg-Rillinger, Tim Neu und Christina Brauner, Wien u.a. 2013, S. 285–302, bes. S. 290–302.
[3] Giorgio Vasari, Le vite de’ più eccelenti pittori scultori ed architettori, hg. von Gaetano Milanesi, Bd. 5, Florenz 1906, S. 229.
[4] Klaus Pietschmann, „Eine Motette zur Kaiserkrönung Karls V. von Costanzo Festa, in: Iberoromania 54 (2001), S. 30–52, bes. S. 30f. (Engl. Fassung: Ders., „A Motet by Costanzo Festa for the Coronation of Charles V“, in: Journal of Musicological Research 21 (2002), S. 319–354). Eine Übersicht zum Repertoire während der Bologneser Kaiserkrönung gibt Mary Tiffany Ferer, Music and Ceremony at the Court of Charles V. The „Capilla Flamenca“ and the Art of Political Promotion, Woodbridge 2012 (Studies in Medieval and Renaissance Music 12), S. 179–186.
[5] Dazu Horst Rabe, „Befunde und Überlegungen zur Religionspolitik Karls V. am Vorabend des Augsburger Reichstags 1530“, in Confessio Augustana und Confutatio. Der Augsburger Reichstag 1530 und die Einheit der Kirche, hrsg. von Erwin Iserloh, Münster 1980 (Reformationsgeschichtliche Studien und Texte 118), S. 101–112, bes. S. 110.
[6] Diese ungewöhnliche Musikaufzeichnung befand sich seit Ende des 16. Jahrhunderts, wohl als Erbe König Ferdinands I., in der berühmten Kunst- und Wunderkammer Erzherzog Ferdinands II. und wird heute in der Sammlung Schloss Ambras bei Innsbruck (KK 5369–5377) als Dauerleihgabe der Kunstkammer des Kunsthistorischen Museums Wien verwahrt; Faksimile, Kommentar und Übertragung der gestickten Stimmbücher in Imperiale Musik von Schloß Ambras aus der Regierungszeit Karls V. und Ferdinands I., hrsg. von Walter Salmen, Innsbruck 1992. Das gesamte Kanonstimmbuch ist digital einsehbar unter http://bilddatenbank.khm.at/viewArtefact?id=91377&image=KK_5370_1.jpg).
[7] Birgit Lodes, „Translatio panegyricorum. Eine Begrüßungsmotette Senfls (?) für Kaiser Karl V. (1530)“, in: Senfl Studien 2, hrsg. von Stefan Gasch und Sonja Tröster (Wiener Forum für Ältere Musikgeschichte 7), Tutzing 2013, S. 189–255; ebenda (S. 241–254) auch eine Übertragung des gesamten Motette.
[8] Vgl. dazu Antonio de Beatis’ Vergleich der beiden in Innsbruck lebenden zukünftigen „Königinnen“ Anna und Maria (von Ungarn): „Die eine der Königinnen mit Namen Anna, […] 14 oder 15 Jahre alt, soll Ferdinand, den Bruder des katholischen Königs, heiraten; sie ist sehr schön und heiter, hat feurige Augen und so frische Gesichtsfarbe, daß sie ganz von Milch und Blut zu sein scheint. […] Die andere Königin, […] Maria mit Namen, ist dem König von Ungarn versprochen. Sie mag 10–11 Jahre alt sein, hat brünette Hautfarbe und ist nach meinem Geschmack nicht sehr graziös.“ Antonio de Beatis, Die Reise des Kardinals Luigi d’Aragona durch Deutschland, die Niederlande, Frankreich und Oberitalien 1517–1518, hrsg. von Ludwig Pastor, Freiburg i.Br. 1905, S. 31.
[9] Genaueres zu den Instrumentalisten bei Othmar Wessely, Arnold von Bruck. Leben und Umwelt. Mit Beiträgen zur Musikgeschichte des Hofes Ferdinands I. von 1527 bis 1545, Habilitationsschrift (masch.) Universität Wien 1959, bes. S. 259–274; zur Zeit vor der Eheschließung 1521, siehe Walter Senn, Musik und Theater am Hof zu Innsbruck. Geschichte der Hofkapelle vom 15. Jahrhundert bis zu deren Auflösung im Jahre 1748, Innsbruck 1954, S. 46f.; zur musikalischen Erziehung der Kinder, siehe zusammenfassend Linda Maria Koldau, Frauen – Musik – Kultur. Ein Handbuch zum deutschen Sprachgebiet der Frühen Neuzeit, Köln u.a. 2005, S. 57–59; herausragend unter den (überwiegend verschollenen) Musikhandschriften sind die beziehungsreich zusammengestellten Stimmbücher aus der Werkstatt des Petrus Alamire (I-Rvat Ms. Pal. lat. 1976–1979), vgl. dazu den Eintrag von Herbert Kellman in The Treasury of Petrus Alamire. Music and Art in Flemish Court Manuscripts 1500–1535, hrsg. von dems., Gent/Amsterdam 1999, S. 130–132.